Linken-Kandidat Robert Jarowoy: „Ich sieze sie alle“

In den 1970er-Jahren saß Robert Jarowoy als anarchistischer Gewalttäter im Gefängnis – jetzt will er für Hamburg-Altona in den Bundestag.

Hat keine Angst vor der Demokratie: Robert Jarowoy Foto: Miguel Ferraz

taz: Herr Jarowoy, was soll aus Altona werden, wenn Sie im September in den Bundestag gewählt werden?

Robert Jarowoy: Das ist ja eigentlich völlig ausgeschlossen. In Westdeutschland ist noch nie jemand von der Linken irgendwo direkt gewählt worden. Insofern ist die Wahrscheinlichkeit nicht besonders groß.

Warum haben Sie sich denn überhaupt aufstellen lassen?

Ich hoffe, dass ich als ein nicht ganz unbekanntes Gesicht neben den Stimmen für mich auch ein paar zusätzliche Zweitstimmen für unsere Partei mobilisieren kann. Als Internationalist und als Kommunalpolitiker denke ich, dass, wenn der unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, ich auch in Berlin einiges bewegen könnte. Sehr zu meinem Leidwesen ist die kommunale Ebene in Hamburg in die Landesebene eingegliedert. Die Bezirke haben hier nur ein Empfehlungsrecht. Das zu ändern und das von unten kommende Kommunale zu stärken, wäre mein größtes Anliegen.

64, ist auf einer Hühnerfarm in Gauchsmühle bei Nürnberg geboren und studierte Philosophie und Geschichte. Er wurde als 20-Jähriger als anarchistischer Gewalttäter im Zusammenhang mit der Bewegung 2. Juni verhaftet.

Inhaftiert war Jarowoy von 1973 bis 1979, davon vier Jahre in Isolationshaft. In dieser Zeit fing er an, zu schreiben, so etwa zusammen mit Fritz Teufel "Die Märchen aus der Spaßguerilla". Seit 1980 lebt er in Altona.

Mitte der 90er-Jahre war er fast zehn Jahre lang Geschäftsführer der Stadt-Land-Genossenschaft, einem regionalen Lieferverbund einer Gruppe ökologisch wirtschaftender Bauernhöfe.

Seit 2008 ist er in der Bezirksfraktion der Linken in Hamburg-Altona. Jetzt kandidiert er für den Bundestag.

Warum stecken Sie so viel Energie in die Bezirkspolitik, wenn man dort so wenig ausrichten kann?

In der Tat stößt man leider immer an seine Grenzen. Es ist unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen nicht möglich, auf Bezirksebene etwas zu beschließen, was gegen die Entscheidungen des Senats Bestand hat.

Ein Beispiel?

Einen aktuellen Fall haben wir zwischen der Stresemannstraße und der Leverkusenstraße, da gibt es eine Blockrandbebauung aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Dort will einer der Eigentümer im Innenhof drei fünfgeschossige Wohnblöcke hochziehen. Dagegen haben die Anwohner ein Bürgerbegehren gestartet, welches nur einen Tag später vom Senat evoziert – und damit in die Tonne getreten wurde. Wir als Linke unterstützen solche Bürgerbegehren.

Aber Bürgerbegehren stellen sich meist gegen Veränderungen. Hätten fortschrittliche Ideen so überhaupt eine Chance?

Nehmen wir mal den Wohnungsbau, für den wir ja auch sind, wenn er machbar und sinnvoll ist. Das Problem ist nur, dass ein Wohnungsbau, wie er im Baugesetzbuch Anfang der 60er-Jahre eingeführt worden ist, mit einer Beteiligung der Öffentlichkeit und Berücksichtigung vielfältiger Belange aus dem Umweltschutz, Verkehr usw. von Olaf Scholz aufgegeben wurde. Ich frage mich, warum stockt man keine Häuser in den Elbvororten auf, aber im Schanzenviertel und in Ottensen baut man acht Geschosse, wo nur vier vorgesehen sind. Solche Bauvorhaben werden in geheimen Sitzungen des Bauausschusses einfach durchgewunken.

In diesen Sitzungen sind Sie in Altona seit zehn Jahren dabei. Wenn die geheim sind, dürfen Sie mit mir überhaupt darüber reden?

Nicht über konkrete Vorhaben.

Und warum nicht? Jetzt werde ich neugierig …

Das wird mit Datenschutz und dem Schutz der Investoren begründet. Dass alles von vornherein grundsätzlich vertraulich ist, das gibt es in dieser Form auch nur in Hamburg. Und dass über alles erst geredet werden kann, wenn es zu spät ist.

Wenn Sie schon so lange dabei sind, haben Sie sich an diese Praxis gewöhnt?

Nein, überhaupt nicht. Ich rege mich jedes Mal auf. Im Moment zum Beispiel über zwei Pappeln in Ottensen. Die sollten abgesägt werden, damit dort ein paar Fahrradbügel installiert werden können.

Das sind ja krachlokale Angelegenheiten. Ist es nicht schwierig, für solche Themen Leute, zumal jüngere, zu erwärmen?

Es gibt ja auch noch andere Dinge. Ich habe mich etwa dafür engagiert, das Camp im Volkspark zum G20-Gipfel zu ermöglichen.

Sie haben das Camp angemeldet.

Ich war einer der Anmelder. Da waren sehr viele junge Leute engagiert. Aber an sich ist Kommunalpolitik eher was für ältere Leute. Die wollen sich ihr Nest erhalten. Angesichts der ganzen Mobilität wissen junge Leute ja noch gar nicht, wo sie landen werden, sie sind eher interessiert an globalen Themen. Mir liegt beides am Herzen.

Wie würden Sie Ihre Rolle als Politiker beschreiben?

Ich bin eine Art Mittler. Weil ich die Informationen früher kriege, kann ich mit den Betroffenen vor Ort ins Gespräch kommen.

Wie ist Ihr Verhältnis zu den anderen Parteien?

Ich sieze sie alle. Auch wenn sich alle anderen untereinander duzen. Aber selbst nach zehn Jahren geht mir das nicht über die Lippen.

Die Rote Flora liegt in Altona. Wie stehen die Bezirksparteien zur Frage, ob die Flora geräumt werden soll?

Wir haben jetzt parlamentarische Sommerferien. Aber im Vorfeld war die Stimmung mit Ausnahme der Linken und der FDP einhellig gegen Camps, sie sahen in ihnen eine Brutstätte gewaltbereiter Leute, was erst recht für die Flora gelten dürfte.

Waren Sie als Anmelder des Camps selbst in der Schusslinie?

Selbstverständlich. Herr Hielscher von der CDU wollte mich schon für alle Schäden, die aufkämen, persönlich haftbar machen. Es gab bisher ein Treffen direkt nach G20 mit den Fraktionsvorsitzenden, der Bezirks­amtsleiterin und der Polizei. Da blieben aber alle Fragen offen. Zum Beispiel, warum die Polizei 55 Minuten brauchte, um hinter den Leuten, die in Altona eine Spur der Verwüstung hinterließen, herzukommen. Stellen Sie sich das mal vor: Da sind 13.000 Polizisten im Einsatz und man lässt diese Leute 55 Minuten lang in Altona Autos anzünden.

Wie werten Sie dieses Nichthinterherkommen?

Ich glaube nicht, dass die Polizei überfordert war, sondern dass das gewollt war und dass die Polizei ihr unsägliches Verhalten bei der „Welcome to hell“-Demo, wo sogar Medien wie der NDR sehr negativ über das Vorgehen der Einsatzkräfte berichteten, nachträglich legitimieren wollte und die Bilder produziert hat, die man dafür brauchte.

Sie haben ja eine bewegte politische Vergangenheit. Vor 40 Jahren, im Deutschen Herbst, wurden Sie als Aktivist der Bewegung 2. Juni verhaftet. Wie landet jemand wie Sie in einer Bezirksversammlung, ist das als ein Bruch zu verstehen?

Nein, das ist überhaupt kein Bruch. Vieles, was ich als junger Mensch gemacht habe, würde ich heute nicht wiederholen. Aber ich stehe zu meiner Geschichte. Ich saß von 1973 bis 1979 als anarchistischer Gewalttäter im Gefängnis. Seit 1980 bin ich in der Kurdistan-Solidarität aktiv. In Kurdistan wird versucht, ein basisdemokratisches rätekommunistisches Gesellschaftsmodell aufzubauen. Die Geschlechter, ethnische und religiöse Minderheiten sind gleichberechtigt. Das ist ein Gesellschaftsmodell, wie ich es mir wünsche, seit ich 16 bin.

Das heißt, Sie haben angesichts von Pegida und Co keine Angst vor der Demokratie?

Die Gefahr besteht immer. Auch bei Bürgerbegehren kann es immer anders laufen als man das möchte. Das ist auch für uns als Linke eine große Herausforderung. Aber wir können ja nicht schon vorher sagen, dass alles schief geht. Es hängt von uns ab, auf die Leute zuzugehen und sie zu gewinnen.

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