Debatte Syriens Zukunft und Opposition: Deutsche mögen Lösungen

Politiker hierzulande scheinen von syrischen Oppositionellen Rezepte für eine stabile Zukunft Syriens zu erwarten. Warum eigentlich?

Beschädigte Portraits von Baschar al-Assad und seinem Vater hängen an einer beschädigten Wand

Baschar al-Assad (links) ist nur noch ein Detail aus der Vergangenheit Foto: reuters

Kürzlich nahm ich an einer Debatte zum Thema Syrien teil. Nach Referaten von zwei sehr kompetenten Syrern über Syriens neue Eliten nach sechseinhalb Jahren Revolution und Krieg meldete sich ein ehemaliger deutscher Abgeordneter zu Wort. Er stelle Syrern die immer gleiche Frage, ohne bisher eine befriedigende Antwort erhalten zu haben: Könnten die Syrer Garantien dafür geben, dass die Lage nach einem Sturz Assads besser würde? Er wäre sehr froh, wenn er von einem der Redner oder der Anwesenden eine Antwort bekäme.

Nicht nur die joviale Art des Fragestellers war provozierend, sondern auch seine Worte: Er forderte von den Syrern Garantien dafür, dass sich nach dem Verschwinden des hauptverantwortlichen Mörders die Situation im Land verbessere, was implizierte, dass dieser Mörder möglicherweise aus nachvollziehbaren Gründen töte.

Auch bei früheren Treffen mit westlichen Diplomaten oder Politikern konnte ich dieses Muster beobachten: Wir, die syrischen Oppositionellen, werden stets unter Druck gesetzt, eine Garantie für die zukünftige Ordnung in unserm Land nach einem Sturz des Regimes zu geben. Da wir ihnen das, was sie hören wollen, jedoch nicht bieten können, enden unsere Treffen stets enttäuschend. Die Geflüchteten, die ihre Zuversicht verloren haben und deren Familien und deren Land zerstört wurden, sind frustriert darüber, dass das, was sie über den Verantwortlichen der Situation und die Lage in ihrem Land sagen, eine Verschwendung der wertvollen Zeit westlicher Politstrategen zu sein scheint. Und die westlichen Verantwortlichen sind frustriert, weil sie keine „zufriedenstellenden Antworten“ hinsichtlich des vermeintlich drohenden „Vakuums“ in Syrien bekommen.

Ein System von Verhaftungen und Folter

Geordnete Zustände erfordern ein System, das diese Zustände regelt, wie zum Beispiel die „Sicherheitsinfrastruktur“, die Hillary Clinton, auch ohne Assad, unbedingt hatte erhalten wollen, wie sie in ihren Memoiren „Hard Choices“ darlegt. Diese „Sicherheitsinfrastruktur“ aber ist es, die seit über 40 Jahren für die Demütigung der Syrer verantwortlich ist. Denn auf ihr basiert das System von Verhaftungen, Folter und Töten. Im Februar dieses Jahres gab Amnesty International bekannt, dass im Gefängnis von Sednaya vermutlich 13.000 Menschen ermordet wurden. Wie viele Menschen insgesamt unter Folter getötet wurden, ist schwer zu schätzen, doch der Bericht des als „Caesar“ bekannt gewordenen Militärfotografen führte 55.000 grauenhafte Fotos von etwa 8.000 vor August 2013 ermordeten Menschen an.

Wer wie ich bereits unter Hafis al-Assad im Gefängnis saß oder wer die vielen Geschichten von Syrern über ihre Erfahrungen in den Gefängnissen von Palmyra oder Sednaya liest, weiß, dass die Befreiung von ebendieser „Sicherheitsinfrastruktur“ eine gerechte Forderung ist. Denn sie ist wie der IS eine terroristische Organisation, blickt aber auf eine weitaus längere Geschichte von Verhaftungen, Folter und Mord zurück.

Ich erklärte also, möglicherweise eine Antwort auf die Frage des Abgeordneten zu haben. Da der Mann mir aufmunternd zulächelte, beeilte ich mich zu sagen, dass ich die Frage weder für gerecht noch für legitim hielte. Ich könne nicht verstehen, warum man von syrischen Geflüchteten Garantien dafür erwarte, dass es nach Assad zu stabilen und sicheren Verhältnissen komme. Eher könne ich „garantieren“, dass die Lage nach einem halben Jahrhundert von Folter und Massakern nicht stabil wäre. Schließlich sei Baschar al-Assad für die Vertreibung von etwa sechs Millionen Menschen aus Syrien und für die Ermordung Hunderttausender Syrer durch die Luftwaffe oder durch systematische Folter verantwortlich. Und dass ein Verbrecher wie dieser eher gestern als heute hätte gestürzt werden müssen. Punkt.

Das Choas wird kommen

Nach dem Sturz des Regimes wird in Syrien lange Zeit Chaos herrschen. Deshalb haben wir Unterstützung von allen Seiten bitter nötig. Aber für einen solchen bedeutsamen politischen Wandel müsse eine Dynamik der Mäßigung, der Aussöhnung und der Annäherung in Gang gesetzt werden, die der Dynamik von Radikalisierung, Militarisierung und Konfessionalisierung, wie sie das barbarische Regime ausgelöst hat und von denen die islamistischen Organisationen profitiert haben, entgegensteht. Zu dieser Annäherung wird es kommen, auch wenn sie nicht sofort stabile Verhältnisse garantiert.

Auf jeden Fall sei es aber weder moralisch noch politisch zulässig, aus Angst vor einem noch größeren Vakuum ausgerechnet den mit Machterhalt zu belohnen, der das politische Vakuum in Syrien durch die Zerstörung unabhängiger politischer oder sozialer Aktivitäten verursacht hat.

Warum erwartet ein ehemaliger Vertreter des deutschen Volkes, dass wir einen Machthaber akzeptieren, der uns mit Fassbomben und Chemiewaffen angegriffen hat, wenn wir nicht garantieren können, dass sich die Situation in Syrien gleich nach dessen Sturz zum Besseren wendet? Würde er das für Deutschland akzeptieren? Ich fürchte, die Antwort entlarvt die Tatsache, dass der Mann uns Syrer nicht als gleichberechtigt anerkennt und dass er eine Situation, die in Deutschland aus seiner Sicht undenkbar wäre, in Syrien sogar für unvermeidlich hält! An dieser Stelle endet jede Diskussion, weil sie ihren Sinn verliert.

Doch der ehemalige Abgeordnete meldete sich ein weiteres Mal zu Wort und fragte uns Syrer, ob wir denn auch Wahlen akzeptieren würden, aus denen Assad als Sieger hervorginge? Herr Abgeordneter, ich möchte Ihnen etwas sagen: Diese Angelegenheit ist seit mindestens zwei Jahren nicht mehr Assads Sache, sondern die von Russland und Iran. Während all der Jahre, in denen Sie Angst vor einem Vakuum in unserem Land hatten, wurde dieses Land von zwei expansionistischen, autoritären Staaten besetzt und von zahlreichen Staaten und Organisationen in Einflusszonen aufgeteilt. Baschar al-Assad ist nur noch ein Detail aus der Vergangenheit. Was uns allerdings von damals immer wieder einholt, ist die stets erneut auftauchende kuriose Bereitschaft demokratischer Staaten, sich in den Dienst von Willkürherrschern zu stellen.

Aus dem Arabischen von Larissa Bender

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1961 in Rakka, Syrien geboren, war 1980 bis 1996 politischer Gefangener unter Baschar al-Assads Vater. Er ist ausgebildeter Mediziner und arbeitet seit vielen Jahren als Journalist und Essayist für arabisch- und englischsprachige Zeitungen. Seit 2013 lebt er in Istanbul im Exil. Er ist Autor mehrerer Bücher und wurde diesen Herbst mit dem Tucholsky-Preis des schwedischen PEN-Clubs ausgezeichnet. Zurzeit ist er Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin.

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