Im Kampf gegen die AfD: „Kultur zivilisiert dieses Land“

Bremens scheidende EU-Parlamentarierin Helga Trüpel über EU-Kulturpolitik und die Frage, was das mit dem erstarkenden Nationalismus zu tun hat.

„Ich bin ja im Grunde keine Bremer Politikerin mehr“, sagt Helga Trüpel Foto: Jan Zier

taz: Frau Trüpel, Sie glauben, die europäische Kulturpolitik müsse auf die Wahlerfolge unter anderem der AfD reagieren. Wie denn?

Helga Trüpel: Ich glaube, angesichts der autoritären Typen von Trump über Putin bis Erdogan ist die Frage: Wie können wir die liberale Demokratie verteidigen, oder geht es zurück zum Nationalismus? Trump steht für Nationalismus, Victor Orbán auch, Xi Jinping praktiziert chinesischen Stamokap-Nationalismus, Marine Le Pen ist National-Sozialistin. Und auch die AfD ist eine nationalistische Partei. Das Erstarken dieser autoritären Politiken gefährdet unsere liberale Demokratie, und es geht darum, sie mit all ihren Zumutungen zu verteidigen, weil wir überzeugt sind, dass sie mehr Vor- als Nachteile für uns hat.

Wir befinden uns in einem Kulturkampf?

Es sind unterschiedliche Kulturen, ganz klar: Ein Gauland kann die kulturelle Modernisierung und Entwicklung nicht ertragen. Deswegen hasst er Merkel so, und bekämpft sie geradezu bis aufs Blut, da kommt seine Mission her.

59, hat in Bremen Germanistik, Religionspädagogik und Psychologie studiert. Seit 1980 ist sie bei den Grünen, 1987 zog sie das erste Mal in die Bremische Bürgerschaft ein. 1991 bis 1995 war sie Senatorin für Kultur und Ausländerintegration in einer Ampel-Koalition. Seit 2004 ist sie Mitglied des Europäischen Parlaments und gehört dort der Fraktion der Grünen/EFA an.

Klar: „Wir werden sie jagen“, hatte er angekündigt. Das klang schon hasserfüllt.

Dass Frauen etwas zu sagen haben, dass Schwule und Lesben etwas zu sagen haben, dass sie sogar heiraten können, die Abschaffung der Wehrpflicht – alle Modernisierungs- und Öffnungstendenzen unserer Gesellschaft bekämpfen Gauland & Co. Das ist für mich eine zutiefst kulturpolitische Auseinandersetzung.

Da verschwimmt der Unterschied zwischen kultureller und kulturpolitischer Auseinandersetzung: Soll Kulturpolitik sich so stark inhaltlich festlegen?

„Wenn es all' die kulturellen Angebote nicht gäbe, hätte die AfD noch stärker abgeschnitten“

Nein, das wäre falsch. Es geht aber sehr wohl um die formale Frage: Wenn Olaf Henkel als gemäßigter Vertreter des Spektrums – er hat ja mit Lucke die AfD verlassen – sich hinstellt und behauptet, es dürfe gar keine europäische Kulturpolitik geben, weil es Kultur nur national gäbe, nur den nationalen Roman, die nationale Oper, das nationale Kunstwerk, dann ist das noch vor aller Inhaltlichkeit falsch: Das ist einfach dummes Zeug. Alle Literaturen, alle Musiken sind von anderen beeinflusst.

Klar. Das lässt sich nicht leugnen.

Das ist aber genau, was Henkel versucht: Er leugnet diese Tatsache, um europäische Kulturpolitik zu verhindern. Dabei verfügen wir ja ohnehin nur über ein viel zu kleines Budget für grenzüberschreitende Projekte: Die eigentliche Kulturkompetenz liegt bei den einzelnen Mitgliedsstaaten beziehungsweise bei den Bundesländern.

Zu klein heißt?

Es sind nur 1,6 Prozent vom Gesamtetat der EU. Um mehr Leute zu erreichen, müsste es viel mehr sein. Das gilt für das ganze Kulturprogramm. Wenn wir KünstlerInnen fördern wollen, und denjenigen, denen es nicht so gut geht, Teilhabe ermöglichen und Chancen eröffnen wollen, wenn wir durch eine Politik des Empowerment möglichst vielen ermöglichen, sich in dieser globalisierten Welt zu orientieren, dann muss das Gewicht der Kulturpolitik dringend wachsen.

Also ist die bisherige Kulturpolitik gescheitert. Schließlich hat sich dieser ganze Neonationalismus erst ausgebreitet, seitdem die europäische Kulturpolitik ernsthaft arbeitet.

Nein, gescheitert ist sie definitiv nicht! Allerdings lässt sich die zentrale Auseinandersetzung zwischen Autoritarismus und liberaler Demokratie nicht allein mit kulturpolitischen Mitteln führen. Aber ohne wäre sie bereits verloren: Kulturpolitik kann einen demokratischen Kulturbegriff hochhalten, zu dem jeder und jede dazugehört, der auf dem Boden der europäischen Grundlagenverträge steht.

Und welche politischen Vorgaben wollen Sie Künstler*innen jetzt machen?

Um Himmelswillen gar keine! Ich sage nur, dass Kultur in einer freien Gesellschaft vor allem die Rolle der Selbstreflexion übernimmt. Ich schreibe KünstlerInnen nichts vor, wie es autoritäre PolitikerInnen wollen und wie es die Nazis gemacht haben. Ich gebe ihnen die Möglichkeit, zu reflektieren und Vorschläge zu machen. Und je mehr es davon gibt, desto mehr Möglichkeiten haben die Menschen. Wer die Chance hat, zu reflektieren und sich mit tollen Angeboten auseinander zu setzen, hat ein größeres Maß an Freiheit.

Der kausale Zusammenhang zwischen Kulturpolitik und AfD-Wählern ist empirisch nicht greifbar: Sachsen hat eine starke Kulturlandschaft, Städte wie Dresden und Leipzig haben eine herausragende soziokulturelle Szene – und trotzdem massig AfD-Wähler*innen.

Wahr ist, Sachsen hatte den höchsten Anteil an AfD-Wählern. Aber in Studentenstädten wie Leipzig, in denen es ein ausgeprägt urbanes kulturelles Leben gibt, haben sie nicht so stark abgeschnitten. Es ist aber trotzdem vorhanden: In Bremen ist ja auch der schreckliche Herr Magnitz gewählt worden. Nur: Wenn es all' die kulturellen Angebote nicht gäbe, hätte die AfD noch stärker abgeschnitten, das ist meine These. Je mehr Vielfalt es gibt, desto weniger verfängt der autoritäre Politikansatz. Ein Garant dafür, dass keiner rechts wählt, ist das nicht. Das kann Kulturpolitik nicht leisten.

Bloß: Was denn dann? Brauchen wir eine Kompletturbanisierung?

Nein, jeder und jede hat das Recht an seinem Ort und auf seine Weise zu leben. Wer das Landleben liebt, sich zuallererst seiner Heimat verbunden fühlt und nicht das Bedürfnis hat, so kosmopolitisch zu sein, wie ich, den achte ich doch. Auch das ist Vielfalt, die ich verteidige. Jeder hat das Recht nach seiner Fasson glücklich zu sein. Ich mache doch keine Vorgaben, wie jemand zu leben hat. Ich bin doch keine Verbieterin. Ich bin eine Grüne Ermöglicherin.

Und durch welche konkreten Maßnahmen äußert sich das?

Konkret heißt das, ich kämpfe für einen höheren Kulturetat, mit dem wir sowohl regionale Traditionen, also die hergebrachte kulturelle Heimat der Menschen, schützen, als auch Neugier und Mobilität durch Programme wie Erasmus fördern.

Und hier in Bremen?

Ich bin im Grunde ja keine Bremer Politikerin mehr, und ich will ganz sicher niemandem zu nahe treten. Aus meiner alten Verantwortung als ehemaliger Kultursenatorin würde ich sagen, es ist wichtig, immer wieder deutlich zu machen: Die Kultur zivilisiert dieses Land. Dafür braucht sie den Rückhalt in der Politik: Kultur und Kunst zu stützen ist der Beitrag der Politik gegen eine geschlossene und selbstreferentielle Gesellschaft, Nationalismus und die schrecklichen Tendenzen von rechts.

Bloß können Kunst und Kultur auch rechte Inhalte kommunizieren.

Ja. Das gibt es. Es gibt faschistische Kunst und Architektur, und es gibt KünstlerInnen, die rechte Tendenzen stützen. Das kannst du nicht verhindern in einer offenen Gesellschaft. Ich kann nur politisch sagen: Ich finde das nicht richtig. Und: Wählt mich, statt Gauland. Und das mache ich die ganze Zeit.

… oder jetzt halt: Wählt mich nicht mehr?

Nein, ich sage nicht: Wählt mich nicht mehr. Ich habe gesagt, ich kandidiere nicht mehr. Nach 15 Jahren Europaparlament ist es für mich mal gut. Das ist etwas anderes. Ich mache meine Arbeit da zu Ende, und zwar sehr engagiert. Aber dann werde ich einfach mal rotieren: Manchmal hat Rotation eben doch etwas Gutes.

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