Videobeweis in der Bundesliga: So macht man das!

Die taz hat sich die Fehler der bisherigen Handhabung des Videobeweises genau angeschaut – und ein Gegenmodell entworfen.

ein Mann guckt auf einen Bildschirm

Was gibt es Schöneres, als einem Schiedsrichter beim Fernsehen zuzuschauen? Foto: dpa

BERLIN taz | So geht es nicht weiter. Der zu dieser Saison probeweise eingeführte Videobeweis beweist bislang nur eines: Er wurde recht kopflos und übereilt eingeführt. Er ist eine Farce. Statt die Schiedsrichter durch das technische Hilfsmittel zu entlasten, wurden sie entmündigt. Statt für mehr Klarheit zu sorgen und die leidigen Debatten über Fehlentscheidungen zu beenden, wird so viel wie nie zuvor über fragwürdige Eingriffe ins Spiel diskutiert.

Lutz Michael Fröhlich, der neue Projektleiter des Videobeweises, hat deshalb alle zur Mithilfe aufgerufen. „Es gibt Probleme, aber er (der Videobeweis, Anm. der Redaktion) ist sicher nicht gescheitert. Jetzt liegt es an allen – Schiedsrichter, Vereine, Fans und Medien –, ihn nach vorne zu bringen.“

Die taz-Sportredaktion will sich der Aufgabe gern stellen. Zumal die ersten Korrekturmaßnahmen, die Fröhlich ankündigte, fast schon satirischen Charakter haben. Statt aus den gemachten Fehlern zu lernen, sollen diese bestärkt werden. In der Kölner Überwachungszentrale soll künftig pro Spiel ein zweiter Videoschiedsrichter sitzen. Mehr vom Falschen und Alten scheint die Devise zu heißen. Dabei ist ein Neuanfang notwendig. Die taz hätte da ein paar Ideen:

Das Schiedsrichterwesen ist allein dem Deutschen Fußball-Bund unterstellt. Nichts läuft ohne den DFB. Doch was genau läuft, soll niemand wissen. Die Schiedsrichterei ist ein Geheimbund. Und am liebsten hätten es der DFB, wenn das so bliebe. Als Manuel Gräfe, ein äußerst erfahrener Bundesliga-Schiedsrichter, in einem Interview jüngst Vetternwirtschaft, Intransparenz und schlechten Führungsstil in der Schiedsrichterabteilung anprangerte und dabei auf ein Günstlignssystem hinwies, verpasste ihm die Ethikkommission des DFB glatt einen Maulkorb.

Fandel ist raus

Dass er mit seiner Kritik einen Nerv getroffen hatte, zeigt, dass Heribert Fandel nun keine Lehrgänge der Schiedsrichter-Elite mehr besuchen darf, obwohl er Chefcoach der Referees ist. Und dass einer wie Hellmut Krug seine Rolle als Supervisor der Videoschiedsrichter so interpretiert hat, dass er Einfluss auf mehrere Entscheidungen in einem Spiel genommen hat, ist natürlich auch nicht öffentlich verhandelt worden. So kann es nicht weitergehen.

Es braucht einen unabhängigen Schiedsrichterverband, in dem sich Berufsschiedsrichter selbst organisieren. Die Führung des Verbandes sollte von den organisierten Referees gewählt werden. Eine Amtszeitbegrenzung von vier Jahren sollte das Aufkommen eines feudal agierenden Günstlingssystem verhindern helfen.

Auch die Unparteiischen vor den Bildschirmen in der Überwachungszentrale von Köln sind lediglich Interpreten von streitbarem Szenen. Der Fußball ist nicht von subjektiven Einflüssen zu befreien

Natürlich geht es nicht ganz ohne Einfluss der Verbände. Der DFB bleibt für die Umsetzung der internationalen Fußballregeln in Deutschland verantwortlich. Die Ausführungsbestimmungen werden mit Profischiedsrichtern beraten. Die DFL finanziert den Schiedsrichterverband und sollte als Mitglied eines Aufsichtsrats in finanziellen Fragen eine Kontrollfunktion haben. Ansonsten organisieren sich die Schiedsrichter selbst, sorgen für das Training, das Scouting und die Ansetzungen.

Sollten die Verbände versuchen, Einfluss auf Entscheidungen der Schiedsrichtergilde zu nehmen, muss dies umgehend öffentlich gemacht werden. Die Sportgerichtsbarkeit sollte einem Schiedsgericht unterstellt werden. Bis jetzt ist der DFB Ankläger und Richter in einem. Keine gute Idee. Die Schiedsrichter müssen Zeugen sein, der DFB Ankläger und die Richter un­abhängig. Freuen wir uns also auf transparente Verfahren, die auch dann funk­­­tio­nieren, wenn einmal ein Schiedsrichter wegen Manipulationsverdacht auf der Anklagebank landet.

Weg mit den Videoassistenten

Die Deutsche Fußball-Liga hat zu Beginn dieser Saison namentlich einen „Videoassistenten“ eingeführt, der in Wirklichkeit jedoch der Chef ist. Schon diese unaufrichtige Bezeichnung offenbart, dass hier Unpassendes passend gemacht werden sollte. Welcher Schiedsrichter würde dem Mann am Bildschirm im Kölner High-Tech-Studio, der im Besitz der Superzeitlupe ist, widersprechen? So sind die Schiedsrichter auf dem Feld zum verlängerten Arm der Kölner Kontrolleure geworden, die sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnen und per Funk ihre ­Handlanger steuern. Aber auch die Unparteiischen vor den Bildschirmen sind lediglich Interpreten von strittigen Szenen.

Klar, es gibt unstrittige Fehlentscheidungen. Dennoch ist das Einsatzgebiet der Videoassistenten („gravierende Fehler des Schiedsrichters“) nicht klar definierbar. Wann wird ein Fehler gravierend? Der Fußball ist nicht von subjektiven Einflüssen zu befreien. Das cleane Kölner Studio der objektiven Wahrheitsfindung ist eine Fiktion.

Auch hier schwappt – wenn auch von außen nicht nachvollziehbar – jede Menge Menschliches hinein. Schiedsrichter stehen in einem Konkurrenzverhältnis zueinander. Macht einer Fehler, profitieren die anderen. Es geht um Macht und Aufstieg. Dass die einen die anderen objektiv kontrollieren könnten, ist eine Schnapsidee. Die Spielleitung muss wieder an den Ort des Geschehens verlegt werden.

Verantwortung dezentralisieren

Der Verzicht auf das zentrale Wahrheitsorgan, das Kölner Kontrollstudio, soll aber nicht zum Verzicht des Videobeweises führen. Denn die Einsicht, dass Irrtümer nur begrenzt vermieden und Gerechtigkeit nicht von oben herab organisiert werden kann, unterstreicht vielmehr die Vorzüge des Challenge-Systems, wie es etwa im American Football in der National Fooball League in den USA praktiziert wird. Dort können die Trainer zweimal im Spiel Schiedsrichterentscheidungen anfechten.

In der Fußball-Bundesliga sollte man sich künftig auf jeweils eine Intervention des Trainers während einer Partie beschränken, um einerseits den Fluss des Spiels zu gewährleisten und um andererseits die Autorität des Schiedsrichters nicht zu häufig in Frage stellen zu können. Die technischen Voraussetzungen dafür sind schon erfüllt, da die Referees bereits in dieser Saison nach Eingriffen aus Köln sich die jeweiligen strittigen Spielszenen an einem TV-Bildschirm am Spielfeldrand anschauen konnten.

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Die Vorteile dieses Modells liegen auf der Hand. Den Beschwerdeführern bei Fehlentscheidungen wird die Kontrollmöglichkeit selbst in die Hand gegeben. Indem man die Trainer in die Verantwortung miteinbezieht, nimmt man ihnen auch die Möglichkeit, es sich auf der Kläger- und Opferseite zu bequem zu machen. Die strikte Begrenzung der Interventionsmöglichkeit wird wiederum dazu führen, dass das Instrument nur in vermeintlich glasklaren Situationen genutzt wird und die Wahrscheinlichkeit von Streitfällen, wie sie in den letzten Wochen inflationär verhandelt wurden, verringert wird.

Sowohl die Fifa als auch DFB und DFL haben sich bislang schwer mit dem Gedanken getan, Schiedsrichtermacht abzugeben, weshalb man das Challenge-System nicht einmal testen wollte. Die jüngsten Erfahrungen machen aber die Notwendigkeit einer Umkehr sichtbar. Statt den Druck auf das Schiedsrichterwesen mit der Schaffung eine Ober­instanz noch zu erhöhen, sollte man ihn mit der Schaffung von Neben­instanzen abfedern.

Entscheidungen sichtbar machen

Warum die Zuschauer im Stadion weniger vom Spiel sehen sollten als die Fans vor den Bildschirmen zu Hause und in der Kneipe, ist nicht einzusehen. Die strittige Entscheidung, die sich der Schiedsrichter noch einmal auf dem Bildschirm ansieht, gehört auf die Stadionleinwand. Dadurch, dass es die Coaches sind, die für die Überprüfung einer Szene sorgen, wird das Videostudium zum Teil des Spiels.

Die Beteiligten befinden sich in der Arena. Das Videostudium wird zum Teil des Events. Wieso sollte man das nicht zeigen dürfen. Ob den Fans der Ausgang der Challenge passt oder nicht, sollte keine Rolle spielen. Gepfiffen wurde schon immer über Schiedsrichterentscheidungen – auch dann, wenn die ungehaltenen Fans ganz genau wussten, dass der Schiri gar nicht falsch lag. Wer das verhindern will, muss das Publikum gleich ganz aussperren.

Fair Play wagen

Es mag peinlich klingen, moralisch, naiv oder dumm. Aber wie wäre es eigentlich, wenn sich die Spieler dem Fair-Play-Gedanken verpflichten würden. Wenn sie nach einem Schubser nicht so täten, als müsste ihnen gleich ein Bein amputiert werden. Wenn sie nicht so oft zum Flug über die Grasnarbe abheben würden, wenn sie nur den Atem eines Gegenspielers spüren. Wenn sie nicht so oft Anlauf nehmen würden und mit einem gezielten Tackling das Sprunggelenk des Gegenspielers anvisieren würden.

Und vor allem – wenn sie nicht wider besseres Wissen jede Schiedsrichterentscheidung gestenreich kritisieren würden, als stünde ihnen ein Blinder gegenüber. Wäre mal was anderes.

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