Autorenporträt Jonis Hartmann: Der Spätzünder

Jonis Hartmann hat schon immer geschrieben, nur zeigte er seine Texte lange niemanden. Irgendwann traute er sich, bekam Preise und gründet jetzt eine Literaturzeitschrift.

Wagte sich mit seinen literarischen Texten erst spät aus der Deckung: Jonis Hartmann. Foto: Miguel Ferraz

Man kann ohne Übertreibung sagen: Jonis Hartmann hat seit zwei Jahren einen guten Lauf. Er war letztes Jahr Stipendiat im Künstlerhaus Eckernförde, war im Herbst für einen Monat schreibender Gast im Literaturhaus der Stadt Pazin, die liegt in Istrien und somit in Kroatien. Gerade hat er ein Manuskriptstipendium vom Land Schleswig-Holstein. Er ist in Hoisdorf im Kreis Storman aufgewachsen und etwas weiter weg in Trittau zur Schule gegangen. Außerdem wird die Handlung des anvisierten Textes in Schleswig-Holstein spielen.

Er schreibt Kurzprosa, Lyrik, knappe Erzählungen. Er verfasst Rezensionen (über Literatur, aber auch über Architektur). Er übersetzt, ist einer von fünf Köpfen der Gruppe Foundintranslation. Er organisiert Lesungen wie die Reihe Ahab, die örtliche Autoren vorstellt, und die Reihe Hafenlesung, die das Sujet des Hafens als Ort, wo Menschen aus allen möglichen Ländern zusammentreffen, ernst nimmt, und nach drei Jahren Literaten aus Somalia und Indien, aus Indonesien und Brasilien, aus Russland und Schweden vorweisen kann.

Googlebar erst seit 2014

Sein Schreibtisch steht im Writers Room, einer Arbeits­etage für Autoren in Hamburg-Bahrenfeld, die von einem Verein getragen wird. Letztes Jahr war er dessen Vorsitzender. Er schaut schon jetzt auf kommende Projekte bis ins Jahr 2019 hinein. Er sagt: „Wenn ich morgens aufwache, weiß ich gleich, was ich zu tun habe, jeden Tag.“ Er schläft gern, und er schläft auch gern lange. Er sagt: „Ich bin eigentlich immer entspannt.“ Und er sagt: „Wenn man vor 2014 nach mir gegoogelt hätte, es wäre nichts herausgekommen, absolut nichts.“

Die Albphilharmonie (mit Frietzsche und Claire Walka): 14. 9., 20.15 Uhr, Salon Stoer, Fischmarkt 6, Hamburg.

28. 9., 20 Uhr, Künstlerhaus Schleswig-Holstein, Ottestraße 1, Eckernförde.

mit Stephan Roiss und Annkathrin Wett: 1. 10., 15 Uhr, Schmidt Theater, Spielbudenplatz 24, Hamburg.

19. 10., 20 Uhr, Golem, Große Elbstraße 14, Hamburg.

Wir sitzen im Norwegerheim, einem Café und Restaurant im Schanzenpark im Hamburger Schanzenviertel. Er wohnt um die Ecke. Es ist grün hier, voller Bäume und Büsche und Sträucher, deren Zweige sich spätsommerlich blattreich gestärkt fast bis auf den Boden biegen, und es ist laut. Gleich nebenan trennt eine vierspurige Straße den Park vom Uni-Viertel und der beginnende Feierabendverkehr legt ein sonores Brummen über die Szenerie, als würden wir direkt neben einem Umspannwerk sitzen. Was passt: die Inszenierung von Stadtgrün durch echte Pflanzen und der nie endende Sound der Großstadt als musikalische Beschallung. Eine Art Bühnensituation also – und mit Bühnen kennt sich Jonis Hartmann aus.

„Ich habe nicht Germanistik studiert, wie viele schreibende Kollegen, absolut null“, erzählt er. Was nicht heißt, dass er nicht geschrieben hat. Schon immer hat er das. Nur hat er es früher niemandem gezeigt, wirklich keinem. Stattdessen zog es ihn zur Architektur. Er studierte das Fach, arbeitete in Architekturbüros, zuweilen Vollzeit, war auch selbstständig unterwegs, promovierte. „Wiederkehr und Mehrdeutigkeit – Entwurfswerkzeuge der Architektur“ ist der Titel seiner Doktorarbeit.

Bedürfnis nach Feedback
Jonis Hartmann, Autor

„Wenn ich morgens aufwache, weiß ich gleich, was ich zu tun habe, jeden Tag“

Irgendwann begann er damit, Texte an kleine und kleinste Literaturzeitschriften zu schicken, und sie wurden gedruckt oder auch nicht. Aber es gab kein fassbares Feedback und das brauchte er langsam. Rüdiger Käßner, Veranstalter und Autor, der in Hamburg Web-Lesungen organisiert und ganz früher, es scheint unendlich ewig her, das Literaturtelefon betreute, wo man eine Nummer anrief und vom Band eine Stimme einen Text las, während man einen Telefonhörer in der Hand hielt, bekam Texte von Hartmann zu lesen. Und fast gleichzeitig wurde Hartmann Mitglied im Forum Hamburger Autoren und Autorinnen, das dafür berühmt ist, dass hier genaue bis genauste Textarbeit und Textkritik gepflegt wird, und aus dem Schriftsteller und Schriftstellerinnen wie Karen Köhler, Karen Duve und Mirko Bonné hervorgegangen sind.

„Ich war Ende der Zwanziger, mein Coming-out als Schriftsteller war spät“, sagt Hartmann. Zu diesem Zeitpunkt konnte er auf eine Erbschaft zurückgreifen. Die er – je nach Standpunkt – verbriet oder investierte. „Interessierte mich eine Lesung in München, bin ich in den Zug gestiegen und nach München gefahren“, sagt er. Das macht er heute nicht mehr, könnte er auch so nicht mehr. Heute verlangt er selbstverständlich ein Lesungshonorar, erwartet, dass der Veranstalter die Fahrtkosten begleicht oder dass man zumindest irgendeine befriedigende Lösung findet.

Aber damals nahm er alles mit, was er lesen und hören konnte, während er sich immer mehr von der Architektur verabschiedete. Denn beides zugleich oder eines nebenher – das ging nun mal nicht. „Architektur ist so komplex, so fordernd, ich wollte lieber meine Energie für das Schreiben nutzen“, sagt er. Und: „Bei architektonischen Projekten hast du so viele Zwischenschritte, so viele Leute, mit denen man sich absprechen muss, auch Leute über dir.“ In der Literatur aber redet ihm keiner mehr rein. Er sagt rückblickend: „Ich war in der Architektur nicht mehr so ambitioniert, wie ich sein kann.“

Klärung auf der Weltreise

Es gab durchaus diesen einen Punkt, wo sich das alles klärt – wie oft auf wundersame Weise: Da war Jonis Hartmann gerade unterwegs, hat alles genommen, was noch an Reserven da war und ist auf Weltreise gegangen. Er stand in einem Internetshop in Indien, als er diese eine Nachricht erhält: Er hat einen der Förderpreise für Literatur der Stadt Hamburg des Jahres 2014 gewonnen.

„Ich konnte mich in dem Moment gar nicht so recht erinnern, was ich überhaupt an Texten eingereicht hatte“, erzählt er. Noch daheim hatte er mit einer Freundin gescherzt: „Bekomme ich den Preis, nimmst du ihn für mich entgegen.“ Und so kam es tatsächlich: Er war noch unterwegs, sie las an einem kalten Dezemberabend seine literarischen Miniaturen. „Und da wusste ich: Es ist nicht falsch, was ich mache“, sagt er.

„Ich habe noch nicht den großen Roman geschrieben, der steht im Raum“, sagt er, und er könnte jetzt gut mit den Händen in der Luft einen großen Ball skizzieren, der gefüllt werden will – um gleich darauf festzustellen: „Die Lyrik und die Kurzprosa entspricht derzeit meinen Interessen.“ Miniaturen, die Titel tragen wie „Adé“ oder „Depri“ oder „Win win“, oft nicht mehr als sechs, sieben, acht Zeilen lang. Die von hochkonzentrierten Alltagsmomenten erzählen – getragen von einer sensiblen Komik und die zuweilen wie musikalische Improvisationen daherkommen , schließlich hat er hat lange in Bands gespielt. Aus dem Forum ist er jüngst wieder ausgetreten: Wenn es mehr und mehr wird, was du tust und was du tun willst, wenn nicht du die Projekte initiierst, sondern die Projekte dich finden, dann musst du dich auch von Projekten trennen – an diesem Punkt ist er jetzt angekommen.

Als nächstes eine Zeitschrift

Demnächst startet er mit langjährigen Mitstreitern aus dem Writers Room und dem Forum ein neues Projekt, sie arbeiten bereits daran und das Literaturreferat der Kulturbehörde unter seiner neuen Leiterin Antje Flemming wird es fördern: eine Literaturzeitschrift. Tau wird sie heißen. Tau wie der griechische Buchstabe, Tau wie das Tau, zu dem man auch dickes Seil sagen könnte. Tau nach den Tautropfen, die morgens auf den Wiesen vor sich hin glitzern. Diese Idee ist letztlich das Resultat eines Besuches der belgischen Literaturzeitschrift Deus ex Machina, deren Redaktionsmitglieder sich in Hamburg umschauten, beim Forum landeten und sich wunderten, warum eine solide Stadt wie Hamburg keine solide Literaturzeitschrift vorweisen kann.

„Wie wir so sind, haben wir uns gesagt: Na, dann machen wir doch eine Literaturzeitschrift“, sagt er. Ganz so unbedarft sind sie dann allerdings doch nicht an die Sache herangegangen. Sie haben sich ein Konzept überlegt, schon mal eine Homepage geschaltet, über die Höhe der Auflage nachgedacht, eine Druckerei gebucht. Im Februar nächsten Jahres soll Tau erstmalig erscheinen. Das Motto oder Thema, zu dem jetzt Texte aller Arten gesucht werden, lautet: akute Langwaffen.

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