Krieg in Nordsyrien: Erdoğan-Verbündete erobern Afrin

Mit der Türkei alliierte Einheiten haben das Zentrum Afrins eingenommen. Vor zwei Monaten hatte Ankara eine Offensive gegen die syrischen Kurden begonnen.

drei Soldaten laufen durch einen total zerstörten Straßenzug, im Vordergrung ein Panzer

Türkischer Panzer in Afrin am Freitag Foto: dpa

BERLIN taz | Die Bilder erinnern an Szenen des amerikanischen Einmarschs in Bagdad. Lautes Siegesgeheul, Statuen, die vom Sockel gerissen werden, Freudenschüsse in die Luft. Nur die syrischen Milizionäre, die sich auf dem Hauptplatz von Afrin zum Gebet auf die Knie niederlassen, erinnern daran, dass es sich hier nicht um den US-Feldzug im Irak, sondern um die kurdische Stadt Afrin im Norden Syriens handelt, die Sonntagmorgen von fremden Truppen eingenommen wird. Nach der Vorhut der mit der Türkei verbündeten „Freien Syrischen Armee“, die bereits Samstagabend in Vororten von Afrin kämpfte, rückten am Sonntag reguläre türkische Truppen nach. Am Sonntagmittag verkündet der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan triumphierend, dass das Stadtzentrum von Afrin erobert sei.

Auch wenn ein Sprecher der kurdischen YPG-Miliz behauptet, die Stadt sei nicht erobert, es würde weiterhin heftig gekämpft, sprechen die Bilder, die das türkische Fernsehen den ganzen Tag über sendete, doch ihre eigene Sprache: Über dem Rathaus von Afrin weht die türkische Flagge, türkische Soldaten und mit ihnen verbündete Milizionäre schlendern entspannt durch die Straßen der Stadt.

Nach knapp zwei Monaten – der türkische Angriff auf den kurdischen Kanton in Nordsyrien begann am 20. Januar – hat der türkische Präsident ein wichtiges Zwischenziel erreicht. Der Widerstand in Afrin, im westlichsten Kanton der syrischen Kurden, scheint gebrochen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London geht davon aus, dass mindestens 1.500 YPG-Kämpfer getötet wurden.

Nach UN-Angaben sind in den vergangenen Tagen 150.000 Bewohner von Afrin nach Süden in Richtung Aleppo geflohen. Die türkische Armee wollte, dass möglichst viele Zivilisten die Stadt verlassen und hat deshalb immer einen Fluchtkorridor zur Straße nach Aleppo offen gehalten.

Dass der Einmarsch in die Stadt Afrin dann doch relativ schnell und ohne den zuvor befürchteten wochenlangen blutigen Häuserkampf gelang, hing offenbar damit zusammen, dass gemeinsam mit den Zivilisten auch viele YPG-Kämpfer die Stadt rechtzeitig verlassen haben. Noch am Freitag hatte die türkische Luftwaffe Flugblätter abgeworfen, auf denen die YPG-Kämpfer aufgefordert wurden, die Stadt zu verlassen oder sich „der türkischen Justiz anzuvertrauen“.

Der taktische Rückzug der YPG hat jedenfalls dazu geführt, dass die Stadt nicht noch tagelang bombardiert und mit Artillerie zusammengeschossen wird. Anders als Aleppo, Homs und anderen syrischen Städte nach der Rückeroberung durch Assad und seine Verbündeten, liegt Afrin jedenfalls nicht vollständig in Trümmern. Auch wenn es zuletzt noch den Vorwurf gab, die türkische Luftwaffe habe das einzige Krankenhaus von Afrin zerbombt, hat die türkische Armee doch darauf geachtet, dass möglichst viele Gebäude in der Stadt unversehrt bleiben.

Das hatte nicht unbedingt nur humanitäre Gründe, wie die türkische Regierung immer behauptete, sondern dient vor allem einem politischen Ziel. In den gesamten Kanton und in die Stadt Afrin selbst ­sollen nach der ­Vertreibung der YPG ­möglichst viele ­syrische ­Flüchtlinge aus der Türkei ­gebracht werden. Eine Stadt in Trümmern wäre für ­dieses Ziel wenig hilfreich. Zwar hat Erdoğan gestern ­angekündigt, die Türkei wolle in Syrien keine Gebiete besetzen, doch auch wenn die mit der Türkei verbündeten syrischen ­Milizen die Verwaltung von Afrin ­übernehmen, wird doch Ankara die Kontrolle in dem Gebiet ­behalten, wie zuvor auch in dem Streifen um die Stadt Dscherablus, den die türkische Armee bereits im Sommer 2016 eroberte.

Dieser Artikel wurde aktualisiert um 16.55 Uhr.

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