Rechte „Identitäre“ zeigen Präsenz: Das unheimliche Haus von Halle

Die Nummer 16 hat neue Bewohner. Sie kommen von den „Identitären“. Der Protest ist laut. Aber was soll man machen?

Ein Polizist steht vor einem Haus mit Farbklecksen

Das Haus der Identitären während einer Protestdemonstration am vergangenen Samstag Foto: Felix Abraham

HALLE taz | Heute fliegen hier mal keine Steine, ätzt keine Buttersäure, werden keine Nachbarn bedroht, nichts brennt, keiner schreit. An diesem Herbstabend stehen lediglich einige Männer auf beiden Seiten der Adam-Kuckhoff-Straße in Halle herum. Sie markieren Reviere.

Die einen wirken auffällig sportlich, haben viele Tattoos und die Haare schön. Sie machen sich direkt vor der Hausnummer 16 breit, einem mit roter Farbe beschmierten viergeschossigen Altbau. Die anderen harren vor dem geisteswissenschaftlichen Campus der Martin-Luther-Universität aus. Sie sind älter, ihr Haar ist schütter, es verdeckt kaum die Mikros und Kopfhörer, die sie benutzen.

Die rechten Aktivisten der „Identitären Bewegung“ auf der einen Straßenseite, die Zivilbeamten – nur etwa 20 Meter entfernt – auf der anderen. Dazu kommen noch viele uniformierte Polizisten, deren Mannschaftswagen nahe Altstadtgassen verstopfen. Radikale Anti-rechts-Aktivisten sind diesmal nicht da, es ist nicht ihr Abend, zu viel präsente Staatsgewalt. Die Farbe am Haus erinnert an sie. Dafür sind Studierende zahlreich zugegen, denn heute wird an der Uni debattiert. Thema: „Identitäre Bewegung in Halle. Wie umgehen mit dem neuen Rechtsextremismus?“

Im Sommer dieses Jahres haben die Identitären das Haus Nr. 16 bezogen, vier von ihnen sollen aktuell dauerhaft darin leben. Es könnte laut dem völkischen Vordenker und Verleger Götz Kubitschek „ein Leuchturm“ der rechten Szene werden. Der Besitzer des Hauses ist ein Mäzen aus Kubitscheks Umfeld. Schon die Existenz dieses Projekts gilt als eine offene Machtdemonstration einer rechtsextremen, bis dahin ohne sichtbares Hauptquartier agierenden Organisation. Ein Haus als Dammbruch.

Wie sich der Diskurs in Halle verändert

Die Präsenz der Identitären hat die gesellschaftliche Statik in Halle verändert. Am Abend der Diskussion ist das Interesse so groß, dass die Veranstaltung zusätzlich in einen weiteren Hörsaal übertragen werden muss. Auf der Bühne warnt ein Diskutant, die Identitären nicht mit herkömmlichen Nazis zu verwechseln, erläutert, dass sie Symbole und Aktionstechniken linker Gruppen verwenden würden. Ein Verfassungsschützer erklärt, warum diese bundesweit bis zu 500 Personen umfassende Gruppierung verfassungsfeindlich ist. Etwa jeder Zehnte sei aus Sachsen-Anhalt – und die aktivste Zelle eben die „Kontrakultur“ aus Halle. Bei all diesen Worten stehen die Fenster im Vorlesungssaal weit offen, als sollten auch die von der anderen Straßenseite alles mitbekommen.

Die Rechten haben sich breit gemacht und niemand scheint eine Antwort zu wissen

Am Ende stellen die Experten fest, keine „Experten für die Lage um die Identitären in Halle selbst“ zu sein. Viele Studenten gehen sichtlich ernüchtert nach Hause. Die Rechtsex­tremen haben sich breitgemacht, und niemand scheint eine Antwort zu wissen. Später in der Nacht zieht auch die Polizei ab. Die Identitären bleiben.

Experten für alles rund um das Haus Nummer 16 sind dagegen Wanja Seifert und Valentin Hacken vom Bündnis „Halle gegen rechts“. Sie empfangen in einem Café am Rande der Altstadt, das so wirkt wie ganz Halle tagsüber: bedächtig und gut durchgefegt.

Warnung vor der neurechten Elite mit militanter Schlagseite

Seifert ist 34, studiert Politik und Wirtschaft. Er hat selbst erlebt, wie die Identitären 2015 zum ersten Mal in Halle aufgetaucht sind und in der Marktkirche Flyer verteilt haben. „Dort war auch Mario Müller schon dabei“, sagt Seifert. Müller ist Gründer und Anführer von Kontrakultur, ein einschlägig bekannter und verurteilter Neonazi, der „sich jetzt zur neurechten Elite ausbildet, ohne seine militante Seite abzulegen“, erklärt Seifert.

Seifert und Hacken wollen klar machen, dass die Identitären „zu weiten Teilen aus militanten Neonazi-Kadern der alten Schule bestehen“. Die Stilisierung als „kreative Sturmtruppe“ der Patrioten sei nichts als „Maskerade“.

Der 26-jährige Hacken, Student der Rechtswissenschaften, findet es bedenklich, „dass die sich jetzt sicher genug fühlen, um offen aufzutreten“. Problematisch sei, dass es nun „Zuzug von Rechten“ in die Stadt gebe. Hacken ist selbst Zugezogener, aus Freiburg, er sei auch gekommen, „weil hier politisch mehr los ist“. Sagt es und muss selbst schmunzeln. So viel Aufregung wie jetzt um die Identitären hätte er sich wohl doch nicht gewünscht.

Während Hacken das sagt, springt Seifert plötzlich auf, hastet um eine Ecke. Er kommt kurz darauf wieder. „Das war Jan Scharf, einer von den Identitären“, erklärt er. „Ich wollte nur gucken, ob da etwas passiert.“ Halle ist zu klein, als dass Energie leicht entweichen könnte. Sie bleibt in dem überschaubaren Städtchen da, sie verdichtet sich.

Die Opferhaltung nährt die Identitären

Wie die Identitären auch bundesweit ins Gespräch kommen, hat zuletzt die Frankfurter Buchmesse gezeigt. Dort gab es Tumulte rund um den Antaios-Verlag. Dessen Chef ist Götz Kubitschek. Einer seiner Autoren: Mario Müller. Bei der Buchmesse wollte er zusammen mit dem Österreicher Martin Sellner auftreten, dem bekanntesten Identitären im deutschsprachigen Raum. Dazu kam es nicht, weil linke Gegendemonstranten auftauchten. Es folgten Sprechchöre, Handgemenge, wüste gegenseitige Beschimpfungen.

Am nächsten Tag gab Kubitschek Interviews über die Vorfälle. Juergen Boos, der Direktor der Frankfurter Buchmesse, sei der Böse, die Linken sowieso. Die Opferhaltung nährt die Identitären. Und der Medienrummel.

Müllers Buch ist eine Art popkulturelles Nachschlagewerk, in dem er gedanklich recht plump versucht, alle möglichen Filme, Personen und Ereignisse auf rechts zu polen. Sogar Rudi Dutschke, erscheint bei Müller als ein national bewegter Aktivist.

International sind die deutschen Identitären vor allem mit Österreich und Frankreich vernetzt, wo die aktivsten Zellen in Europa zu finden sind. National betrachtet klettern sie vor allem auf Dächer, um Transparente zu spannen. Zuletzt verschafften sie sich in Cottbus illegal Zugang zum Dach der Stadthalle und spannten dort ein zweigeteiltes Transparent mit der Aufschrift „Grenzen schützen – Leben retten“. Zuvor hatte einer der Aktivisten eine Hebebühne gemietet, um diese angeblich für die Reparatur von Dachschäden zu verwenden. Die bisher medienwirksamste Aktion dieser Art gelang den Identitären in Berlin, am Brandenburger Tor.

Gewaltfreiheit? „Eine Lüge!“

Zurück nach Halle. Dort arbeitet Torsten Hahnel in einem von Flyern, Zetteln und Aufklebern gesäumten Büro von Miteinander e.V., einem Verein, der sich unter anderem um Opfer rechter Gewalt kümmert. „Wenn die Identitären behaupten, gewaltfrei zu sein, ist das eine Lüge, der wir uns entschieden entgegenstellen müssen“, sagt er. Hahnel wurde selbst aus einer Gruppe heraus angegriffen, in der Identitäre dabei waren, das Verfahren läuft. „Es geht darum zu zeigen: Wir nehmen eure Selbstdarstellung nicht hin!“

Im Gegensatz zu dem bedachten Auftreten von Seifert und Hacken wirkt Hahnel etwas aufgekratzt, er redet sich fast in Rage, wenn er sagt: „Es ist nicht zu fassen, wie manche nicht sehen wollen, dass es alles reine Strategie ist!“ Dann erläutert er ruhiger, was er damit meint. Die Rechtsextremen hätten sich nur ein neues Etikett draufgeklebt, um sich als neue, alternative Rechts-Elite zu zelebrieren. Darunter aber würden sich nach wie vor die bekannten militanten rechtsradikalen Strukturen finden.

Und noch eine Sache ist Hahnel wichtig: „Man kann die Identitären nicht losgelöst von den Burschenschaften und von der AfD betrachten. Da findet gerade ein Zusammenschluss am äußersten rechten Rand statt.“

Anhand der Hausnummer 16 zeigt sich auch der Zusammenschluss verschiedener Strukturen von rechts außen. Zwar existiert ein Beschluss der AfD, nicht mit der Identitären Bewegung zusammenzuarbeiten. Wohl vor allem deshalb wurde „Einprozent“ gegründet. Dabei handelt es sich um eine Art rechtsextreme Briefkastenfirma, die nach Meinung von Experten als Scharnier zwischen der AfD und den Identitären fungiert. Dank dieses juristischen Taschenspielertricks mietet mit Hans-Thomas Tillschneider ein AfD-Landtagsabgeordneter im Haus ganz offen ein Büro. Tillschneider sagt dazu: „Einprozent ist etwas völlig anderes als die Identitäre Bewegung.“ Und: „Ich achte genau darauf, den Beschluss des Bundesvorstands, dass es keine Zusammenarbeit mit der IB gibt, nicht zu verletzen.“ Aber: „Das ändert nichts daran, dass ich diesen Beschluss für falsch halte.“

Eine Hand wäscht die andere

Im Verlauf der Recherche rund um das Haus Nummer 16 passiert dann etwas Interessantes. Ein Mann, der seine Identität nicht preisgeben möchte, überreicht einen leicht zerknitterten Zettel, der mit „Tagesordnung 19.09. 2017“ überschrieben ist und offensichtlich von einer Versammlung in dem Haus stammt. Es finden sich zahlreiche Veranstaltungen der Identitären darauf, auch ein Hinweis auf die geplante „Ersti-Woche“, bei der sie Agitationsmaterial an Studienanfänger verteilt haben. Unter Punkt 4 steht: „Im Gegenzug dazu, dass MDL Tillschneider sich im Haus untermietet, sollen vier Identitäre dem AfD-KV Saalekreis beitreten.“

Vor der Tür, von deren Klingelschild die Namen der IB-Aktivisten einträchtig neben einem AfD-Logo prangen, ist Hausbewohner Mario Müller bereit zu reden. Seine Haare sind akkurat nach hinten gegelt. Fester Blick, fester Händedruck. „Wir wollen noch in diesem Jahr auch Veranstaltungen anbieten“, sagt er. Zur AfD sagt er, dass es „einzelne freundschaftliche Beziehungen“ gebe, aber natürlich keinerlei Zusammenarbeit. Er erklärt dann noch, dass die Nachbarn das Haus „gut annehmen“, auch wenn es natürlich „solche und solche“ geben würde. Sich selbst und seine Mitstreiter erhebt er zu einer „komplett gewaltlosen Disziplin“. Dann geht er wieder rein. Draußen bleiben nur die am Regenrohr befestigten Aufkleber wie „Merkel muss weg“ und „Defend Europe“. Und Studenten, die, um am Haus vorbeizulaufen, die Straßenseite wechseln.

Am nächsten Tag veröffentlichen 120 Anwohner einen offenen Brief. „Wir wünschen ausdrücklich keine Nachbarschaft mit Ihnen“, heißt es darin.

Quarzhandschuhe und verdeckte Drohungen

Dass die Identitären jeglicher Gewalt abhold sind, daran bestehen begründete Zweifel. Einem IB-Aktivisten wird gerade wegen Nötigung und Körperverletzung der Prozess gemacht, er soll einen Gegendemonstranten in einer Straßenbahn angegriffen haben. Der Vorfall, von dem Studenten in Halle am meisten erzählen, geschah in der Uni-Mensa. Dort sollen im Juni mehrere Identitäre Studenten beleidigt und bedroht haben. Als die Polizei eintraf, stellte sie bei den Tätern Pfefferspray, Quarzhandschuhe und ein Messer sicher.

Wer weiter herumfragt, stellt fest, dass so manche Studenten unangenehme Erfahrungen mit Identitären gemacht haben. Eine von ihnen ist Leonie, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte. „Eine Freundin, mit der ich unterwegs war, hat sich ein kurzes Rededuell mit Melanie Schmitz geliefert“, erzählt sie. Schmitz ist das Postergirl der IB und durch ihre eifrige Selbstinszenierung in den sozialen Netzwerken bekannt. „Fünf Minuten später ist dann Mario Müller aufgetaucht. Der hatte so einen irren Gesichtsausdruck. Der Blick total entgleist. Und er hat Handschuhe getragen. Da haben wir direkt vermutet, dass es Quarzhandschuhe sind. Es war ja September.“ Leonie und ihre Freundin flüchteten vor Müller dann in ein Café.

Ein anderer Student, der in linken Zirkeln aktiv ist, erzählt, wie einmal abends acht Schlägertypen von den Identitären und aus deren Umfeld bei ihm an der Wohngemeinschaft aufgetaucht sind. „Die haben nach mir gefragt, dann Flyer von Einprozent in den Briefkasten geworfen. Die wollen, dass man sich nicht mehr sicher fühlt.“ In seinem Fall hatte die Strategie Erfolg, er zog daraufhin weg. „Ja, schon auch deswegen“, sagt er etwas zerknirscht.

Es scheint schon so, dass der Widerstand gegen die Identitären in Halle bunt und gut organisiert ist. Die Rechtsextremisten sind deutlich in der Minderheit. Aber sie schaffen es, dass so viele Studenten nicht mit offenem Visier gegen sie antreten wollen.

Manchmal kippt der Widerstand gegen das Haus. Ende Oktober ist es mit Pflastersteinen und Buttersäure attackiert worden. Zuvor gab es schon Farbbeutelwürfe.

Mehrfach protestierten Demonstranten aber auch friedlich unweit der Nummer 16. Ein Nachbar sagt auf Nachfrage: „Hier wird viel gegen die Identitären gemacht, viel demonstriert. Aber am Ende bleiben sie doch da.“ Dann geht er schnell weiter. Ein etwas flaues Gefühl bleibt, wie nach der Diskussionsveranstaltung an der Uni. Viele wollen etwas tun, aber kaum jemand hat ein Mittel, und so gut wie niemand glaubt, dass die Rechtsextremen bald verschwinden.

Pflastersteine für den eigenen Opfermythos

Der Verleger Götz Kubitschek sprach anlässlich des dreijährigen Jubiläums von Pegida. Er sprach in Dresden nicht nur – er holte auch Pflastersteine hervor. Es sollen dieselben sein, die schon gegen das Haus Nummer 16 geschleudert worden waren. Kubitschek improvisiert eine Art Versteigerung der Steine. Der rechte Zusammenschluss steht. Der Opfermythos lebt.

Im Internet kündigt Kubitschek dann noch etwas anderes an: Er werde mit seinem Antaios-Verlag ein neues Büro mieten. In der Adam-Kuckhoff-Straße 16.

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