Tagung der Zeit-Stiftung: Streit um deutsche Europa-Politik

Der Grüne Özdemir kritisiert Waffenlieferungen an die Türkei, SPD-Mann Annen verteidigt sie. „Ein Scheitern der EU ist keine Option“ – oder vielleicht doch?

Deutsche Wertarbeit im türkischen Kriegseinsatz gegen syrische Kurden Foto: dpa

HAMBURG taz | Der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir hat die Türkei-Politik der scheidenden Bundesregierung kritisiert. „Machen Sie weniger Tee-Zeremonien und reden Sie mehr über Menschenrechte“, sagte Özdemir bei einer Europatagung der Zeit-Stiftung in Hamburg. Man dürfe Sicherheit nicht auf Verteidigung und Rüstung reduzieren, so Özdemir.

Demgegenüber rechtfertigte der SPD-Außenpolitiker Niels Annen die deutschen Waffenlieferungen an die Türkei. „Es wird in der Öffentlichkeit manchmal der Eindruck erweckt, dass wir Panzer geliefert haben, damit die Türkei gegen die Kurden vorgehen kann“, sagte Annen im Gespräch mit der taz. Das sei falsch.

Den umstrittenen Einsatz deutscher Waffen gegen die Kurden nannte Annen „verwerflich“. Allerdings sei die Türkei immer noch Mitglied der Nato und geopolitisch bedeutsam. Man dürfe die deutschen Waffenlieferungen daher nicht grundsätzlich infrage stellen, so der Hamburger Bundestagsabgeordnete.

Einig waren sich Annen und Özdemir, dass die nächste Bundesregierung europapolitisch aktiver werden müsse. „Europa kann die neue GroKo legitimieren“, sagte Annen. Die aktuelle Führung von CDU/CSU sei zu einer anderen Europapolitik bereit. Bei der „jungen Garde“ der Christdemokraten sei er sich nicht so sicher.

EU krisenfest machen

„Ein Scheitern der EU ist keine Option“, betonte Özdemir. Die Sondierer der GroKo hätten in Sachen Europa schon „viel erreicht“. Allerdings reiche es nicht aus, wie SPD-Chef Martin Schulz die Vereinigten Staaten von Europa zu fordern. Die nächste Regierung müsse die EU krisenfest machen und nach Frankreich auch auf Polen zugehen.

„Ich möchte nicht der Generation von Politikern angehören, die Europa vermasselt hat“, so Özdemir. Dies genau sei bereits geschehen, hielt ihm der bulgarische Politologe Ivan Krastev entgegen. „Die EU, wie wir sie kannten, gibt es nicht mehr“, konstatierte Krastev.

Die Flüchtlingskrise 2015 sei „der 11. September Europas“ gewesen, der die Politik von Grund auf verändern werde. Seither tue sich ein tiefer Riss zwischen Ost- und Westeuropa auf. Auch Deutschland habe versagt, weil es sich zu sehr auf seine historische Sonderrolle verlassen und die Sorgen der anderen EU-Länder ignoriert habe.

Krastev hatte aber auch eine frohe Botschaft parat: Der Brexit und die Wahl von US-Präsident Donald Trump hätten die Europäer aufgerüttelt. „Amerika und Großbritannien haben Europa wieder einmal gerettet – denn sie zwingen uns zu mehr Einigkeit.“ Dennoch sei ein Scheitern der EU nicht ausgeschlossen: „Wir können uns auf nichts mehr verlassen.“

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