#MeToo-Debatte in Frankreich: Frau Deneuve sagt „Pas comme ça“

Catherine Deneuve und 110 weitere Französinnen wenden sich öffentlich gegen die #MeToo-Debatte. Sie ernten Kritik von Feministinnen.

Eine Frau, Catherine Deneuve

Gegen den „Puritanismus“ im Gefolge der Weinstein-Enthüllungen: Catherine Deneuve Foto: dpa

PARIS taz | Ihnen gehen die Reaktionen auf den Weinstein-Skandal zu weit. In einem Diskussionsbeitrag in der Zeitung Le Mondewarnen hundertzehn prominente Frauen davor, mit der öffentlichen Anprangerung der männlichen „Schweine“ im Stil von #MeToo (in Frankreich heißt der dazu verwendete Hashtag #BalanceTonPorc oder eben auf deutsch: Prangere dein Schwein an) werde ein Klima der Denunzierung und der moralischen Säuberung geschaffen.

Gegen diesen „Puritanismus“ im Gefolge der Weinstein-Enthüllungen verteidigen die Unterzeichnerinnen ihre Vorstellung von sexueller Freiheit, aber auch – und dies erregt heute besonders Anstoß – ein Recht zur unaufgeforderten Anmache. Wo ist aber die Grenze zwischen Belästigung und erotischer Verführungskunst?

„Als Frauen können wir uns nicht mit diesem Feminismus identifizieren, der über die Verurteilung des Machtmissbrauchs hinausgehend ein Gesicht von Männerhass und Sexualfeindlichkeit annimmt“, postuliert der Text, der in Frankreich verständlicherweise viel Wirbel auslöst, da die darin vertretenen Positionen offenbar völlig gegen den Strom gehen. Umgekehrt halten die Verfasserinnen dieses offenen Briefs die laufende Kampagne für kontraproduktiv: „Die #MeToo-Kampagne in der Presse und den sozialen Netzwerken hat dazu geführt, dass Individuen wie sexuelle Aggressoren öffentlich angeschuldigt werden, ohne dass sie antworten oder sich verteidigen können.

Diese Schnelljustiz habe bereits ihre Opfer gefunden: Männer, die sanktioniert oder beruflich zum Rückzug gezwungen wurden, obschon ihr einziges Vergehen darin bestand, „ein Knie berührt, einen Kuss gestohlen oder während eines beruflichen Dinners über Intimes gesprochen zu haben oder einer Frau eine Botschaft mit sexuellem Inhalt geschickt zu haben, obwohl die Anziehung nicht auf Gegenseitigkeit beruhte.“

Generell meinen die Initiatorinnen, zu denen teils international bekannte Unternehmerinnen, Künstlerinnen, Journalistinnen und auch Schauspielerinnen wie Catherine Deneuve gehören, dass sich die Frauen verteidigen und sich nicht „in einer Rolle von permanenten Opfern einschließen“ lassen sollen. Ihrer Meinung nach wissen die Frauen selbst zu unterscheiden zwischen einer ungeschickten Form von Anmache und einer sexuellen Aggression. Doch gibt es so etwas wie eine Freiheit der Belästigung im Sinne unaufgeforderter Angebote? Das meinen die Verfasserinnen, die sich auf den Philosophen Ruwen Ogien berufen, der analog ein Recht, Anstoß zu erregen, als für die künstlerische Schaffensfreiheit unverzichtbar beansprucht habe. Und dann sei halt der Sexualtrieb „naturgemäß offensiv und wild“.

Der Sexualtrieb ist „naturgemäß offensiv und wild“

Die französische Sprache hat mit dem Wort draguer einen Begriff für diese ungenaue Grenze zwischen Flirt à la française und tölpelhafter Belästigung. Das dazu keine Form von physischer Aggression gehört, ist aber eindeutig. Gerade diese auch in Frankreich bekannten Grenzen werden in der Stellungnahme gegen die Puritaner verwischt. Besonders schockierend muss es jedoch sein, dass da auch beispielsweise ein gewisses Verständnis für die Grapscher in der Metro zum Ausdruck gebracht wird, weil das der Selbstachtung einer Feministin keinen Abbruch tun müsse: „Sie kann für Lohngleichheit kämpfen, ohne auf Lebenszeit traumatisiert zu sein wegen Grapschens in der Metro, auch wenn dies als Delikt gilt.“

Nachsicht sei völlig fehl am Platz, lautet eine Replik

Unfassbar und inakzeptabel finden eine solche „Banalisierung der sexuellen Gewalt“ dreißig bekannte Vertreterinnen der französischen Frauenbewegung in ihrer Antwort. Ihre Replik ist besonders scharf, weil sie den Verfasserinnen des Briefs in Le Monde vorwerfen, mit ihrer Haltung sexuelle Aggressionen nicht nur zu dulden, sondern auch noch im Namen einer sexuellen Freiheit zu verherrlichen: „Die Schweine und ihre Verbündeten haben allen Grund zur Sorge. Ihre alte Welt ist am Zusammenbrechen.“ Aber vielleicht hätten Deneuve und die anderen einfach nicht begriffen, „was jetzt passiert“.

Wie schon im Fall des (mehrerer Vergewaltigungen beschuldigten) Filmregisseurs Roman Polanski sei ihre Nachsicht völlig fehl am Platz. „Mit ihrem Text wollen sie den bleiernen Deckel, den wir zu heben begonnen haben, wieder schließen. Doch das wird ihnen nicht gelingen“, meinen die Feministinnen, die überzeugt sind, dass seit Weinstein auch in Frankreich eine grundlegende Änderung der Mentalitäten im Gange sei.

„Das ist ein Text, der es rechtfertigt, Frauen zu belästigen und Feministinnen zu beleidigen“, meint dazu heute die Feministin Caroline De Haas. Die ehemalige Ministerin für Frauenrechte, Laurence Rossignol, kritisiert eine ihrer Meinung nach „eigenartige Angst (gewisser Frauen), ohne den Blick und die Lust der Männer nicht existieren zu können. Das geht so weit, dass an sich intelligente Frauen solche Eseleien verfassen.“

Die frühere sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal hat auf Twitter geschrieben: „Schade, dass unsere große Catherine Deneuve sich an einem derart konsternierenden Text beteiligt.“

Polemik in Form eines Schlagabtauschs

Deneuve ist in Frankreich bekannt dafür, dass sie sich immer wieder für die Rechte der Frauen und andere fortschrittliche Anliegen öffentlich engagiert. Dass sie nun aber einen offenen Brief mitunterzeichnet, der nach Ansicht zahlreicher Feministinnen der Verteidigung der Frauen gegen sexuelle Gewalt in den Rücken fällt, hat viele überrascht oder enttäuscht. Die Frauenrechtsorganisation Osez le féminisme ruft in diesem Zusammenhang in Erinnerung, dass in Frankreich „eine von sechs Frauen im Verlauf ihres Lebens attackiert oder vergewaltigt wird“.

Das würde bestimmt auch Catherine Deneuve nicht infrage stellen. Ihr Anliegen, die sexuelle Freiheit gegen reaktionäre Bestrebungen zu verteidigen, die alles Intime unter dem Mantel des moralisch Korrekten pauschal und öffentlich anprangern, erscheint legitim. Doch der Text, den sie mitunterzeichnet hat, zielt an diesem Zweck vorbei.

Nicht alles aber ist „Eselei“ darin. Man versteht zum Teil ihre Motivation, wenn die Mitunterzeichnerin Sophie de Menthon, die Sprecherin des Unternehmerinnenklubs Ethic, sagt, sie wolle nicht, dass es so weit komme, dass in Firmen Männer bei Gesprächen mit Kolleginnen oder Besucherinnen aus Angst vor möglichen Verdächtigungen die Bürotüre offen lassen müssten. Die Debatte, wie weit die Anprangerung der mutmaßlichen „Schweine“ gehen soll oder wo im Gegenteil eine sexuell freizügige Lebensart infrage gestellt wird, hat mit dieser Polemik in Form eines Schlagabtauschs in Le Monde wohl erst begonnen.

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