Lesbischer Coming-of-Age-Film: Bedrohung lauert überall

Der norwegische Regisseur Joachim Trier erzählt den Film „Thelma“ als fantastischen Thriller um unterdrückte Sexualität.

Zwei junge Frauen liegen nebeneinander in einem Bett

Thelma verliebt sich in Anja Foto: Koch Films

Ein Vater streift mit seiner kleinen Tochter durch einen verschneiten Wald. Vor ihnen taucht ein Reh auf. „Still“, sagt der Vater und hebt sein Jagdgewehr. Die Tochter rührt sich nicht, starrt auf das Tier. Plötzlich schwenkt der Vater den Lauf seiner Waffe, zielt auf den Kopf des Mädchens, verharrt so eine Weile. Dann senkt er das Gewehr.

„Thelma“ beginnt mit einer rätselhaften Szene, die den Ton für den restlichen Film vorgibt. Bedrohung lauert überall, draußen im Dunkeln, in Thelmas Träumen, aber auch in den Menschen um sie herum. Die Rolle der Anfangsszene wird später erst deutlich.

Bis dahin erzählt der norwegische Regisseur Joachim Trier von der schüchternen Studentin Thelma (spröde-mysteriös: Eili Harboe), die vom Land nach Oslo gezogen ist. Sie tut sich schwer, Leute kennenzulernen, was auch mit ihrem streng religiösen Elternhaus zu tun hat. Party machen und Alkohol trinken ist Thelmas Vater und Mutter fremd, nach ihren ersten Feiererlebnissen beichtet die Tochter diese dem Vater am Telefon, betet gegen ihre „Gedanken“ an.

So weit ist „Thelma“ eine klassische Coming-of-Age-Geschichte. Bloß dass Thelma in der Nähe der attraktiven Studentin Anja (Kaya Wilkins) plötzlich epilepsieartige Anfälle bekommt, Vögel unheilvoll gegen Scheiben krachen und Thelma von Schlangen zu träumen beginnt, die sie nachts im Bett aufsuchen.

Auffällig ist dabei die fast sektiererische Glaubenshaltung, mit der Thelma von ihrem Vater traktiert wird. Ruhig, doch unerbittlich mahnt dieser sie, nicht zu vergessen, „wer sie ist“. Thelma aber ist, das stellt sich mehr und mehr heraus, verliebt in Anja. Und die in sie. Das merkt Thelma erst nach und nach.

Mysteriöse Fähigkeiten

Trier schleicht sich an diese Liebesgeschichte heran wie die Kamera an die Gebäude, Räume und Menschen: langsam, lauernd und mit einer steten Andeutung von Gefahr. Diese Gefahr wird irgendwann handfester, wobei bestimmte übernatürliche Fähigkeiten Thelmas eine Rolle spielen.

Die Eltern, stellt sich heraus, wissen sehr genau über ihre Tochter Bescheid und versuchen deren unkontrollierbare „Anfälle“ zu verhindern. Elterliche Religion, unterdrückte Sexualität, mysteriöse Fähigkeiten: Trier lässt sehr wenig Zweifel daran, dass er seine Gruselemente als Allegorie auf das Heranwachsen und das Aufbegehren gegen das Elternhaus verstanden wissen will.

Wogegen zunächst einmal wenig einzuwenden ist. Bloß das „Thelma“ zum einen sehr viel inszenatorischen Aufwand betreibt, um die Verhältnisse ins Bild zu setzen. Thelma landet sogar in einer psychiatrischen Klinik, wo sie, in einem leeren Raum hinter riesigen Glasscheiben auf einem Krankenhausbett liegend, mit Stroboskopblitzen traktiert wird, um ihre Anfälle künstlich herbeizuführen.

Regie: Joachim Trier. Mit Eili Harboe, Kaya Wilkins u. a. Norwegen/Frankreich/Dänemark/Schweden 2017, 116 Min.

Das ist einigermaßen pompös und läuft am Ende auf eine weniger spektakuläre Pointe hinaus, als die ruhig herantastende Art des Films vermuten lässt. Es grollt, grummelt und blitzt immer mal wieder, am Ende wird es ein Elternhauskonflikt gewesen sein, der mit ungewöhnlichen Mitteln ausgetragen wird. Dass sich die Hauptdarstellerin Eili Harboe und auch Henrik Rafaelsen als Vater dabei tapfer durchs Geschehen schlagen, reicht trotzdem nicht ganz.

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