Flüchtlingspolitik: Eine Wende ist das noch nicht

Der rot-rot-grüne Senat lässt etwas weniger abschieben und erkennt mehr Härtefälle als die Vorgängerregierung an. Dennoch gibt es Kritik vom Flüchtlingsrat.

Protest gegen Abschiebung nach Afghanistan am Frankfurter Flughafen Foto: dpa

Die von Rot-Rot-Grün angekündigte liberalere Handhabung des Aufenthaltsrechts ist zwar in Ansätzen zu erkennen, ein echter Paradigmenwechsel aber steht noch aus. Das ergibt sich aus aktuellen Zahlen, die die taz von der Senats­innenverwaltung ­erfragt hat. Danach wurden unter Innensenator Andreas Geisel (SPD) von Januar bis einschließlich Oktober 1.427 Menschen abgeschoben, Hauptherkunftsländer waren Moldau (632), Albanien, (150), Kosovo (101) und Irak (91). Unter seinem CDU-Vorgänger Frank Henkel waren es im ganzen Jahr 2016 insgesamt 2.028 Menschen, Hauptländer hier waren Serbien, Albanien, Kosovo sowie Bosnien und Herzegowina.

Im Koalitionsvertrag hatte die rot-rot-grüne Landesregierung vor gut einem Jahr in punkto Beendigung des Aufenthalts einen „Paradigmenwechsel“ angekündigt. „An die Stelle einer reinen Abschiebepolitik soll die Förderung einer unterstützten Rückkehr treten“, heißt es dort. Dies ist offenkundig noch nicht eingelöst, sonst hätte die Zahl der Abschiebungen signifikanter sinken müssen.

Weiter heißt es im Koalitionsvertrag: „Abschiebungen in Regionen, in die Rückführungen aus humanitären Gründen nicht tragbar sind, wird es nicht mehr geben.“

Tatsächlich hat sich Berlin bislang nicht an den umstrittenen bundesweiten Sammelabschiebungen nach Afghanistan beteiligt, auch wenn man dies für „Gefährder“ nicht grundsätzlich ausschließen will. In den Irak werden Menschen jedoch sehr wohl „rückgeführt“. Pro Asyl kritisiert Abschiebungen in das kriegsgeschüttelte Land, auch das Auswärtige Amt warnt weiterhin vor Reisen dorthin: „Die Sicherheitslage im gesamten Irak bleibt volatil. Die Zahl der terroristischen Anschläge vor allem im Nord- und Zentralirak ist seit Langem sehr hoch“, schreiben die Diplomaten.

962 Mal „humanitäres Bleiberecht“

Die neue Koalition hatte auch versprochen, die rechtlichen Möglichkeiten des Aufenthaltsrechts unter humanitären Gesichtspunkten voll auszuschöpfen. Tatsächlich hat Geisel mit der Härtefall-Kommission von Januar bis Anfang Dezember mehr Fälle beraten als sein Vorgänger Henkel (213 statt 133) und mehr Anträgen stattgegeben (68 Prozent statt 58,5 Prozent). Zudem wurde laut Innenverwaltung in 962 Fällen ein „humanitäres Bleiberecht“ erteilt.

Für den Flüchtlingsrat ist dies allerdings „viel zu wenig“, wie er in seiner Bilanz von einem Jahr Rot-Rot-Grün kritisiert. Der Senat solle die Ausländerbehörde auffordern, die gesetzlichen Möglichkeiten für humanitäre Aufenthaltstitel besser zu nutzen, fordert der Rat.

Eigentlich war im Koalitionsvertrag vereinbart worden, eine ExpertInnenkommission mit Wohlfahrtsverbänden, MigrantInnenorganisationen, Flüchtlingsrat und anderen Experten einzuberufen, „die Empfehlungen für die Überarbeitung der Verfahrenshinweise der Ausländerbehörde Berlin (VAB) erarbeitet“. Die Idee ist, die Mitarbeiter der Behörde zu einer liberaleren Auslegung gesetzlicher Spielräume im Sinne der Flüchtlinge zu bewegen. Doch bislang hat die Kommission ihre Arbeit laut Flüchtlingsrat noch nicht aufgenommen.

In seiner Bilanz kritisiert der Rat auch Berlins Umgang mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen. Es gebe „gravierende Kindeswohl- und Kinderrechtsverletzungen“ durch mangelhafte Unterbringung, unzureichende psychosoziale, psychologische und medizinische Versorgung sowie „willkürliche Altersfeststellungsverfahren“. Auch „die Einschulung von Flüchtlingskindern und -jugendlichen bleibt wie unter der Vorgänger-Regierung chaotisch“.

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