Die Wahrheit: Zirkustruppe erlebt ihr Damaskus

Eine AfD-Delegation reist in die syrische Hauptstadt und erzählt wunderbare Geschichten aus Tausendundeiner Nacht.

In seinem neuen und lesenswerten Roman „Die Orient-Mission des Leutnant Stern“ beschreibt der Schriftsteller Jakob Hein, wie eine deutsche Delegation sich im Ersten Weltkrieg als Zirkustruppe tarnt, um durch Feindesland zum Sultan von Konstantinopel zu gelangen. Sie will sich den muslimischen Geistlichen anbiedern, weil sie sich davon geopolitische Vorteile erhofft.

Zwar verfügen sie weder über den Charme noch den Intellekt des Leutnants Stern, aber derzeit tourt schon wieder eine deutsche Zirkustruppe zu einem islamischen Großmufti, um sich ihm an den Hals zu schmeißen. Auf ihrer Syrien-Reise sind die Clowns von der AfD umgehend dem Zauber des Orients erlegen. Begeistert posten sie Fotos von wunderbaren Geschichten aus Tausendundeiner Nacht: „Markttag in Damaskus. Bunte Vielfalt. Stimmt vielleicht etwas nicht mit der offiziellen Berichterstattung durch die öffentlich-rechtlichen Zwangsmedien?“

Schließlich werden sie auch persönlich empfangen vom obersten muslimischen Geistlichen des Landes, Großmufti Ahmed Badr al-Din Hassun, einer Frohnatur, dessen gute Laune nur getrübt wird durch die Sehnenscheidenentzündung, die er sich beim Unterzeichnen Tausender Todesurteile geholt hat. Aber trotz der Schmerzen im rechten Arm lässt der Mann es sich nicht nehmen, den Gästen aus Deutschland ausgiebig die Hand zu schütteln, und versichert ihnen, dass in seinem Land alles zum Besten stehe. Ganz berauscht twittern die Deutschen weitere Eindrücke: „Blue Jeans statt schwarzer Schleier. Frauen sitzen in Bars. In Mekka kaum vorstellbar – in Berlin-Neukölln leider auch nicht.“

Da kann man schon neidisch werden. Aber die AfDler kommen nun einmal aus einem weitgehend verwüsteten, islamisierten Land, das von einer irren Despotin tyrannisiert wird. Sie werden dort von „Antifanten“ und „linksgrün versifftem Mainstream“ verfolgt, dürfen nicht sagen, was sie denken, weil die Zwangsmedien sie mundtot machen. Statt in hautengen Blue Jeans durch die Straßen zu schlendern und sich ordentlich bewundern zu lassen, wollen die Weiber ihnen so schöne Wörter wie „Vaterland“ und „brüderlich“ madig machen und twittern hysterisch in der Gegend herum, sobald man ihnen ein bisschen zwischen die Beine fasst.

Wie wäre es mit einem Vorschlag zur Güte? Wir tauschen! Großmufti Hassun behält seine deutschen Freunde, und wir übernehmen dafür die vor seinen Leuten geflüchteten Syrer. Dann könnten alle da bleiben, wo es ihnen besser gefällt. Und sollte Hassun doch noch seine Drohung von 2011 wahr machen, Selbstmordattentäter auf Europäer anzusetzen, könnte er gleich Reisekosten sparen. So beklagenswert der Verlust jedes Menschenlebens auch ist, egal ob in Syrien hingerichtet, ein paar Kilometer von den hübschen Marktszenen entfernt zerbombt oder von islamistischen Attentätern zerfetzt – in diesem speziellen Fall könnte man sich wenigstens die Phrase von den „unschuldigen Opfern“ sparen.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.