Nabu-Experte über die Grundsteuer: „Spekulieren wird belohnt“

Die nächste Bundesregierung muss auch die Grundsteuer reformieren, fordern Naturschützer und Mieterbund. Siedlungsentwickler Henry Wilke erklärt, warum.

Luftbild von einer Eigenheimsiedlung im Speckgürtel einer Stadt

„Die Zersiedelung in Deutschland muss aufhören“, meint Henry Wilke Foto: dpa

taz: Herr Wilke, die Grundsteuer bringt jedes Jahr etwa 12,2 Milliarden Euro ein. Wo sehen Sie das Problem?

Henry Wilke: Die Grundsteuer ist extrem unfair, denn sie beruht auf Einheitswerten, die im Westen auf das Jahr 1964 und im Osten auf das Jahr 1935 zurückgehen. Der Bundesfinanzhof hält die Steuer daher für verfassungswidrig, und das Bundesverfassungsgericht hat angekündigt, dass es sich in diesem Jahr mit der Grundsteuer beschäftigen will.

Der Bundesrat hat bereits eine Reform vorgeschlagen. Warum sind Sie damit nicht zufrieden?

Die Bundesländer wollen das System nicht ändern, sondern die Grundsteuer nur an die aktuellen Verkehrswerte anpassen. Aber es würden weiterhin Gebäude und Grundstücke besteuert.

Was ist daran schlecht?

Spekulieren wird belohnt. Wer Bauland besitzt, auf dem kein Gebäude steht, zahlt derzeit nur geringe Steuern. Also lohnt es sich, Bauland zu kaufen und auf Vorrat zu halten – in der Hoffnung, dass die Bodenpreise weiter steigen. Gleichzeitig wird das Bauen im Bestand bestraft. Wer sein Gebäude modernisiert oder es erweitert und neue Mietwohnungen schafft, der muss hinterher höhere Grundsteuern zahlen.

Was wäre die Alternative?

Wir schlagen vor, dass nur noch der Boden besteuert wird. Die Grundsteuer würde zu einer sogenannten Bodenwertsteuer. Dann würde es sich nicht mehr lohnen, Brachflächen unbebaut zu lassen. In Deutschland gibt es in den Städten über 150.000 Hektar, die ungenutzt sind. Es würde die Zersiedelung bremsen, wenn erst einmal in den Innenstädten gebaut wird. Die Bodenwertsteuer wäre auch gerechter: Der Wert von Bauland steigt vor allem durch die öffentliche Infrastruktur wie etwa Straßen. Dieser leistungslose Profit würde gezielt besteuert – unabhängig davon, ob gebaut wird oder nicht.

Was stutzig macht: Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft unterstützt Ihren Vorschlag. Wollen Sie heimlich Steuern senken?

Nein. Die Bodenwertsteuer soll genauso viel bringen wie die jetzige Grundsteuer, also 12,2 Milliarden Euro. Es geht nur darum, die Spekulation mit Brachland einzudämmen. Zudem würde es auch den Verwaltungsaufwand drastisch senken, wenn man den Boden einheitlich besteuert. Es wäre nämlich enorm aufwendig, den aktuellen Verkehrswert von 35 Millionen Gebäuden in Deutschland zu bestimmen.

ist Referent für Siedlungsentwicklung beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu).

Trotzdem ist es doch erstaunlich, dass ausgerechnet Neoliberale und Naturschützer an einem Strang ziehen.

Sie vergessen, dass auch der Mieterbund unsere Grund­steuer­reform unterstützt. Als Nabu begrüßen wir diese breite Allianz. Wir haben uns noch nie als parteinah verstanden.

Spielt die Grundsteuer auch in den Sondierungsgesprächen von Union und SPD eine Rolle?

Inhaltliche Aussagen zur Grundsteuer kamen bei keiner Partei im Wahlprogramm vor. Trotzdem besteht Handlungsbedarf, denn das Bundesverfassungsgericht hat eine Reform angemahnt und wird nächsten Dienstag mündlich über die Grundsteuer verhandeln. Zudem muss die Zersiedelung in Deutschland dringend gebremst werden. Momentan werden jeden Tag 66 Hektar zubetoniert.

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