Kommentar Macron und Europa: Vision statt Technokratie

Patriot mit Weitblick: Vor Studierenden wirbt der französische Präsident für einen neuen Anlauf zu einem wirklich geeinten Europa.

Emmanuel Macron vor Europafahne

Ein Mann und seine Vision im Rücken Foto: reuters

„Ich bin gekommen, um von Europa zu sprechen“, sagte Emmanuel Macron in der Sorbonne leise und bescheiden. Sehr rasch wurde am Dienstagnachmittag der Kontrast deutlich zwischen der Einleitung und der politischen Ambition, mit der der französische Präsident im historischen Hörsaal die mehrheitlich jungen ZuhörerInnen faszinierte.

Er hätte, wie vor ihm Martin Luther King, ihnen zurufen können: „I have a dream!“ Sie hatten eine Vorlesung erwartet, Macron aber sprach von einer Vision, die er hat. Diese ist nicht neu, aber in Europa hatte man sie vergessen oder bereits in den Mülleimer der Geschichte entsorgt.

Man hatte sich zu sehr an langweilige, technokratisch wirkende Äußerungen über die EU gewöhnt, und auch an die wie ein Refrain kommende Resignation, dass alle Einigungsbemühungen am nationalen Egoismus scheitern müssten. Macron aber schlägt keine kleinen Kompromisse vor, um allen denkbaren Einwänden Rechnung zu tragen, sondern einen europäischen Quantensprung. Die Zeit der übervorsichtigen Trippelschritte ist vorbei: Macron will angesichts der Herausforderungen durch Klimawandel und Globalisierung gemeinsam mit absehbar größerem Erfolg zu machen, was jeder Mitgliedstaat heute eher schlecht als recht versucht.

Eine europäische Nation? Das hat er so nicht gesagt, aber letztlich gemeint, und für einen französischen Patrioten ist das eine erstaunliche Form der Selbstüberwindung. Macron stellt alle Partnerregierungen, und allen voran Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, vor ihre Verantwortung.

Eine europäische Nation? Für einen französischen Patrioten ist das eine erstaunliche Selbstüberwindung

Dass Merkel vor heiklen Verhandlungen mit zum Teil euroskeptischen Koalitionsparteiführern steht, ist nicht sein Problem. Die Herausforderung, jetzt entweder die Europa-Idee abzuschreiben oder wirklich damit Ernst zu machen, geht alle an. Macron jedenfalls möchte seinen „Traum“ teilen, damit dieser ein Projekt wird. Die „Alternative“, der aggressive Nationalismus in Form des Rechtspopulismus, trampelt bereits in die Realpolitik.

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Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

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