Debatte FDP und Bundestagswahl: Wurden FDP-Inhalte wirklich vermisst?

Eine letzte Chance: Die FDP will nach vier Jahren unbedingt wieder in den Bundestag gewählt werden. Aber wofür eigentlich?

Christian Lindner vor einem FDP-Wahlplakat

Verantwortungsdemenz und Selbstüberschätzung: Christian Lindner im Wahlkampf Foto: dpa

An diesem Sonntag versammeln sich die Liberalen zu ihrem „a.o. Bundesparteitag“. A.o. steht für außerordentlich – und diesmal, vier Jahre nach dem Rauswurf der FDP aus dem Bundestag, dürfte es sich tatsächlich um einen Parteitag außerhalb der bisherigen Ordnung handeln. Das Ereignis, innerparteilich liebevoll „Feldgottesdienst“ genannt, soll jetzt noch mal viele gute Bilder produzieren – um die FDP am Wahlsonntag zurück an die Macht zu befördern.

Und Macht bedeutet: zurück an den Kabinettstisch. Da mag Christian Lindner in Interviews noch so oft betonen, kraftvolle Oppositionsarbeit sei etwas ganz Wunderbares. Fakt ist, dass die FDP nur diesen einen Versuch hat, sich als politisch geläuterte Verheißung neu zu profilieren. Und diese Chance wird sie nutzen, vorausgesetzt, die Wähler geben sie ihr.

Um die zehn Prozent der Umfrageergebnisse deuten darauf hin. Aber, die Frage muss erlaubt sein: Wofür eigentlich? Fürs Nachdenken? Für eine coole Digital-Hipster-Kampagne? Oder wurden die politischen Inhalte der FDP wirklich schmerzlich vermisst?

Jenen, denen die schwarz-gelbe Regierungszeit zwischen 2009 und 2013 noch präsent ist, dürfte mulmig werden. Selten hat sich eine Partei derart an ihrem kühlherzigen Personal statt an ihrer eigenen Arbeit berauscht. Entwicklungsminister Dirk Niebel versorgte Parteifreunde mit gut bezahlten Jobs. Außenminister Guido Westerwelle bezichtigte Hartz-IV-Bezieher „spätrömischer Dekadenz“. Und Parteichef (und Vizekanzler und Wirtschafts- und gleich auch noch Gesundheitsminister) Philipp Rösler forderte 20.000 arbeitslos gewordene Schlecker-Mitarbeiterinnen auf, „schnellstmöglich eine Anschlussverwendung selber zu finden“. Eigenverantwortung wurde bei der FDP eben schon immer groß geschrieben.

Männer zwischen CDU und AfD

Und nun auf einmal: #denkenwirneu. So lautet der Claim der Freien Demokraten. Er soll andeuten, dass man sich das schwache Spiel der Großen Koalition vier Jahre lang von der Seitenlinie angeschaut und dabei viel gelernt habe. Nun sei man wieder bereit zum Mitspielen. In einem aktuellen Interview nennt Spitzenkandidat Christian Lindner die zurückliegenden vier Jahre „unseren außerparlamentarischen Bildungsurlaub“.

Damit am Wahlsonntag auch die letzten Unentschlossenen seiner FDP ihre Stimme geben, zielt Christian Lindner vor allem auf die politisch aktuell unbehausten Männer unter ihnen ab. Es sind jene, denen Merkels CDU zu mittig und Gaulands AfD zu rechts und zu grob ist. Lindners FDP will deshalb vieles, wenn nicht gar alles sein: ganz neu, sehr wertig, hoch effektiv.

Lindner zielt auf jene, denen Merkels CDU zu mittig und Gaulands AfD zu rechts und grob ist

Weil die FDP aber nun mal wie jede andere Partei ein Wahlprogramm vorlegen musste, kann man schon jetzt ganz gut sehen, wo die Reise hingehen würde. Da wäre das auch schon früher nicht eingelöste Aufstieg-durch-Bildung-Versprechen, ein Ende der Mietpreisbremse und der höhere Steuerfreibetrag auf Grunderwerb (sozialer Wohnungsbau ist was für Loser). Die FDP will, zusammengefasst: weniger Staat, mehr Leiharbeit, deregulierte Arbeitszeiten und ein „flexibles“ Renteneintrittsalter. Sorry, das klingt wie 2009, nur mit auf Hochglanz lackiertem Wording. Immerhin, die FDP will ein Einwanderungsgesetz – das gibt dann eine gute Verhandlungsfläche bei den Sondierungsgesprächen.

Keine Frauen eingeladen

Ansonsten gilt: Jede Stimme zählt, jeder noch so Vorgestrige wird irgendwie angesprochen. Flüchtlingsgegnern widmet Parteichef Lindner die Formulierung, dass „die Ausreise die Regel“ sein müsse. Leuten mit Sehnsucht nach Ruhe und Frieden verspricht er „Freiheit, Menschenwürde und Europa“. Und jenen, denen das ganze Genderzeug zu unübersichtlich geworden ist, schenkt er den folgenden Wahlkampfslogan: „Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Auch Väter.“ Gemeint ist damit, dass die FDP für Trennungskinder das Wechselmodell favorisiert; Unterhaltszahlungen besserverdienender Trennungspartner (meist Vätern) wären demnach bald passé.

Natürlich will bei der FDP immer noch niemand eine wie auch immer geartete Frauenquote. Auch am Ehegattensplitting will man nicht rühren. Kein Wunder, nur 22 Prozent der FDP-Mitglieder sind Frauen; die Partei hat es offensichtlich für nachrangig gehalten, zu ihrem „außerparlamentarischen Bildungsurlaub“ auch ein paar Frauen einzuladen.

Es ist erstaunlich, welche Faszination diese Mischung aus Verantwortungsdemenz und Selbstüberschätzung dennoch auf viele ausübt. In der neuen liberalen Hingezogenheit mancher Grünen und ihrer Wähler ist das pure Machtkalkül nur schwach kaschiert. Aber eben auch eine fast schon morbide Hingabe an die Merkel-Union. Vier Jahre Dabeisein sind allemal besser als vier Jahre Opposition. Das weiß Christian Lindner, das wissen seine Leute.

Und das weiß natürlich auch die Regierungschefin. Angela Merkel könnte gar nichts anderes übrig bleiben, als mit den Liberalen zu planen. Die schwarz-roten Jahre mögen anstrengend gewesen sein, gemessen an den aktuell hinter ihr liegenden Herausforderungen waren sie zu verkraften. Gäbe es im Parlament ein Weiter-so aus Großer Koalition und machtloser Opposition, drohte die nachhaltige Erosion der parlamentarischen Demokratie. Dann doch lieber den Eindruck eines Moves, einer irgendwie gearteten politischen Beweglichkeit erzeugen. Die FDP hätte auch schon einen Claim: #denkenwirneu.

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