Vor Gericht in Ungarn: Flüchtlingshelfer gilt als Terrorist

Ein Syrer soll 2015 per Megafon Flüchtlinge aufgefordert haben, die Grenze zu überschreiten. Nun steht der letzte Termin in seinem Revisionsprozess an.

Flüchtlinge sitzen im Gras vor dem Grenzzaun in Röszke

Warten am Grenzzaun in Röszke Foto: dpa

BERLIN taz | Im ungarischen Szeged steht am heutigen Freitag zum vorerst letzten Mal Ahmed H. vor Gericht. Es ist der letzte Termin im Revisionsprozess gegen den zu zehn Jahren Haft verurteilten Syrer. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, am 16. September 2015 eine Gruppe von Flüchtlingen an der serbisch-ungarischen Grenze nahe des Dorfes Röszke per Megafon zum Grenzübertritt aufgerufen zu haben. Zudem habe H. dabei Gegenstände in Richtung von Polizisten geworfen. Nach neuem ungarischem Recht gilt dies nicht als Landfriedensbruch, sondern als Terrorismus. H. weist die Vorwürfe zurück. Die Staatsanwaltschaft fordert 17 Jahre Haft.

An jenem 16. September hatte Ungarn einen Zaun an der Grenze zu Serbien fertig gestellt. Gleichzeitig war ein Gesetz in Kraft getreten, dass den illegalen Grenzübertritt unter Strafe stellt, die Höchststrafe dafür wurde auf drei Jahre angehoben.

H. selbst war kein Flüchtling. Er lebte seit vielen Jahren legal auf Zypern, lebte dort mit Frau und Kindern. Nach Röszke war er nur gereist, um seinen greisen Eltern zu helfen, die damals aus Syrien geflüchtet waren und zu Ahmet H.s Bruder nach Hannover wollten.

Die teils seit Monaten fliehenden Menschen konnten in Röszke nicht vor und nicht zurück, die Lage war extrem angespannt. Einige Menschen warfen Steine, Stöcke oder Flaschen auf Beamte. Diese setzten Tränengas und Wasserwerfer ein, um die Menschen zurück auf die serbische Seite zu drängen. 15 Polizisten und mehr als hundert Flüchtlinge wurden verletzt.

Er soll der „Anführer“ gewesen sein

Einer Gruppe, darunter Ahmed H., gelang es, ein Tor der Sperranlage einzudrücken. Die Staatsanwaltschaft warf H. vor, „Anführer“ der Flüchtlinge gewesen zu sein. Elf Personen nahm die Polizei an jenem Tag in Röszke fest, einer davon war H. Seitdem sitzt er in Haft. 2016 hatte ihn ein Gericht in Szeged zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Eine Revisionsinstanz hatte einer Beschwerde von H. Recht gegeben und ein neues Verfahren angeordnet.

In diesem seien nun in dieser Woche die belastenden Aussagen von Polizisten „anscheinend zum ersten Mal auf Plausibilität geprüft worden“, sagt Britta Rabe vom Grundrechtekomitee, die den Prozess in Szeged beobachtet. Am Donnerstagmittag wurde sie mit einer Gruppe von AktivistInnen von der Polizei vorübergehend festgehalten.

Am heutigen Freitag soll ein Video von der Situation gesichtet werden, auf dem zu hören ist, was H. mit dem Megafon gesagt hat. Er selbst hat stets erklärt, er habe die aufgebrachte Menge beruhigen wollen. „Das wurde aber nie berücksichtigt, der Richter hat einfach den widersprüchlichen Aussagen der Polizisten geglaubt“, sagt Rabe.

Den Prozess sieht sie als klar politisch motiviert: „Erst am Montag, dem ersten Verhandlungstag, hat Ungarns Justizminister ein Interview gegeben und Ahmet einen Terroristen genannt.“ Die Regierung nutze die Verurteilung H.s in der ersten Instanz, um ihre Propaganda zu verbreiten, „dass jeder Migrant ein Terrorist ist“. Diese Vorstellung sei in Ungarn mittlerweile derart verbreitet, dass „niemand auch nur mehr über den Prozess spricht“.

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