Internetexperte über Netzneutralität: „Kein demokratischer Raum mehr“

In den USA können Provider künftig die Übertragungsgeschwindigkeit von Daten selbst regeln. Was bedeutet das für die Nutzer in Deutschland?

Ein Schneckenhäuschen auf einem Kabel

Der Preis für die beste Bebilderung zum Thema Netzneutralität geht an Christian Ohde Foto: imago/Christian Ohde

taz: Die US-amerikanische Kommunikationsbehörde FCC hat die Netzneutralität gekippt. Kann das wirklich das „Ende des offenen Internets“ einläuten, wie auf ihrer Seite netzpolitik.org zu lesen ist?

Markus Beckedahl: Die Visionäre, die vor vierzig Jahren das Internet entwickelt haben, glaubten an das Ende-zu-Ende-Prinzip. Die jeweiligen Endnutzer sollten entscheiden, wie wir miteinander kommunizieren, ohne dass sich jemand in der Mitte einmischt. Dieses Prinzip gibt die FCC-Entscheidung auf. Wenn nicht mehr alle Inhalte gleich behandelt werden müssen, werden digitale Zollschranken kommen, an denen entschieden wird, was schneller oder langsamer durchläuft.

Welche Gefahren ergeben sich daraus? Sind kritische Blogs künftiger schwerer aufzurufen als Streamingdienstleister wie Netflix?

Wenn es nur das wäre… Vor fünfzehn Jahren haben Provider, also Telekommunikationsunternehmen, schon versucht, die Gewerkschaften im eigenen Unternehmen zu zensieren und den Zugang zu Foren mit Kundenbeschwerden zu blockieren. Nun werden die Provider versuchen, mit Durchleitungsgebühren abzukassieren.

Warum sollten Provider nicht selbst entscheiden dürfen, welche Inhalte sie wie schnell übermitteln?

Das Netz ist dann kein demokratischer, öffentlicher Raum mehr. Wer zahlen kann, dessen Inhalte werden schneller übermittelt. Da kann Geld auch entscheiden, ob und wie schnell zum Beispiel taz-Inhalte weitergeleitet werden.

ist Internetaktivist, Gründer und Autor des Blogs netzpolitik.org.

Aber kann man sich als Netflix-Nutzer nicht über schnelleres Streaming freuen, wenn die Netzneutralität fällt?

Netflix ist schon jetzt recht schnell. Wenn man als Kunde aber vielleicht mal einen anderen Anbieter ausprobieren möchte, der sich keine privilegierte Datenübertragung leisten kann, sieht es schlecht aus.

Die Aufgabe der Netzneutralität bezieht sich doch zunächst nur auf die USA.

Die Entscheidung wird aber auch hier Auswirkungen haben. Wenn in den USA zum Beispiel nichtkommerzielle Anbieter oder Start-Ups durch langsame Datenübertragung benachteiligt werden, verhindert das Innovationen in Deutschland. Außerdem werden natürlich auch die heimischen Telekommunikationsriesen ihr Lobbying gegen die Netzneutralität weiter ausbauen. Man habe ja nun Wettbewerbsnachteile gegenüber den USA.

Nun gibt es aber eine EU-Verordnung, die das Prinzip der Netzneutralität festschreibt.

Diese Verordnung verbietet zwar die Drosselung von Inhalten, aber es gibt ein so genanntes Zero-Rating. Dabei wird die Nutzung bestimmter Dienste, wie Facebook oder Whatsapp, nicht auf das vereinbarte Datenvolumen angerechnet. Solche Deals mit den Anbietern können sich große Unternehmen leisten, die auch einen Vorteil bekommen. Alle anderen nicht.

Was könnte man dagegen unternehmen?

Man könnte das auch national regeln. In den Niederlanden hat man mal versucht, Zero-Rating zu verbieten, das Gesetz kam aber nicht durch. Die Bundesnetzagentur müsste hier aktiv werden.

Wer lobbyiert hierzulande gegen die Netzneutralität?

Deutsche Telekom, Vodafone, O2 und die Kabelnetzbetreiber. Sie machen vor allem mit dem Thema Breitbandausbau Druck. Um den Ausbau der Netze zu finanzieren, fordern sie die Aufgabe der Netzneutralität. Das stimmt aber nicht, auch ohne Netzneutralität wird es auf dem Land kein schnelleres Breitband geben.

Entwerfen sie eine Dystopie. Wie sieht unsere Gesellschaft ohne Netzneutralität aus?

Schon jetzt kontrollieren immer weniger Firmen immer mehr Inhalte, weil Provider wie die Telekom ja nicht nur den Zugang zum Internet bereitstellen, sondern auch Streamingdienste und anderes. Das könnte sich verstärken. Großunternehmen wie Apple haben jetzt schon genug Geld um Telekommunikationsunternehmen aufzukaufen. Wenn das passiert würden Apple-Nutzer in Zukunft in einer Blase leben, in der nur von Apple bereitgestellte oder abgesegnete Inhalte den Weg zum Kunden finden. Ob die Inhalte der taz wohl dazugehören würden?

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