Fotoausstellung „Voll der Osten“: Als das Bier 50 Pfennig kostete

… und Limo meist aus war. Wer die DDR nachträglich verstehen will, sollte sich die Fotos von Harald Hauswald in der Ausstellung „Voll der Osten. Leben in der DDR“ ansehen.

DDR-Alltag in den 1980er Jahren, ein Bild von Harald Hauswald Foto: Harald Hauswald c/o dpa

Ostberlin, irgendwann in den 1980er Jahren, eine Straßenszene: Eine alte Dame überquert Tramschienen in der Kastanienallee. Tief gebeugt geht sie am Stock, ihr Rücken so verformt, dass sie sich nicht mehr aufrichten kann. Ein Bild in Schwarz-Weiß, das Harald Hauswald fotografiert hat. Ein Foto, das nichts gemein hat mit dem staatlich verordneten Idealbild des glücklichen sozialistischen Menschen, der vor Glück und Gesundheit strotzt. Ein realistisches Bild aus DDR-Tagen.

In Vorwendezeiten habe ich es nie gesehen. Das Bild mit der an Skoliose leidenden Frau ist mir erst nach der Wende in dem Bildband „Seitenwechsel“ (1999 erschienen) begegnet. Ich kann mich so gut daran erinnern, weil das Foto Eindruck auf mich machte und weil ich damals für die taz über den Bildband von Hauswald schrieb, denn der war kein Unbekannter: Viele seiner Fotos sind auch in der taz erschienen

Die DDR scheint weit weg. Gerade erst, zum sogenannten Zirkeltag Anfang Februar, war das entschwundene Land für kurze Zeit wieder in aller Munde. Aber die DDR war ja mehr als Mauer. Fotos von damals können das belegen. Weil: Mit Erinnerungen ist das ja so eine Sache, sie trügen, weil das Gehirn sie immer wieder überschreibt. Fotos von damals können helfen, sich die Vergangenheit zurück ins Gedächtnis zu rufen. Schön ist es deshalb, dass mehr als 100 Fotografien von Harald Hauswald endlich wieder der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden.

Die Ausstellung „Voll der Osten. Leben in der DDR“ entstand in Zusammenarbeit mit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Die Schau ist leider nur zwei Wochen lang zu sehen. Das Neue aber ist: Sie lässt sich als Poster-Set anfordern und damit in Schulen, Bibliotheken, Kirchen oder Rathausfoyers zeigen, überall da, wo sich Menschen für DDR-Geschichte interessieren könnten.

Die Ausstellung „Voll der Osten. Leben in der DDR“ ist bis zum 1. März im Podewil an der Klosterstraße 68 in Mitte zu sehen. Die von der Bundesstiftung Aufarbeitung konzipierte Ausstellung mit über 100 Fotografien soll schulischer und außerschulischer Bildungs- und Erinnerungsarbeit im In- und Ausland dienen und kann bei der Stiftung gebucht werden.

Der Fotograf Harald Hauswald, 1954 in Sachsen geboren, Gründungsmitglied der Agentur Ostkreuz, veröffentlichte als erster DDR-Fotograf auch Fotoreportagen in westlichen Magazinen wie GEO, dem Zeitmagazin oder der taz. (taz)

Archiv entsteht

Zu DDR-Zeiten wäre das unvorstellbar gewesen. Im Gegenteil. Wegen wiederholter Hausdurchsuchungen und Beschattungen hatte der Fotograf in den DDR-Jahren viele seiner Aufnahmen nicht archiviert. Das wird nun nachgeholt. Die Stiftung unterstützt mit 200.000 Euro das Sichern und Digitalisieren des Hauswald-Archivs mit mehr als 230.000 Negativen.

Wunderbar! Denn Hauswald hat ein Gespür für Momentaufnahmen. Seine Fotos zeigen die 1980er als Zeit des Verfalls und der Stagnation; einerseits: egal ob es sich dabei um vor Regen flüchtende Fahnenträger der Maikundgebung am Alexanderplatz von 1987 handelt – „Fahnenflucht“ nannte Hauswald dieses Foto –, um bröckelnde Fassaden oder um Kindergartenkinder, die 1982 in Marzahn zwischen grauen Plattenbauten spazierten.

Punkkonzerte, Saufgelage – Bier, Wein und Schnaps waren im Osten spottbillig –, Tanzkurse oder die Szene in Prenzlauer Berg andererseits: Mit ethnologischem Blick und Sinn fürs Normale fing Hauswald den Alltag fern aller Staats­propaganda ein. Der war manchmal einfach nur lustig und entspannt: Ein Bild zeigt junge Leute beim Abhängen im Hirschhof am Prenzlauer Berg – ein Treffpunkt der DDR-Opposition (der neue Hirschhof ist als Spielplatz nach langem Streit seit letztem Jahr wieder zugänglich).

Der DDR-Alltag war mitunter auch skurril: Da sorgte ein Elefant auf dem Alex für Aufsehen, alle wollen ihn berühren. Ein Nähmaschinengeschäft warb mit der Tafel „Reparaturen sämtl. Systeme“ für sich. Den Sozialismus konnte niemand flicken. Ein Bild zeigt Menschenmassen in typischer DDR-Kleidung der 1980er Jahre, die aufs Brandenburger Tor zulaufen. Wir schreiben Dezember 1989. Die Mauer ist gefallen.

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