Proteste im Kongo: Messe als Akt des Widerstandes

Die katholische Kirche spielt eine wichtige Rolle bei der jüngsten Mobilisierung zu Protesten. Es gab acht Tote, die Opposition spricht von „Barbarei“.

Menschen auf der Straße und eine Rauchwolke

Protest am letzten Tag des Jahres in der Hauptstadt Kinshasa Foto: ap

BERLIN taz | Die Anweisungen an die Demonstranten waren klar. „Keine brennenden Reifen. Keine Barrikaden. Keine Gewaltaufrufe. Keine Beschimpfungen. Keine Steinwürfe. Kein Vandalismus.“ Und falls Armee und Polizei doch einschreiten: „Ergreift nicht die Flucht, sondern schließt die Reihen und stimmt Gesänge an, oder geht in die Knie. Bleibt solidarisch, und wenn die Sicherheitskräfte jemanden festnehmen wollen, sollen sich alle der Festnahme stellen. Gegen Tränengas, nehmt nasse Tücher mit und Wasser. Habt eine Bibel dabei, Baumzweige, Rosenkränze, außerdem den Ausweis. Keine Banner oder Symbole politischer Parteien oder Bürgerbewegungen.“

Die Laienorganisation der katholische Kirche der Demokratischen Republik Kongo wusste genau, worauf sie sich einließ, als sie für den letzten Tag des Jahres 2017 zum Marsch für die „Befreiung des Kongo“ aufrief. Landesweit sollten nach der Frühmesse am Sonntag die Menschen auf die Straße gehen.

Anlass: Die ein Jahr vorher, am 31. Dezember 2016, von der katholischen Kirche ausgehandelte Vereinbarung zwischen der Regierung von Präsident Joseph Kabila und der Opposition über freie Wahlen innerhalb eines Jahres. Die ist nämlich nicht eingehalten worden.

„Kongolesisches Volk, nehmen wir unser Schicksal in die Hand“, beginnt der Aufruf. „Unserem schönen Land geht es schlecht.“ Je näher der Termin rückte, desto mehr Oppositionskräfte schlossen sich an. Zum ersten Mal seit Langem gab es für den 31. Dezember eine vereinte Front aller Kabila-Gegner. Eine hohe Beteiligung war sicher: Zur Kirche geht jeder, vor allem zu Silvester.

Internet abgestellt

Die Behörden verboten alle Aufmärsche. Am Samstag sprengte die Polizei Versammlungen und nahm Aktivisten fest. Landesweit wurden Internet und SMS-Dienste abgestellt, zum ersten Mal seit den schweren Unruhen vom Januar 2015.

Am Sonntag schafften es nur einzelne kirchliche Marschierer ein paar hundert Meter weit, bis sie mit Tränengas und Warnschüssen auseinander getrieben wurden.

Vital Kamerhe, Oppositionspolitiker

„Sogar in der Ära Mobutu hätten Armee und Polizei nie in der Kirche geschossen“

Kritik äußerten Beobachter an Oppositionsführer Felix Tshisekedi, der den Marsch von der Notre-Dame-Kathedrale anführen wollte, aber in einem Auto davonbrauste, als Polizei auftauchte.

In Limete, wo viele Oppositionsführer leben, wurden 600 Gläubige in der Kirche Saint-Raphael mit Tränengas beschossen und saßen drei Stunden lang in der Kirche fest. Eine Frau verlor das Bewusstsein, eine bekam eine Kugel in den Kopf.

Schüsse während der Messe

In der Kirche Saint-Michel im Stadtteil Bandalungwa schossen Sicherheitskräfte während der Messe. Der anwesende Oppositionspolitiker Vital Kamerhe berichtete, die Menge hätte sich bis zu 300 Metern vor der Kirche gedrängt. Nach der Bibellesung „schossen die Polizisten und Soldaten auf alles, was sich bewegte. Alles wurde dunkel, die Gläubigen warfen sich zu Boden. Wir mussten dem Priester zu Hilfe eilen, der in der Dunkelheit die Messe las. Was für eine Barbarei! Seit 1960 haben wir so etwas nicht gesehen. Sogar in der Ära Mobutu hätten Armee und Polizei nie in der Kirche scharf geschossen und Tränengas geworfen.“

Insgesamt gab es landesweit nach UN-Angaben acht Tote, darunter einen Polizisten. Die Regierung sagte, die Märsche hätten als Deckmantel für einen Aufstand dienen sollen.

Die Kirche steht neuerdings an vorderster Front der Opposition gegen Kabila. Vor dem Protesttag hatten einzelne katholische Priester in Kinshasa nächtliches Glockenläuten gegen die Diktatur eingeführt, donnerstags um 21 Uhr. Daraus wurden Lärmorgien mit Trillerpfeifen, Klappern mit Kochtöpfen, Auto und Vuvuzela-Hupen.

Der Gemeindepfarrer Vincent Tshomba im Ausgehviertel Matonge wurde deswegen festgenommen. Ein Politiker einer regierungstreuen Kleinpartei, der seit der ersten Aktion am 14. Dezember unter Herzproblemen leidet, hat ihn wegen Körperverletzung verklagt.

Kirche als Vermittler

Eine Konfrontation zwischen Staat und Kirche ist im Kongo besonders heikel. Nirgends in Afrika leben mehr gläubige Katholiken. Die katholische Kirche ist ein Machtfaktor, eine der wenigen auf dem gesamten Staatsgebiet funktionierenden Organisationen. Sie brachte sich als Vermittler ein, als Kabila die 2016 fälligen Neuwahlen verschleppte.

Dass das Ergebnis ihrer Vermittlung auch wieder verschleppt wurde – derzeit gültiger Wahltermin ist der 23. Dezember 2018 – hat für Empörung gesorgt. Zwar hat nicht die katholische Bischofskonferenz selbst zu den Protesten aufgerufen, aber sie hat sich diesen auch nicht entgegengestellt.

Die Kongolesen erinnern sich noch, wie am 16. Februar 1992 das katholische Laienkomitee zu Protesten gegen den damaligen Diktator Mobutu Sese Seko in Kinshasa aufrief. Der „Marsch der Christen“ wurde in Blut ertränkt. Es benötigte danach fünf Jahre und einen Krieg, um die Diktatur zu stürzen – und durch die gegenwärtige zu ersetzen.

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