Grüne nach dem Jamaika-Aus: Demonstrativ selbstbewusst

Die Grünen lecken Wunden und geben sich als vernünftige und verantwortungsvolle Opposition. Glücklich mit der Situation ist indes niemand.

Mehrere Menschen auf einer Bühne

Das Jamaika-Verhandlungsteam auf der Bundesdelegiertenkonferenz Foto: dpa

BERLIN taz | Ein bisschen Selbstbeweihräucherung muss sein nach diesen irre anstrengenden Wochen. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt dankt jedem einzelnen aus dem Sondierungsteam, das sie „die wilde 14“ nannten. Da wäre Cem Özdemir, wie sie Spitzenkandidat im Wahlkampf, natürlich. Dann Jürgen Trittin, der das Finanzpapier in Rekordzeit verhandelte und von dem CDUler Jens Spahn als „coole Socke“ bezeichnet wurde. Oder Claudia Roth, die wie eine Löwin in der Flüchtlingspolitik kämpfte. Gruppenfoto, Geschenkkörbe mit Orange, Apfel und Schokolade, Standing Ovations.

Dazu der Soundtrack der 80er-Jahre-Actionserie „Das A-Team“, als hätten sie sich alle gerade aus einem Hubschrauber abgeseilt oder seien aus einem brennenden Auto gehechtet. Cool und zukunftszugewandt, das sei nicht die FDP, hat Göring-Eckardt kurz zuvor in die Berliner Industriehalle gerufen. Das seien die Grünen. „Geht raus und versteckt euch nicht!“ Die Delegierten, die am Samstag auf dem Grünen-Parteitag des Jamaika-Aus analysieren, jubeln dankbar. Seele streicheln kommt gut gerade.

Eine seltsame Mischung aus Trotz und Melancholie liegt in der Luft. Die Grünen sind stolz auf das Erreichte, auf die Geschlossenheit während der harten Sondierungen mit Union und FDP, die Anerkennung in der Öffentlichkeit, die guten Umfragewerte. Aber sie wissen, dass nun wohl wieder vier harte Oppositionsjahre auf sie zukommen. Kleinste Fraktion, wenig Redezeit, eingeklemmt zwischen Linkspartei, der FDP und den Rechtspopulisten von der AfD. Schön ist das nicht, wenn man sich kurz davor wähnte, an die Regierung zu kommen.

Aufstehen, Krönchen richten, weitermachen. Die Parteispitze müht sich, den Schalter umzulegen und wieder in die Offensive zu kommen. Dazu gehört, die eigenen Erfolge maximal herauszustellen. „Knüppeldick waren die Verhandlungen“, ruft Özdemir auf der Bühne. Aber: „Das Ganze hätte sich sehr gelohnt für diese Republik.“ Er erzählt von dem Paket, dass sich beim Klimaschutz andeutete. Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 7 Gigawatt stilllegen, das wäre der Einstieg in den Kohleausstieg gewesen. Auch im Kampf gegen Kinderarmut, betont er, hätte es relevante Verbesserungen gegeben.

Liberales Erbe noch nicht übernommen

Wem die Grünen die Schuld am Tod von Jamaika geben ist klar: Seit Tagen ziehen sie über ihren Lieblingsfeind her. Wenn Christian Lindner Kompromisse für eine Demütigung halte, „dann fehlt es ihm an Demut vor Aufgaben, die manchmal größer sind als man selbst“, röhrt Özdemir mit Joschka-Fischer-Sound in die Halle. Auch eine Idee, wie die Grünen daraus Kapital schlagen können, liefert er mit. „Lasst uns zugehen auf diejenigen, die sagen, ihr habt uns beeindruckt bei diesen Sondierungen.“

Vor vier Jahren, als die FDP aus dem Bundestag geflohen sei, habe es ein Fenster gegeben. Nämlich diejenigen Freidemokraten, die nichts gegen Europa, Steuern an sich und Weltoffenheit hätten, zu den Grünen zu holen. Dem Teil, der sich bei einer Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu Hause fühle, wolle er „ein Angebot“ machen, sagt Özdemir. Ganz frisch ist diese Idee nicht. Schon nach 2013 wollten die Grünen die FDP als liberale Kraft beerben, schrieben besinnliche Papiere über Freiheit und veranstalteten Kongresse, um sie zu diskutieren.

Özdemir klingt selbstbewusst, der Jubel in der Halle auch. Die allermeisten hier sehen es so: Die Sondierungen für ein Jamaika-Bündnis, die die FDP am vergangenen Sonntag abbrach, haben den Grünen Respekt verschafft. Sie liegen in Umfragen bei komfortablen 12 Prozent, die allermeisten Medien loben ihre Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Das Problem ist nur: Die neue Stärke hilft ja nicht viel, wenn man nicht gestalten kann.

Nicht wirklich lustig

Zwar beschließt der Parteitag, dass die Grünen gesprächsbereit bleiben – und sich auch an einer Minderheitsregierung beteiligen würden. Doch führende Grüne wetten auf eine neue Große Koalition. Ihr Eindruck sei, dass die SPD nach acht Wochen Opposition wieder in Schoß der Kanzlerin zurückkehre, sagt Parteichefin Simone Peter.

Auch Göring-Eckardt blättert in ihrer Rede schon einmal auf, wie sie sich die künftige Oppositionsarbeit vorstellt. Die Fraktion werde – zwischen ganz Rechten, rechten Freidemokraten und Linken – diejenige sein, die Vernunft und Argumente vortrage. Man werde über die kruden Vorschläge der anderen lachen.

Auch das klingt demonstrativ selbstbewusst. Aber allen schwant, dass die Situation nicht wirklich lustig ist. Die Bundestagswahl hat einen Rechtsrutsch in der Republik dokumentiert. Und die Sondierungen mit Lindners FDP haben die Grünen noch einmal ernüchtert. Jürgen Trittin vermisst in seiner Rede die politische Landschaft neu. Die FDP sei nicht mehr die Partei Guido Westerwelles oder Rainer Brüderles, ruft er. Sie wolle nicht mehr gestalten und ziele darauf, rechts von der Union Stimmen einzusammeln. „Die FDP Christian Lindners ist eine rechte bürgerliche Protestpartei.“

Zu viel „Regierung im Wartestand“

Entsprechend, folgert Trittin, müssten die Grünen die Große Koalition progressiv und von links unter Druck setzen, damit Deutschland nicht weiter nach rechts rutsche. „Dann beanspruchen wir die politische Oppositionsführerschaft.“ So wie er sehen das viele, gerade im linken Flügel. Zahm, angepasst und freundlich, so wirkten die Grünen ein bisschen zu oft in den vergangenen vier Jahren. Beim Werben um die bürgerliche Mitte vergaßen sie manchmal, dass die Opposition auch eine beliebte Kanzlerin scharf kritisieren kann.

Der Finanzexperte Gerhard Schick ist einer der wenigen, die selbstkritische Töne anschlagen. Die Grünen hätten während der Sondierungen klarer gesagt, wofür sie ständen, als während der Oppositionsjahre, ruft er. „Wir waren zu sehr die Regierung im Wartestand.“

In dieselbe Bresche schlägt auch der Haushälter Sven-Christian Kindler. Die Grünen müssten sich anders als bisher aufstellen und eine „emanzipatorische und linke Opposition“ gegen die Groko sein. Das sind feine Spitzen gegen den mittigen Kurs von Özdemir und Göring-Eckardt. Die beiden Realos haben die vergangenen Jahre dominiert und über den Wahlkampfkurs bestimmt.

Kreuzberger Revolte scheitert

Und die mit Spannung erwartete Abrechnung mit den Deals der Jamaika-Verhandlern? Bleibt weitgehend aus. Die Grüne Jugend gibt vernünftig und routiniert ihre Kritik zu Protokoll. Bei der Flüchtlingspolitik seien die Sondierer weit über die Schmerzgrenze hinaus gegangen. Nur der Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg schert aus. Einen kritischen Sound möchte er in den Leitantrag stimmen lassen.

Canan Bayram, die direkt gewählte Abgeordnete des Berliner Bezirks, argumentiert, dass es in einem Jamaika-Bündnis bei Themen wie Mieterschutz, Gleichstellung oder Queerpolitik vier Jahre Stillstand gegeben hätte. Ausgerechnet Trittin, der linksgrüne Altkämpfe, pulverisiert den Vorwurf in einer Gegenrede, verweist auf Erfolge und die taktische Situation. „Außerhab von Friedrichshain-Kreuzberg sind CDU und CSU keine Splitterparteien.“ Die Kreuzberger Revolte scheitert grandios.

Ein Grund für die abgeklärte Ruhe ist das vierzehnköpfige Verhandlerteam, das alle Strömungen der Partei fein säuberlich abdeckt. Das beste Beispiel: Die ehemalige Parteichefin Claudia Roth, mit großer Credibility bei Flüchtlingspolitik ausgestattet, verhandelte über den Familiennachzug. Und über den „atmenden Rahmen“ von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr, den die Grünen akzeptiert hätten. Auch die sicheren Herkunftsstaaten Algerien, Tunesien und Marokko sollen die Sondierer um des lieben Friedens willen angeboten haben.

Kampf um Posten

Eigentlich sind das dicke Brocken für die empörungswilligen Grünen. Ein Delegierter sagt, hätte man die Jamaika-Kompromisse gemacht, dann hätte es auf dem Parteitag „wirklich gekracht“. Aber Claudia Roth nehmen hier alle ab, um jede Silbe in den Sondierungspapieren gekämpft zu haben.

Nun, da die Opposition droht, gewinnt auch der Kampf um die Posten an Fahrt. Anton Hofreiter erklärte am Freitag bei einem Treffen des linken Flügels, dass er wieder für den Fraktionsvorsitz kandidieren wolle. Dafür habe es großen Applaus gegeben, berichten Teilnehmer. Hofreiter Schritt war erwartet worden. Eine offene Frage ist, was aus Özdemir wird. Jener will nicht noch einmal für den Parteivorsitz kandidieren – und hatte das zuletzt in der taz beteuert. Wenn es tatsächlich eine Große Koalition gibt, würde er auch als Spitzenkandidat für Neuwahlen nicht mehr gebraucht.

Endet Özdemir, gerade 51 Jahre alt, als einfacher Abgeordneter? Das wäre eine seltsame Personalpolitik. Özdemir ist ein starker Redner und einer der beliebtesten Politiker Deutschlands. Beim internen Treffen der Realos wurde die Causa diskutiert. Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, ein Özdemir-Unterstützer, empfahl der Fraktion laut Teilnehmern, die Besten an die Spitze zu stellen. Hofreiters Ansage ist deshalb auch ein Signal an die Realos. Erfahrene Abgeordnete glauben, dass er die besseren Chancen auf eine Mehrheit als Özdemir hätte.

Gefühl der Ohnmacht

Neben dem linksgrünen Hofreiter könnte dann wieder Göring-Eckardt die Fraktion führen. Auch sie wird über ihre Karriere nach der Spitzenkandidatur nachdenken, und viele aussichtsreiche Gegenkandidatinnen sind im Realo-Flügel nicht in Sicht.

Auch die Wahl der Parteivorsitzenden steht im Januar an, wenn es keine Neuwahlen gibt. Özdemir nannte in der taz bereits Namen – seine Co-Vorsitzende Simone Peter, die nochmal antreten will, war nicht dabei. Dass viele Grüne sich Robert Habeck in dem Job wünschen würden, ist kein Geheimnis. Doch Schleswig-Holsteins Energiewendeminister hält sich bisher alles offen. Er spricht am Rednerpult von einem Gefühl der Ohnmacht, weil die Grünen nun doch nicht mitgestalten könnten.

Die Frage des Vorsitzes umschifft er nonchalant. Jetzt gehe es erst mal um die Lage in Deutschland. Im Januar werde man dann einen Vorstand wählen „zu der Situation, wie wir sie vorfinden“.

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