Der Hausbesuch: Kulturclash mit Ukulele

In Leipzig hielt die Raupachs nichts mehr. Peu à peu zogen sie nach Peritz, in eine Porzellan-Manufaktur, die mal die Dorfkneipe war.

Eine Familie sitzt an einem Küchentisch

Die Kinder sind zu Besuch, irgendwann wollen sie ganz wieder nach Peritz ziehen: Familie Raupach in ihrer Küche Foto: Sven Döring

Die ehemalige Dorfkneipe von Peritz ist heute Werkstatt, Konzertsaal und Eigenheim der Familie Raupach. In ihrer Manufaktur produzieren Heike und Uli Keramik, die sie auf Märkten und im Internet vertreiben. Ihre Kinder Veronika und Karl, beide in Halle an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, machen Mode und Produktdesign. Für sie ist das kleine Peritz ein Magnet, sie kommen wohl zurück.

Draußen: Eine Kreuzung am Rande von Peritz, nach rechts geht’s Richtung Radeberg, links die Straße nach Elsterwerda und, ja, Berlin. Schräg gegenüber, bitte die Vorfahrt beachten, überm Türrahmen der Schriftzug „Manufaktur Raupach“. Hinten, im Garten, eine Feuerschale unterm Nussbaum, beim Schuppen ums Eck die Außendusche und Paul, das Pferd. „Man gewöhnt sich hier so daran, in die Ferne zu schauen“, sagt Heike, „wer braucht da schon Stadt und Latte.“ Ihre Tochter Veronika lief als kleines Kind furchtlos schnurstracks in den Wald hinein, anders als ihr Bruder Karl und die anderen Kinder vom Dorf. Erst der Film „Der Mann in der eisernen Maske“ (1998) machte auch ihr ein bisschen Angst.

Drinnen: Ein Kugelfisch baumelt von der Küchendecke, gegenüber hängt eine Ukulele. Über der Spüle tropfen Holzbretter ab. Veronikas Tochter Evelin, bald zwei Jahre, läuft um die Tafel, verteilt Figuren und Klötze, sammelt sie wieder ein. Vom Hausladen die Treppe ab nach oben, Tür links, Tür rechts, dahinter ein Konzertsaal: Gitarren, zwei Schlagzeuge, Instrumente, unklar, ob man sie zupfen oder reinblasen soll. Hinter der Bühne ein schwarzes Banner auf weißem Grund: „Improhazard“.

Peu à peu: Vieles in der Großstadt hatte für Heike und Uli, beide aus Leipzig, Mitte der 90er keine Bedeutung mehr. In Peritz entdeckten sie die Manufaktur, schliefen in den Betten der Vorbesitzer und zogen peu à peu mit ihren Kindern her.

Die Kneipe, das Zentrum: Bis in die späten 70er war die Manufaktur noch die Dorfkneipe. Dann wohnte hier nur Tante Lene, Schnapsflaschen begrenzten das Beet, die Peritzer*innen sahen fern. Auch der Lindenhof auf der anderen Ortsseite, eher was für Anlässe – kein Ambiente, um abends gemeinsam Bier zum Einkaufspreis zu trinken. An einem Abend im Jahr 1995 aber strahlte wieder Licht aus der ehemaligen Kneipe von Peritz.

Eine Dartscheibe hängt an einer Wand

Ein Überbleibsel aus der Zeit, als das Haus noch eine Kneipe war Foto: Sven Döring

Space Hobos: Für 1.000 Mark hatten sie die Space Hobos engagiert, die Band spielte ihre Lieder sieben Stunden lang auf Zuruf und wollte am Ende selbst nicht mehr gehen. Die Männer von Peritz verliebten sich in die Schlagzeugerin. Bürgermeister war auch damals schon der „Hannes“, der nach dem Einzug zu Heike meinte: „Tuch im Haar und sitzt auf dem Boden, da sieht man schon, dass ihr Künstler seid!“ Seitdem war fast jedes Jahr Party. Da brauchst du auch nicht hip sein, du bist schon hip, wenn du da bist, sagt Heike.

Werkstatt: Einer Porzellanmanufaktur bleibt keine andere Wahl, als aufs Land zu ziehen. Bei 13 bis 14 Stunden Brand sollte die Werkstatt gleich zu Hause sein – bei Raupachs läuft der Prozess einmal im Uhrzeigersinn um die Küche rum: Guss, Schrühbrand bei 800 Grad, Glasur und Glattbrand – unterm Sauerstoffmangel bei 1.300 Grad wird das beige Porzellan weiß.

Jazz: In den 80ern waren die Leipziger Jazztage noch ein ganz großes Ding. Ein Jahrzehnt später kam der Druck, zu wirtschaften, erzählt Uli. Da mussten Zugnummern her, Avantgarde füllt keine Bude. Uli las die Sächsische Zeitung, stieß auf Andreas Hartzsch vom Glashof auf der anderen Elbseite. Bald spielten sie jeden Montag zusammen, Uli Schlagzeug und Synthesizer, Andreas Gitarre und Blaswerk. Mit einer Demo-CD fuhren sie nach Leipzig und kannten bald die Musiker, auf deren Konzerte sie früher gerannt sind. 2008 dann der erste Improhazard, das Festival für improvisierten Jazz, dieses Jahr kamen selbst Leute aus Australien. Gecampt wird neben Paul, dem Pferd, auf der Weide. In Frankfurt und, nun ja, Bonn wächst die Szene wieder, „Berlin kannste vergessen“, sagt Uli. Dabei ist es doch so wichtig für alle Musiker, nicht nur im Orchester vor sich hin zu scharren.

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Nachzug mit Ukulele: Der Pfarrer ging weg, Heikes Freundin Elli zog ins Pfarrhaus – und schenkte Heike eine Ukulele. Seit 2012 spielen die beiden in der Ukulelenkapelle Peritz, unter der Leitung von Elli. Letztes Jahr spielte die Kapelle zur 750-Jahr-Feier von Peritz „Should I Stay or Should I Go“, der Backgroundchor hielt nicht immer den Takt, aber darauf kam es gar nicht an – damit waren die Ukulelen dem Geist von The Clash näher als so manche Coverband. Zwei befreundete Familien sahen, wie Raupachs in Peritz leben, und zogen ihnen hinterher. Auch ihre Praktikantin aus Südkorea merkte, dass es auf dem Dorf nicht weniger Kultur gibt als in der Stadt.

Nachbarn: „In der Stadt kannste lauter neue Leute kennenlernen, aber solche, die anders sind als du, triffst du eher auf dem Land“, sagt Uli. Da kommen immer Leute vorbei, wollen Kaffee trinken und gucken. So fremd sie anfangs sein mögen, man lernt sie schätzen. Und ja, auch Rechte gibt’s in Peritz, einer ist Reichsbürger. „In Berlin demonstriert die Antifa dann gegen die Schweine-Nazis … aber hier?“ Da stellt sich die Frage nicht, ob du auch mit Rechten redest – man weiß voneinander, versucht zu überzeugen, gerade auch politisch. Die Stadt bietet diese Konfrontation nicht, da sind genug Leute, die so ticken wie man selbst. Als zwei Trans*-Personen zum Improhazard kamen, fiel den Dörflern erst das Bier aus der Hand. Bis sie merkten, dass sie es getrost gemeinsam trinken können.

Kinder: Mit dem Bus waren sie schon 50 Minuten vor Beginn der ersten Stunde in der Schule, doch Karl und Veronika mochten die Kindheit auf dem Land, das ungerügte Trampeln und Hüpfen auf dem Gymnastikball. Wenn Karl seinen Kumpels in Halle heute erzählt, dass er zurück nach Peritz will, fragen die: Warum zurück zu den Eltern? Karl will die Freiheiten, die er in der Stadt nicht hat, allein schon das Lagerfeuer. Zu Veronika meinten ein paar von der Hallenser Kunsthochschule, sie würden hier gern Mode mit Viehwirtschaft kombinieren, Ästhetik und Schafe züchten. Man geht nicht zurück ins Dorf, wo die Eltern wohnen, sondern in das, in welches die Freunde zurückkommen. Da gärt auch keine Angst vorm Alleinsein auf dem Land.

Mehrere Ukulelen hängen an einem Küchenschrank

Überall zu finden: Porzellan und Instrumente Foto: Sven Döring

Provinz: „In Berlin gibt’s vielleicht 258 Konzerte jeden Abend“, sagt Karl, „in Halle sind es noch ein paar, und Leipzig ist auch nur eine Stunde weit weg. Besuchen kann man aber letzten Endes nur ein Konzert.“ Feiern in der Stadt sei schon schwierig, sagt Veronika, fünf Kilometer Fußweg nach Glaubitz, dann den Zug nach Dresden, mit der ersten Bahn im Morgengrauen wieder zurück. Zu ihrem Vater Uli meinte mal eine Freundin: „Ich will ein Kino in Gehweite“, einfach, um die Möglichkeit zu haben. Wann warst du denn das letzte Mal da? „Na ja, vor vier Jahren“, sagte die Freundin. Für Uli ist die Stadt genauso eng wie das Dorf: selbe Straße, selber Supermarkt.

Und Merkel? Heike war nicht für Schulz, Uli wäre für ihn gewesen – wenn er denn schon zwischen den beiden wählen musste. Er wünscht sich aber eigentlich eine Partei mit Vision. Die sieht er momentan nicht, auch nicht in der Linken. Gysi finden beide gut, nur steht der nicht zur Debatte.

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