Abgeordnete über Cannabis-Legalisierung: „Es wäre dringend an der Zeit“

Die Bremer Psychiaterin Kirsten Kappert-Gonther kämpft als drogenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion für die Legalisierung von Cannabis.

Ein junger Mann mit Brille und Wollmütze steht in einem Treibhaus voller Marihuana-Pflanzen.

Es könnte so professionell sein: Legaler Cannabis-Anbau in Denver, Colorado Foto: dpa

taz: Fau Kappert-Gonther, erleben wir jetzt den Durchbruch bei der Cannabis-Diskussion?

Kirsten Kappert-Gonther: Das wäre dringend an der Zeit. Im Bundestag werden wir mehrere Initiativen diskutieren: Die Linke fordert das Absehen von der Strafverfolgung bei geringen Mengen, die FDP schlägt vor, die gesetzliche Voraussetzung für Modellversuche auf Landesebene zu schaffen, Cannabis als Genussmittel legal abzugeben.

Brauchen wir noch Modellversuche?

Sie haben Recht, die Evidenz ist schon da: Die Prohibitionspolitik ist auf ganzer Linie gescheitert. Um das festzustellen, bräuchte es keine weiteren Erhebungen. Und wenn man Gesundheit und Jugendschutz voran bringen will, muss der Weg kontrollierte Abgabe heißen: Auf dem Schwarzmarkt gibt es weder das eine noch das andere. Wenn es also um Vernunft ginge, würde jetzt der Vorschlag der Grünen-Fraktion für ein Cannabis-Kontrollgesetz im Parlament angenommen.

Das Kontrollgesetz ist …?

Unser Kontrollgesetz ist in der Debatte der weitestgehende Entwurf, der alles regelt, was Anbau, Vertriebswege, Deklarationspflicht und den Umgang mit kontrollierter Abgabe angeht. Das wäre der große Wurf und ich glaube, dass sich auch irgendwann die Vernunft durchsetzen wird. Die Entwürfe von FDP und Linksfraktion entsprechen allerdings unserer Haltung, weil sie erste Schritte zu einer Liberalisierung sein können.

Wenn nicht das Cannabis-Kontrollgesetz angenommen wird?

Jahrgang 1966, ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Sprecherin für Drogenpolitik und Gesundheitsförderung der Grünen-Bundestagsfraktion. Bis 2017 war sie stellvertretende Vorsitzende der Grünen in der Bremischen Bürgerschaft.

Ich vermute, dass es dazu noch keine Bereitschaft gibt. Ich hoffe darauf, aber sollte es noch keine Bereitschaft dazu geben, ist der Vorschlag, wenigstens Modellversuche zuzulassen, ein sinnvoller Zwischenschritt: Das hatten wir ja auch vor anderthalb Jahren in der Bundesratsinitiative gefordert, die wir von Bremen aus gestartet hatten.

Hier haben die Sozialdemokraten jetzt offenbar aus Angst vor der eigenen Courage die Forderung fallen gelassen, die in der Koalition vereinbarte Liberalisierung umzusetzen.

Ja, ich bedauere das sehr. Das steht im Widerspruch zum Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen, der ja eine Ent­kriminalisierung festschreibt. Damit werden zwei Ziele verfolgt. Gesundheitspolitisch ist es richtig mit der Prohibition aufzuhören. Innenpolitisch aber auch: Es geht darum, die Polizei von unsinnigen Tätigkeiten zu entlasten. Denn die hat ja fraglos wichtige Aufgaben, und es ist vollkommener Quatsch, wenn Polizei und Justiz für die Verfolgung von Konsument*innen ihre Kräfte verschwenden müssen. Das nützt niemandem, außer dem organisierten Verbrechen, weil die Polizei für dessen Bekämpfung zu wenig Kapazitäten hat. Das Verhalten der SPD in Bremen steht auch im Widerspruch zu ihrer bisherigen Linie.

Inwiefern?

Noch als ich in der Bremer Grünenfraktion war, hatten wir ja gemeinsam den Senat aufgefordert, die Schritte umzusetzen, die auf Landesebene möglich sind. Diese Einigung hat die SPD jetzt verlassen. Dafür fehlt mir jedes Verständnis. Ich finde es auch falsch, dass sich die SPD auf Bundesebene als Bremsklotz betätigt: Die Union ist bei der Cannabislegalisierung ohnehin vernagelt. Aber bei der SPD gab es mal hoffnungsvolle Anzeichen von Vernunft.

Damit ist jetzt Schluss?

Damit ist anscheinend leider Schluss. Wenn wir eine vernünftige SPD auf Bundesebene hätten, könnte man jetzt schon mit den Stimmen von FDP, Linken, uns Grünen und der SPD die kontrollierte Abgabe einführen.

Ist die Chance mit der großkoalitionären Einigung nun verpasst?

Sie ist zumindest nicht größer geworden. Die Bereitschaft, sich auf den Weg zu machen, war aber auch vorher nicht sonderlich ausgeprägt.

Zugleich hat sich Bremen auch die Möglichkeit verbaut, Vorreiter zu sein – weil die Liberalisierungsgegner befürchten, eine Insellösung führe zu Drogentourismus.

Das Argument kenne ich, ja. Es ist aber nicht stichhaltig: Wer soll sich denn in Niedersachsen in den Bus nach Bremen setzen, um dort zehn Gramm zu kaufen, von denen er aber vier auf dem Rückweg konsumieren muss, um in Niedersachsen wieder unter der Straffälligkeitsgrenze zu landen. Das macht kein Mensch. Und keins der Bundesländer, die eine Zehn-Gramm-Grenze eingeführt haben, klagt über Drogentourismus. Ich halte das für ein vorgeschobenes Argument.

Bloß warum? Aus Angst?

Ich glaube, es gibt mehrere Aspekte. Ich vermute, dass die Alkohol-Lobby starken Einfluss ausübt: Sie hat ein großes Interesse daran, dass Cannabis nicht legalisiert wird. Wer Cannabis konsumiert, trinkt möglicherweise weniger Alkohol. Wahr ist allerdings auch, dass viele Fehlinformationen in Bezug auf Cannabis zirkulieren. Viele Menschen wissen nicht, dass man sich zwar mit Alkohol, umbringen kann, nicht aber mit pflanzlichem Cannabis: Damit kann man viel machen, auch sich schädigen – aber tödlich ist es nicht. Oder, wie groß die Bedeutung der Zusammensetzung ist, also dass Cannabis, wenn es viel THC enthält, zu Halluzinationen führen kann, aber rein entspannend und schmerzlindernd wirkt, wenn die Cannabidiole dominieren: Solche Wirkstoffe führen auch nicht dazu, dass psychotisches Erleben verstärkt wird.

Sie selbst waren auch anfangs skeptisch bezüglich der Cannabis-Freigabe

Ja. Das begründete sich genau in meiner psychiatrischen Arbeit: Ich hatte viel mit Menschen zu tun, die durch Cannabis-Konsum in schwierige psychische Zustände gekommen sind. Ich hatte damals nicht verstanden, dass diese Effekte sich unter den Bedingungen des Schwarzmarkts verstärken: Auf dem Schwarzmarkt gibt es keine Deklarationspflicht, da gibt es keine Einsicht in die Wirkstoffkombination, und durch die Kriminalisierung werden die Leute, die Schwierigkeiten bekommen, abgehalten, sich Hilfe zu holen. Dass es gerade die Bedingungen der Prohibition und des Schwarzmarkts sind, die dem Gesundheitsschutz im Wege stehen, um das zu verstehen, habe ich eine Weile gebraucht.

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