Kolumne Dumme weiße Männer: Maßlos aus Gewohnheit

Weiße Männer beschweren sich, dass sie in der #MeToo-Debatte nicht mitreden dürfen. Dabei geht es die ganze Zeit nur um weiße Männer.

Harvey Weinstein im Porträt

„Ich bin es gewohnt“, sagte Harvey Weinstein, um zu erklären, warum er Frauen belästigte Foto: reuters

Auf den meisten Partys gibt es diese eine Person, die durch die Räume läuft, sich kurz dazu stellt und beim Gespräch mithört. Wenn sie ein paar Schlagwörter aufgeschnappt hat und einen Einsatz findet, geht es los: Sie erzählt, wie ihr genau dasselbe passiert sei. Nur, dass es ganz anders gewesen sei. Aber eigentlich wollte sie ohnehin über etwas ganz anderes sprechen. Man ist dankbar für diese Leute, wenn die Party dröge ist, wenn das Gespräch nur zäh in Gang kommt. Ist es aber gerade spannend und bittet man sie, kurz Ruhe zu geben, zieht sie maulend weiter: „Oh mein Gott, wie unhöflich“. Diese Person ist oft: ein weißer Mann.

Die Öffentlichkeit ist keine Party, aber die Unterhaltung kann manchmal besonders spannend werden. Beispielsweise in den letzten Wochen, als Berichte über (fast ausschließlich) weiße Männer erschienen, die ihre Machtpositionen ausnutzten, um Frauen unerlaubt anzufassen, sie mit sexuellen Handlungen in unpassenden Kontexten zu verunsichern oder sie zu sexuellen Handlungen zu erpressen.

Es ist nicht so, dass in der Debatte die Stimmen von weißen Männern fehlen würden. Zunächst einmal kommen die Übergriffigen selbst zu Wort und man muss sich allerhand anhören. Sie erklären ihr Verhalten damit, dass sie „in den 60ern“ aufwuchsen, dass es sich bei den Anschuldigungen um einen „Medienwahn“ handele, dass nichts vorgefallen sei, außer dass man jemanden mal „geküsst und dann abgeleckt“ habe, dass „falsche Narrative“ auf Basis von „Fünkchen Wahrheit“ verbreitet würden. Es gibt auch die vielen Eingeständnisse und Entschuldigungen, die darauf hinweisen, dass es sich nicht um einen „Medienwahn“ handelt.

Es gibt aber auch die vielen Journalisten in Deutschland, weiße Männer, die die Fälle hier kommentieren. Zeit-Autor Adam Soboczynski findet die Debatte beispielsweise „überreizt“, sie werde genutzt, um „kleine Alltagsrechnungen“ zu begleichen. Im Deutschlandfunk sagt Moderator Stephan Karkowsky, man hätte in den neuen Belästigungsparagrafen schreiben müssen “wen“ er bestrafen will – denn dieser habe auch ihn verunsichert. Im Tagesspiegel vergleicht Joachim Huber “älterer weißer Mann“ als Beschimpfung mit „Kanake“ und „Jude“ – so als habe er noch nie von Rassismus und Antisemitismus gehört. Und gut eine Woche nachdem es mehr als ein Dutzend Vorwürfe gegen Kevin Spacey gegeben hatte, sprach in der FAZ Edo Reents von „Hörensagen“.

Weiße Männer machen jede Menge dummes Zeug und reden dann jede Menge dummes Zeug darüber und fühlen sich dabei als Opfer. Als Opfer eines Medienwahns, als Opfer von Rechnungsbegleicherinnen, als Opfer von Karrierezerstörerinnen. Selbst wenn sie wie Joachim Huber im Tagesspiegel behaupten, weiße Männer seien die „Stahlträger des Systems“, die Politik „beherrschen“ und Wirtschaft „dominieren“ und die „Opferrolle“ ablehnen, lassen sie es sich nehmen, sich erst einmal mit den Juden zu vergleichen.

Entsprechend wenig überraschend ist die nächste Welle der Opfererzählung: Weiße Männer dürfen neuerdings nämlich nicht mitreden. „Eigentlich“, kokettiert zum Beispiel Jan Fleischhauer in einer kürzlichen Kolumne auf Spiegel Online, habe sein Text „so nie erscheinen dürfen“ – weil er ein weißer Mann sei.

Herbeifantasierte Verbote

Nun wäre es spannend gewesen, von der dunklen Macht zu hören, die seinen Text versuchte zu zensieren – und wie Fleischhauer es schaffte, sie doch zu besiegen. Doch dazu kommt es nicht. Denn niemand hat ernsthaft versucht, seinen Text zu verhindern – es haben nur Frauen irgendwo mal „Klappe halten“, beziehungsweise „Fresse halten“ gesagt. Davon fühlte sich Fleischhauer angesprochen und schrieb einen Text darüber. Ein Text darüber, dass man keine Texte schreiben darf, die man doch schreiben darf. Ein Mitreden darüber, dass man nicht mitreden darf, obwohl man mitreden darf.

So werden Mitredeverbote herbeifantasiert, obwohl es darum geht, ein bisschen weniger und ein bisschen leiser zu sprechen. Obwohl es darum geht, dass nicht jeder weiße Mann nochmal dasselbe Argument machen muss, sondern auch andere, wichtigere Stimmen gehört werden können. Obwohl es darum geht, dass wenn man ohnehin schon die Debatte beherrscht, man nicht noch den restlichen Platz damit vermüllt, dass man angeblich nicht mitreden darf.

Nur wer es wie weiße Männer gewohnt ist, ständig und zu allem mitreden zu dürfen, kann so maßlos reagieren, wenn die eigene Stimme nicht mehr die einzige oder die wichtigste ist. Und da findet sich dann auch die Parallele zur #MeToo-Debatte. Nur wer so maßlos ist, alle haben zu wollen, wie Harvey Weinstein, ist beleidigt, wenn sie „nein“ sagen. „Ich bin es gewohnt“, sagte Weinstein zu den Frauen, die er belästigte, „komm schon“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Lalon Sander ist Datenjournalist. Sein Schwerpunkt liegt in der Aufbereitung von Datensätzen zum Klimawandel.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.