Kulturkampf und Political Correctness: Der Dogmatismus des Guten

Football-Profi Newton muss wegen einer sexistischen Bemerkung Abbitte leisten. Aber im Entrüstungssturm bleibt ein Grundproblem ungelöst.

ein Footballer holt zum Wurf aus

Kleiner Tipp für Cam Newton: erst denken, dann reden Foto: ap

Neulich hätte Cam Newton lieber geschwiegen. Aber da hatte er sich schon verplaudert. Als die Lokaljournalistin Jourdan Rodrigue sich beim Quarterback der Carolina Panthers nach Laufwegen seiner Teamkollegen erkundigte, da sagte der Ballverteiler wohl etwas unbedacht: „Es ist witzig, eine Frau über Laufwege reden zu hören.“

War das wirklich witzig? Die amerikanische Öffentlichkeit befand: nein. Definitiv nicht. Der übliche Sturm der Entrüstung, entfacht von Kulturkämpfern im Netz, brandete an Newtons Gestade. Danone kündigte einen Sponsorenvertrag. Der Sportler musste Abbitte leisten, kleinlaut und demütig, was sonst eher nicht Newtons Art ist.

So ziemlich alle waren sich einig, dass dieser Satz ein Beleg für Newtons sexistische Haltung gegenüber Frauen war, und wahrscheinlich haben sie recht. Aber in diesem Satz steckt noch mehr. Die Hauruck-Hermeneutiker sahen nur, was sie sehen wollten: einen Mann, der sich im Ton vergriffen hatte und für den im Sport leider üblichen Chauvinismus steht.

Tatsächlich schwingt in Newtons Aussage auch Anerkennung mit: Da ist eine Frau, die das Spiel durchdringen will, die nicht an der Oberfläche bleibt, sondern sich für Taktik und Struktur der Spielzüge interessiert. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Ist es aber nicht. Im Sportjournalismus besetzen diese Rollen der Auskenner meist Männer. Sie sind die Taktikexperten und Statistiknerds. Sie, die im Sportjournalismus so krass in der Mehrheit sind, glauben, die Sportweisheit mit Löffeln gefressen zu haben.

Oberflächliche und boulevardeske Dinge

Frauen sind in diesem paternalistischen System dann leider allzu oft für die oberflächlichen und boulevardesken Dinge zuständig. Dafür, wie sich der Sportler fühlt, ob die Spielerfrau mit zum Match reist oder warum Newtons Garderobe so flamboyant ist. Sie dürfen auch, wenn sie denn gut aussehen, den großen TV-Sport präsentieren, aber wird es dann ernst, machen sich fast nur Männer an die Analyse des Spiels.

Cam Newton ist auf vertrackte Weise verwoben in diese Usancen des Sportsystems, das in Europa ja nicht anders funktioniert. Wenn sich die DFB-Elf zu großen Turnieren aufmacht, wird sie schätzungsweise von 98 Männern und zwei Frauen begleitet. Und alle spielen ihre Rolle: Die Männer ergehen sich in Nerddiskussionen, die Frauen stellen Fragen, die wohl niemand für einen Beitrag zur Emanzipation halten würden.

Die Überhitzung des Diskurses hat zu einem unguten Klima geführt. Es gibt einen starken Anpassungsdruck

Newton ist also in eine Falle getappt, weil das System, in dem er sich bewegt, voller Anachronismen ist. Das befreit eine erregte Öffentlichkeit aber nicht davon, auch eine Position des Verstehens, Abwägens und Differenzierens einzunehmen. So eine Position gibt jedoch nicht den Brennstoff her, mit dem der mediale Durchlauferhitzer befeuert wird. Das kühle Argument zählt nicht mehr so viel, der hitzige Vorwurf dafür umso mehr.

Es sind diese überschießenden Reaktionen der Kulturkämpfer, die das Miteinander zu einem Ausflug auf Treibsand zu machen. Ein falsches Wort, eine unbedachte Wendung – und schon hängt man knöcheltief drin. Die Folgen sehen nicht selten so aus: sozia­ler Pranger, Entrüstungseskalation auf Twitter. Es schwingt der Verdacht mit, ein Unhold zu sein.

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Die Überhitzung des Diskurses hat zu einem unguten Klima geführt. Es gibt einen in manchen Organisatio­nen geradezu übermächtigen Anpassungsdruck. Man erstickt lieber die Kritik oder das Unbotmäßige, rettet sich in die Sicherheit des Schweigens, als dass man in den Verdacht gerät, den Zeitgeist mit seinen stark manichäischen Strömungen nicht verstanden zu haben. Cam Newton hatte da wohl noch etwas Nachholbedarf, sonst hätte er der Journalistin nicht so flapsig geantwortet.

Damit so ein kommunikativer Fauxpas nicht noch einmal passiert, muss auf Teufel komm raus geregelt werden. Früher hatte man wohl im besten Falle Anstand und Respekt, heute braucht man Schulungen und Sprachregelungen, um die bürgerlichen Tugenden durch Gefolgschaft und Korrektheit zu ersetzen. Aber selbst der aufgeklärte und korrekte Mensch ist nicht davor gefeit, Fehler zu machen. Er muss sie zwangsläufig machen, weil sich die Standards für korrektes Verhalten verändern. Was gestern noch richtig war, kann heute schon falsch sein.

Was eben noch normale, durch den Duden und Konventionen legitimierte Sprache war, ist morgen womöglich schon beleidigend und menschenfeindlich. Auch in einem Reinraum findet sich immer noch ein Staubkorn, eine Fluse, die es zu beseitigen gilt. Nie wird man wirklich fertig mit der Erziehung von Sportlern, Belegschaften oder einer Bevölkerung, die einen fatalen Hang zum Schmäh, zur unkorrekten Sprache haben. Deshalb gilt es, wachsam zu sein im Reich der Sprachobservatoren.

Gegen eine Zähmung von Rassisten und Sexisten, gerade im Sport, ist natürlich nichts zu sagen. Gegen Zudringlichkeiten von Kulturkämpfern, die nur Extreme und die Durchsetzung ihrer Agenda kennen, dagegen schon. Unangenehm ist ja auch, dass des Kulturkämpfers Zweck die Mittel heiligt. Weil er, der Gute, sich an einer Front wähnt im Gefecht gegen das Böse, darf gepöbelt und denunziert werden. Im Mittelpunkt steht nicht das Argument, sondern leider oft der Angriff auf die Person.

Beständige Selbstreinigung als Läuterungsritus

Die Kulturkämpfe des Jahres 2017 generieren ihren Impuls mitunter aus einer Zeit, in der Selbstbezichtigungsrituale und die schnelle Gerichtsbarkeit an der Tagesordnung waren. Nikolai Bucharin, ein russischer Revolutionär, der offensichtlich nicht selbstkritisch genug war, hat schon vor knapp einhundert Jahren erkannt, dass die beständige Selbstreinigung der Kulturkämpfer ein Läuterungsritus ist, der dem Glaubensgenossen die Erforschung seines Gewissens befiehlt. Dessen „Erkenntnisse“, also die begangenen und imaginierten Verfehlungen, hat er brav der Kontrollinstanz zu beichten – manchmal mit unschönen Folgen. Diese Schuldbekenntnisse sind der Nektar, von dem sich die Gemeinschaft nährt.

Kurzum: Selbst im linientreuesten Gefolgsmann – also nicht nur in Newton und Co. – schlummert ein Abweichler, weswegen alle irgendwie des unkorrekten Verhaltens verdächtig sind. So entsteht ein Klima der Gängelung und Submission. Diese Zeit ist in den Tiefen der Geschichte versunken, möchte man meinen. Doch der Dogmatismus der guten Tat lebt weiter fort. Er kommt heute im Gewand des moralisch überlegenen Kulturkämpfers daher, eines Kombattanten, der auf seiner Mission nicht zimperlich ist.

Cam Newton, so viel ist sicher, wird sich jetzt dreimal überlegen, was er einer Reporterin antwortet. Am besten, er sieht in der Fragestellerin nicht eine Exotin, sondern einfach nur eine Sportexpertin, die etwas Sportliches von ihm wissen will. Denn so war die Frage ja eigentlich gedacht.

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