Selbstmord in Untersuchungshaft: Suizid vor laufender Kamera

Ein 26-Jähriger tötete sich in U-Haft offenbar mit einer Schnur – obwohl er sich in einer Suizid-Präventionszelle befand. Die WärterInnen schauten gerade nicht hin

So lückenhaft wie die Videoüberwachung: Zaun der JVA Oslebshausen Foto: Ingo Wagner/dpa

BREMEN | taz Ein Häftling in dem Bremer Gefängnis Oslebshausen hat sich selbst umgebracht, obwohl er in einer Suizid-Präventionszelle saß. Am vergangenen Samstag hat sich der 26-Jährige nach Angaben des Leiters der Justizvollzugsanstalt (JVA), Carsten Bauer, mit einer Schnur an einem Fenster erhängt. Trotz Videoüberwachung war den WärterInnen zu spät aufgefallen, dass der Mann leblos neben seinem Bett lag. Nach umgehenden Wiederbelebungsmaßnahmen war der Mann ins Krankenhaus gebracht worden und erlag am Dienstag seinen Verletzungen.

„Die Suizid-Präventionszelle schützt ein bisschen vor Suizid, aber nicht zu 100 Prozent“, sagte Bauer der taz. In Bremen gebe es ein mehrstufiges Präventionssystem, um Selbstmorden vorzubeugen. Die letzte Maßnahme bei akuter Gefährdung sei eine geflieste Sicherheitszelle, in der es außer einem Loch im Boden, einer Schaumstoffmatratze nichts gebe – nicht einmal Tageslicht.

Wegen der „erheblichen Einschränkungen“, die dieser Raum auf suizidale Häftlinge ausübt, sei das jedoch nur die äußerste Maßnahme. Der 26-Jährige sei nach Gesprächen mit einer Psychologin in die niedrigschwelligere Suizid-Präventionszelle verlegt worden, wo es auch Gegenstände wie Heizung und Fenster gibt, „weil ein Suizid bei ihm von vornherein als unwahrscheinlich beurteilt wurde“, sagt Bauer – „im Nachhinein eine tragische Falschdiagnose.“ Eine Rund-um-die-Uhr-Videoüberwachung gibt es allerdings auch in der Suizid-Präventionszelle. Wieso also ist nicht aufgefallen, dass der Mann sich an seinem Fenster strangulierte? „Wir haben eine Sicherheitszentrale mit 20 Monitoren, die immer mit zwei Leuten besetzt ist“, sagt Bauer. Nur hätten die beiden Beamten auch noch andere Aufgaben als Videoüberwachung, zumindest einer jedoch sitze immer vor den Monitoren.

Nur vergangenen Samstag offenbar nicht: „In der Nacht klagte ein anderer Insasse über starke Schmerzen und ein Krankentransport ins Krankenhaus musste organisiert werden – in diesem Moment hatte man die Suizid-Präventionszelle nicht zu 100 Prozent im Blick“, sagt Bauer.

Am 19. Januar 2017 erhängte sich der 25-jährige Anton G. in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg (UHA), nachdem er als „stabil“ eingestuft wurde und in eine normale Zelle kam.

Am 21. August erstickte sich der 49-jährige Christoph S. in seiner Zelle mit einem Müllbeutel und einem Schal in der JVA Fühlsbüttel.

Am 29. August erhängte sich der 40-jährige Abdullah K. in seiner Zelle in der UHA - zuvor habe es keine Anzeichen suizidalen Verhaltens gegeben.

Am 10. September erhängte sich der 39-jährige Chris Z. in seiner Zelle der UHA, nachdem er als „orientiert und stabil“ eingestuft wurde.

Besonders gefährdet sind Untersuchungshäftlinge unmittelbar nach ihrer Aufnahme, insbesondere wenn ihnen schwere Delikte vorgeworfen werden, sie sich im Drogenentzug oder in psychiatrischer Behandlung befinden.

In U-Haft gibt es ein Suizid-Screening, bei der die Gefährdung nach „Vier-Augen-Prinzip“ eingeschätzt werden soll, zudem wurden „gefährdungsarme Hafträume“ und „bessere Unterbringungsbedingungen“ geschaffen.

Als die Beamten den Mann leblos neben dem Bett auf dem Bauch liegen sahen, habe man sofort Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet. Woher der Gefangene die Schnur hatte, kann Bauer nicht beantworten, zumal nun Staatsanwaltschaft und Polizei die Ermittlungen übernommen haben. Oberstaatsanwalt Passade bestätigt, dass nun ein „Todesursachenermittlungsverfahren“ stattfinde, um die Umstände abzuklären und ein Fremdverschulden auszuschließen. In den nächsten Tagen sei mit einem Ergebnis zu rechnen.

Der 26-Jährige saß in Untersuchungshaft, weil er Anfang Dezember auf seine Freundin im Bremer Stadtteil Gröpelingen mit einem Messer eingestochen und diese schwer verletzt hatte. Die Frau ist inzwischen außer Lebensgefahr. Die Polizei nahm den Mann fest, nachdem er von einer Rettungswagenbesatzung „in einem hilflosen Zustand auf einem Grünstreifen“ aufgegriffen worden war.

Jeder neu aufgenommene Gefangene wird bei Haftantritt ärztlich untersucht, wobei auch ein mögliches Suizid-Risiko festgestellt werden soll.

In den vergangenen sechs Jahren gab es in Bremen vier Suizide in Obhut des Staates. Zwischen 2006 und 2009 gab es schon einmal sechs Suizide in Bremer Gefängnissen. Deshalb wurde zuletzt auch die Suizid-Prävention ausgebaut. Bauer sagt, Bremen sei damals vorangegangen, es habe hier früher Präventionsräume als anderswo gegeben. Deswegen seien diese in ihrer Ausstattung „nicht mehr ganz auf dem Stand“.

Die Justizbehörde in Hamburg beschäftigten in diesem Jahr ebenfalls vier Suizide in Gefängnissen. Ende September tagte der Justizausschuss zu Suizidprävention in Haft. Dort habe sich der Experte für forensische Psychologie, Peer Briken, trotz der Häufung positiv zu Hamburgs Präventionsmaßnahmen geäußert. Zusammen mit Klaus Püschel, Institut für Rechtsmedizin, hatte der 2013 der Justizbehörde Verbesserungsmaßnahmen empfohlen, die mittlerweile „weitgehend umgesetzt“ seien. Dort gibt es etwa neben dem „Suizid-Screening“ bei Aufnahme auch ein „Vier-Augen-Prinzip“ bei der Beurteilung einer Suizidgefährdung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.