Kolumne Henningway: Palermo statt Pisa

Seit Jahren nehmen deutsche Schüler*innen international am Schulleistungswettbewerb teil. Sport, Musik und Kunst sind aber auch wichtig.

Kinder einer freien Schule auf dem Weg durch einen Wald in Berlin

Naturwissenschaften einmal anders, nicht an Pisa orientiert: Kinder einer freien Schule in Berlin Foto: ap

Das Leben besteht aus Missverständnissen und relativen Wahrheiten. Ich bin immer davon ausgegangen, dass die Pisa-Studie so heißt, weil der Ort Pisa in Norditalien Namenspate für die Genese der Idee eines internationalen Bildungsvergleichs gewesen ist. Das hätte gut gepasst: das wohlgeordnete, rationalen Gesetzen folgende norditalienische Pisa (okay, der schiefe Turm) als Pate eines speziellen Leistungssports in der Bildung.

PISA ist vielmehr das Kürzel für „Programme for International Student Assessment“ und bewertet als Pisa-Studie international Schülerleistungen in den Naturwissenschaften, der Mathematik und im Lesen. Es geht hierbei, so heißt es, nicht um stumpfes Abfragen von Wissen, sondern um die jeweiligen Fähigkeiten und Fertigkeiten und um das Verständnis davon.

Was auch immer das in der konkreten Umsetzung in China (hohes Ranking), Brasilien (niedriges Ranking) oder in Deutschland (wird besser!) heißt, ein sehr wirkungsmächtiges Narrativ für Schülerbildung ist da ins Leben gerufen worden. Als ob es um Goldmedaillen ginge, wird seit dem Jahr 2000 eifrig skaliert, dokumentiert und verglichen.

Me-Myself-and-I

Ganz in diesem Sinne können wir in Zukunft noch zielstrebiger Unternehmensgesetze des Controllings wie Netze über unser Tun und das unserer Kinder werfen und uns noch gewissenhafter in der Praxis des Me-My­self-­and-I üben. Wie wäre es aber, wenn wir uns stattdessen etwas mehr auf das Miteinander, auf die Gelassenheit und die Haltung konzentrieren würden? Wie messen wir Kompetenzen in diesen „Fächern“? Und wie skalieren wir Kategorien wie Zufriedenheit oder gar das Glücklichsein?

Kompetenzen kommen ins Spiel, wenn jemand etwas draufhat. Im Spielsport erwirbt man Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es gilt, im Spiel einzusetzen. Idealerweise merkt einer recht schnell, wie schön und attraktiv es ist, ein Spiel ein wenig mehr zu können und mit erhobenen Haupt einen Extra­pass zu spielen. Und lernt freiwillig weiter, um die Feinheiten des Spiels kennenzulernen. Welch unfassbarer Wert entsteht da eigentlich in diesem Prozess! Für den Einzelnen und das Miteinander. Im Spiel und darüber hinaus.

Eines der Zentren Süditaliens, des Mezzogiorno, ist die sizilianische Stadt Palermo. Ein lebendiger wie romantischer Ort ist das, ein wenig chaotisch und laut geht es dort zu. Genau da würde ich symbolisch all das verorten wollen, was die Pisa-Studie nicht erfasst: das Spiel, den Spaß, die Kreativität und die Leichtigkeit. Hier sind die Spieler zu Hause, so wie die Musiker, die Tänzer, die Schauspieler und die Künstler.

Sport, Musik und Kunst

Was würde eine Palermo-Studie untersuchen? Wofür könnte das Kürzel PALERMO stehen? Das noch zu entdeckende PALERMO lädt die Bildungsinstitutionen sowie die internationalen Leuchttürme des Sports, der Musik und der Kunst dazu ein, einen offenen und offensiven Dialog genau darüber zu führen.

Was tun Orte der Kultur in ihrer Stadt oder Region dafür, dass die Schulfächer Sport, Musik und Kunst mehr Raum und mehr gesellschaftliche Anerkennung bekommen? Und wie verbinden und verbünden sich die Bildungsorte mit den Profisport­vereinen, Theatern, Opern und Museen und ihren jeweiligen Genrepartnern?

Im Augenblick sind alle noch recht ungeübt im strategischen Miteinander. Jeder verteidigt das eigene Wenige im Wettbewerb um staatliche Brotkrümel, statt gemeinsam Lobbyismus für PALERMO zu betreiben, für die Werte von Sport, Musik und Kunst. Eine Palermo-Studie stünde der Welt sehr gut zu Gesicht.

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Henning Harnisch ist ehemaliger Basketballnationalspieler und Vizepräsident des Bundesligisten Alba Berlin. Er schreibt künftig jeden zweiten Donnerstag im Monat für die Printausgabe über die Bereiche Kultur, Sport und Pädagogik.

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