Restaurantkritik-Serie Auf die Mütze (3): Die Angst des Koches vorm Verriss

Sie kommen unangemeldet zum Essen und lassen sich dann öffentlich darüber aus: Restauranttester können Spitzenköche fertig machen.

Eine Zeichnung zeigt wie ein Koch und einen Kritiker beim kämpfen

„Alles wissen aber nichts können“: Wenn Köche und Kritiker aneinandergeraten Illustration: Larissa Hoff

Zum Ende eines jeden Jahres steigt bei vielen Spitzenköchen der Blutdruck. Dann verteilen die wichtigsten Restaurantführer wie Michelin und Gault&Millau ihre Sterne und Hauben, gerade war es wieder so weit. Der hohe Blutdruck ist dabei meist mehr der Angst geschuldet als der Hoffnung. Denn eine Abwertung von Punkten oder Sternen ist noch schlimmer als das Sitzenbleiben in der Schule.

Im Grunde ist das ungerecht. Niemand bewertet öffentlich einen Müllmann dafür, ob er die Tonne mit elegantem Schwung sauber geleert wieder ordentlich an ihren Platz zurückstellt oder einen Automechaniker, einen Rechtsanwalt oder einen Schalterbeamten der Deutschen Bahn. Dabei können auch Schalterbeamte der Deutschen Bahn die Ausübung ihres Berufes so oder so bewerkstelligen.

Nur bei Köchen, Kunstschaffenden, Sportlern und Politikern scheint es erlaubt, sie ungestraft vor der ganzen Welt zu blamieren, wenn sie Fehler machen. Würde man dagegen öffentlich behaupten, Journalist Maier von den Neuesten Saarbrücker Nachrichten hätte im vergangenen Jahr deutlich schlechtere Artikel geschrieben als im Jahr zuvor, außerdem sei er bei seinen Terminen häufig ungewaschen und im selben Pullunder erschienen – Journalist Maier würde zu Recht zum nächsten Amtsgericht laufen und eine Klage wegen Verleumdung einreichen. Wahrscheinlich bekäme er recht.

Köche haben zu ertragen, was andere über sie sagen. Der Journalist Jay Rayner schrieb einmal im Guardian über das 3-Sterne-Restaurant „Le Cinq“ in Paris. Zur Vorspeise wurde ihm ein Canapé serviert, eine Art belegtes Brötchen. Es sehe aus „wie ein Brustimplantat aus Silikon für eine Barbiepuppe“ und schmecke „nach abgestandener Luft mit einem Hauch Ingwer“. Seine Begleiterin zitierte Rayner mit den Worten: „Das ist, wie in ein Kondom zu beißen, das bei einem gammeligen Obsthändler liegen geblieben ist.“

Wer klagt, ist ein schlechter Verlierer

Protestieren oder gar klagen lässt die Köche nur als schlechte Verlierer dastehen. Wie den Besitzer eines veganen Imbisses in Berlin, der nach einer Kritik im Tagesspiegel zurückbellte, er werde der Journalistin beim nächsten Treffen „Pommes in die Visage stopfen“.

Aber so reagiert auch nur ein Imbissbudenbesitzer. Echte Edelgastronomen schlucken ihren Ärger über eine schlechte Kritik hinunter oder fressen sie in sich hinein. Viel zu abhängig sind sie vom öffentlichen Urteil der Testesser. Das geht mitunter nur so lange gut, bis der innere Druck zu groß wird, bis irgendetwas platzt und wenn es nur der Kragen ist. Bei den Sensibleren unter den Spitzenköchen kann das tragisch enden. Im Februar 2003 beging der 3-Sterne-Koch Bernard Loiseau aus dem Burgund Suizid. Kurz zuvor war er in einem der großen Restaurantführer herabgestuft worden.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Im November 2013 saß ich zusammen mit Eckart Witzigmann, der zum „Jahrhundertkoch“ gekürten lebenden Legende, in einem der besten Restaurants der Welt, dem „L’Hôtel de Ville“ im schweizerischen Crissier, nicht weit vom Genfer See. Das Urteil Witzigmanns kann keinem Chef egal sein und Küchenchef Benôit Violier kochte für den deutschen Gast, als ginge es um sein Leben.

Violier hatte das Lokal erst vor Kurzem übernommen und war mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet worden, doch der finanzielle Druck lastetet schwer auf ihm. Und auch die Verantwortung für seine 40 Mitarbeiter. Wir aßen gesäuerte Rosinen zur Foie gras – Gänsestopfleber – und Kaisergranathummer.

Verzweifelter Kampf um Anerkennung

Aber der Gang, an den ich mich besonders erinnere, war das Ungewöhnlichste, was ich bis dahin gegessen hatte. Vor uns lag eine winzige kleine Schale, die sich als die Hirnschale einer Waldschnepfe entpuppte. Und in der ausgekochten Hirnschale befand sich das gekochte Gehirn der Waldschnepfe, so groß wie drei Stecknadeln. Da saß selbst der große Witzigmann ergriffen vor dem Teller und sagte nur das eine Wort: „Reschpekt“. Mir tat der Koch damals leid, weil mir dieses Gericht als die pure Verzweiflungstat eines Mannes vorkam, der nur das Eine ersehnte: Anerkennung.

Rund zwei Jahre später war Violier tot. Auch er hatte sich das Leben genommen, weil er dem Druck nicht mehr standhielt. Wahrscheinlich ist es wohl doch gesünder, die Enttäuschung über eine schlechte Kritik – und sei es auch nur die Angst davor – in Aggression gegenüber den Kritikern umzuwandeln.

Das konnte der Koch der Köche, der Franzose Paul Bocuse, hervorragend. „Eunuchen“ seien das, die seine Kochkünste bezweifeln, „die alles wissen aber nichts können“. Es muss ja nicht so weit gehen, wie ein Restaurantbetreiber im Süden von Wales, der Anfang dieses Jahres einem Gast nach dessen Beschwerde eine Handvoll Chilipulver in die Augen warf.

Doch keine Sorgen, das Verhältnis von professionellen Testern und Köchen ist in Wirklichkeit gar nicht so spannungsgeladen. In der Mehrzahl aller Fälle wird gebauchpinselt und gelobhudelt, wo es gar nichts zu bauchpinseln und lobhudeln gibt, weil der Koch und sein Kritiker sich entweder gut kennen oder voneinander profitierten.

Man darf es sich natürlich nicht so profan vorstellen, dass Köche für eine gute Kritik bezahlen. Es ist eher eine Kumpanei zum gegenseitigen Vorteil. Etwa, wenn Köche sich von Gourmetjournalisten als gut bezahlte Ghostwriter ihre Kochbücher schreiben lassen. Oder wenn sie einer Redaktion für ihre Weihnachtsfeier kostenlos Essen und Trinken servieren. Ganz ohne Hintergedanken, versteht sich.

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