FDP-Kandidatin über Bevormundung: „Ich bin nicht Christian Lindner“

Die Unternehmerin Lencke Steiner spricht über Bevormundung – und meint den Staat, nicht ihren überpräsenten Parteichef.

„Können uns nicht alles bieten lassen“: Bremens FDP-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl Lencke Steiner. Foto: Michael Bahlo

taz: Frau Steiner, waren Sie schon mal auf Jamaika?

Lencke Steiner: Bisher noch nicht. Aber es soll sehr schön dort sein.

Ihre Parteifreundin Katja Suding aus Hamburg soll so vom Kieler Jamaika-Bündnis schwärmen.

Ein bisschen Karibik in Norddeutschland ist schon ganz cool, das kann ich mir vorstellen.

Aber das ist nichts, was sich ausweiten ließe?

Doch, gerade hier in Bremen schiene mir das sogar dringend notwendig – und auch für den Bund könnte das ein Modell sein.

Und was zieht Sie nach Berlin?

Ob ich selbst in den Bundestag komme, ist nicht sicher. Dafür bräuchte ich zehn Prozent, das ist ein ambitioniertes Ziel. Mir geht es erst einmal darum, ein Superergebnis aus Bremen heraus für die FDP zu erzielen, damit die wieder in den Bundestag einzieht. Denn in den letzten Jahren hat man schon gemerkt, dass die FDP fehlt.

31, ist Vorsitzende der FDP-Bürgerschaftsfraktion in Bremen, Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl und seit ihrem Eintritt in die Partei im Mai 2015 Mitglied in deren Bundesvorstand. Beteiligt am Verpackungsunternehmen ihres Vaters hatte sie sich zuvor als Präsidiumsmitglied im Verband der Familienunternehmer und Bundesvorsitzende des Verbandes Die Jungen Unternehmer engagiert.

Geht das konkreter?

Ja klar. Das Thema Freiheit und Eigenständigkeit hat immer mehr gelitten. Wir werden immer mehr bevormundet, uns werden unsere Arbeitszeiten vorgeschrieben, wir reden über irgendwelche Veggiedays …

Seit vier Jahren hat doch keiner mehr einen Veggieday gefordert.

Es geht doch vor allem um das Prinzip der Bevormundung: Nehmen wir mal das Beispiel Arbeitszeiten. Die EU-Arbeitszeitrichtlinie gibt eine Maximalarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche vor. In Deutschland wurde das so stark runtergebrochen, dass es jetzt heißt: Maximal acht Stunden am Tag plus elf Stunden Ruhepause. Ich glaube aber, dass es heute viele Modelle gibt, wo gerade auch Mamas sagen: ‚Mensch, ich möchte morgens mein Kind zur Schule bringen und dann durcharbeiten, möchte dann aber auch irgendwie abends noch mal Quality-Time mit der Familie verbringen. Und dann halte ich die elf Stunden Ruhepause nicht ein. Dafür habe ich aber dann meinen Tag definiert.‘ Mit unseren starren Regelungen geht das nicht. Es gibt Branchen, wie die Windkraft, wo die Ingenieure als Selbstständige arbeiten, weil sie zwölf Stunden im Einsatz sein müssen – was mit dem deutschen Gesetz nicht vereinbar wäre.

Allerdings schützt es die Rechte von Angestellten.

Ich finde, wenn ich für mich entscheide, dass das gut ist, dann soll es auch möglich sein.

Der Fokus Ihres Wahlprogramms liegt klar auf dem Thema Bildung. Ist das bei einer Bundestagswahl nicht falsch adressiert?

Nein, überhaupt nicht! Bildung ist der Schlüssel für alles. In Deutschland hängt es nach wie vor stark davon ab, aus welchem Elternhaus die Kinder kommen. Davon hängen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und ihr Bildungserfolg ab. Und gerade jetzt durch die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen ist es auch möglich, dass der Bund mehr Geld in die Länder gibt, um für bessere Bildung zu sorgen. Ich finde, dass wir da viel viel mehr Geld investieren müssen. Wir haben viel verpasst bei der Digitalisierung, wir haben verpasst, für neue Lehrer zu sorgen – der Unterrichtsausfall ist ja schon ein flächendeckendes Problem.

Das zu lösen bleibt aber Ländersache.

Wir als FDP setzen uns ja auch dafür ein, dass wir den Föderalismus bei der Bildung abschaffen.

Das ist eine schöne theoretische Debatte, heißt aber, dass Sie, bevor Sie das Bildungswesen selbst reformieren, das Grundgesetz ändern sowie die Schulverwaltungen der Länder und der Kommunen umkrempeln müssen. Dauert das nicht viel zu lange?

Wenn wir jetzt anfangen, erst mal mehr Geld vom Bund in die Länder reinzugeben, wäre das ein erster Schritt. Gerade hier in Bremen geben wir am wenigsten pro Kopf für Bildung aus – und haben in den Rankings wie dem Bildungsmonitor mit die schlechtesten Ergebnisse bundesweit. Es sollte allen ein Anliegen sein, dass deutsche Kinder überall die gleichen Bildungschancen haben. Und für mich ist das eine Bundesaufgabe. Und es ist doch nur fair, wenn wir in unserem Programm die Leitlinien dafür festlegen, wie gute Bildung für uns aussieht. Dann wird es in den Ländern, in denen wir mitregieren, auch so umgesetzt.

Das ist ein wichtiger Punkt, denn an der Verbindlichkeit des Programms kann man zweifeln, seit sich Ihr Vorsitzender zur Krim geäußert hat: Das Programm will eine klare Haltung gegen Russland, Christian Lindner hingegen Tabus brechen und die Krim-Besetzung tolerieren. Was gilt denn nun?

Ich glaube, dass einige die Äußerungen von Christian Lindner in den falschen Hals bekommen haben. Er hat natürlich Recht, wenn er sagt, wir können Putin nicht dazu zwingen, dass er morgen aus der Krim abzieht. Das wird nicht passieren. Und da muss man sich überlegen, wie kriegt man dieses Problem in den Griff, um auf diplomatischem Weg dafür zu sorgen, dass er ein Einsehen hat. Das ist, was Christian Lindner bezweckt hat. Insofern sind seine Äußerungen nicht konträr zum Wahlprogramm.

Laut dem will man Russland auffordern, „die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim unverzüglich zu beenden“, Lindner will sie als „dauerhaftes Provisorium“ betrachten: Das wäre kein Widerspruch?

Dann sagen Sie mir doch mal, wie Sie von Deutschland aus Putin dazu zwingen wollen, dass er die Besetzung beendet. Das schaffen Sie nicht!

Das steht aber nicht im Programm. Das will eine „klare Linie“ – und Lindner den Konflikt einkapseln.

Ich bin nicht Christian Lindner. Wenn Sie lieber mit ihm sprechen wollen …

Der Wahlkampf ist halt schon sehr auf ihn zugespitzt, finden Sie nicht?

Nein, nicht nur. Es nehmen viele so wahr, und ich glaube, das ist für die Positionierung der FDP derzeit auch ganz gut. Aber wir haben auch sehr viele in der zweiten, dritten bis hundertsten Reihe. Es ist nicht richtig, uns auf Christian Lindner zu reduzieren. Ich nenne da nur Alexander Graf Lambsdorf, Katja Suding, Nicola Beer und Wolfgang Kubicki.

Ich finde Programmfragen auch interessanter. Halten Sie da zum Beispiel das Spannungsfeld Innere Sicherheit versus Freiheitsrechte für angemessen berücksichtigt?

Da sind wir klar für eine bessere Ausstattung der Polizei und für mehr Personal und selbstverständlich dafür, viel zu digitalisieren: Bei Digitalisierung wollen wir uns insgesamt stark positionieren, in allen Themenfeldern quer durch das Programm. Das ist Ihnen sicher aufgefallen.

Was aber fehlt, ist eine deutliche Positionierung in der auch für Liberale wichtigen Debatte um Präventiv-Haft für Gefährder und Menschen- und Freiheitsrechte. Wo stehen Sie denn da?

Wir sagen: In dem Moment, wo sich hier jemand nicht benimmt, und unsere Rechte hier mit Füßen tritt, dass er dann konsequent abgeschoben wird. Wir stehen dafür, dass der Rechtsstaat auch durchgesetzt wird.

Der Begriff des Gefährders ist ja noch gar kein strafrechtlicher. Da gab es ja noch gar keine Straftat …

Naja, mit einer besseren Verzahnung der Polizeibehörden hätte man jemanden wie Anis Amri, den Berliner Weihnachtsmarktattentäter, auch besser überwachen und auch länger wegsperren können. Es ist wichtig, solche Taten zu vereiteln.

Also finden Sie auch die Entfristung der Gefährderhaft à la Bayern okay?

Nein, in Bayern übertreiben Sie es. Aber ich sag’s noch einmal: Wenn sich einer in Deutschland nicht benimmt und verurteilt wird, dann fliegt er halt raus. Wir können uns hier nicht alles bieten lassen.

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