Die Wahrheit: „Ich verknöpfe mich extra“

Das große Wahrheit-Exklusiv-Interview: Kanzleringatte Joachim Sauer über physikalische Chemie, Gender- und Merkelfragen.

die Zeichnung eines Mannes mit runzliger Stirn, daneben Frauen in Kleidern

Illustration: Ulrike Haseloff

taz: Herr Professor Sauer, wie lebt es sich an der Seite der mächtigsten Frau der Welt?

Sauer: Lebt sich prächtig. Die Pressemeute jagt uns, der Personenschutz bringt mein Geheimlabor in Unordnung, nein, im Ernst: Es ist die Hölle. Insbesondere mein Ruf als Wissenschaftler leidet seit Jahren. Neidische Kollegen behaupten, ich hätte mich nur hochgeschlafen.

Stimmt das denn nicht?

Im Gegenteil. Ohne Angela hätte ich längst den Nobelpreis. Ohne mich müsste sie heute vielleicht in Tschechien Crystal Meth kochen. Aber ich will nicht klagen. Einfach, weil ich grundsätzlich nicht über Persönliches rede.

Warum nicht?

Darum nicht. Das gehörte zu den Bedingungen für dieses Exklusiv-Interview.

Okay! Das öffentliche Bild Ihrer Frau ist merkwürdig zwiegespalten. Viele machen sie für alles Übel der Welt verantwortlich und sähen sie am liebsten hängen, die Mehrheit wählt sie wohl bald zum vierten Mal ins Amt. Wie finden Sie das?

Zunächst einmal finde ich es höchst bedenklich. Ich wünsche ihr manchmal eine Dornwarze unter dem Fuß oder einen kleinen Herzanfall. Aber gleich den Tod? Das sollte unter Demokraten nicht Usus werden.

Die Begeisterung für die ruhige, unaufgeregte Politik der Kanzlerin können Sie nachvollziehen?

Über Politik rede ich ebenfalls nicht. Keine Politik, nichts Privates – nur Ihre Redaktion war verrückt genug, darauf einzugehen.

Wir müssen also über Chemie sprechen?

Über physikalische Chemie, um präzise zu sein. Meine Dissertation zum Beispiel trägt den Titel: „Quantenchemische Untersuchungen aktiver Zentren und adsorptiver Wechselwirkungen von SiO2- und Zeolithoberflächen“. Verstehen Sie, was das bedeutet?

Nicht die Bohne.

So geht das immer. Darum bin ich auch nur mit Naturwissenschaftlern von Weltruf befreundet, denn nur die verstehen die feinen Anspielungen, mit denen ich meine Monologe würze. Und einzig denen sind dieselben Dinge genauso egal wie mir: gutgeschnittene Kleidung etwa. Feines Essen. Oder was die Leute so von einem denken.

Zum Auftakt der Wagner-Festspiele in Bayreuth gab es deshalb unschöne Schlagzeilen: „Merkel kämpft mit dem Schirm, Joachim Sauer verknöpft sich“Was war da los?

Wir sind gelernte Ostdeutsche, Angela und ich. Kleidung ist uns eher schnurz, und wir haben es gerne „bequem“, wenn Sie verstehen, was ich meine. Gerade hinter getönten Scheiben ist das normalerweise auch kein Problem. Als wir uns danach wieder anzogen …

O là là … wird das jetzt nicht zu privat?

Ach was. Als Ostdeutsche sind wir in gewissen Situationen einfach nur Frau und Mann. Oft sogar beides gleichzeitig. Egal! Als wir am Grünen Hügel ankamen, fiel mir jedenfalls ein, dass ich schon lange mal wieder mein Smoking-Jackett falsch knöpfen wollte. Das ist meine Art, der oberflächlichen, modebesessenen Welt den Stinkefinger zu zeigen.

Eine gezielte Provokation also?

Demonstrative Nonchalance eher. Nerdige Coolness. Normalerweise vergesse ich das falsche Knöpfen leider. Wie in dem alten Witz, wo der zerstreute Professor sagt: „Hoppla, jetzt habe ich ja glatt vergessen, meinen Regenschirm im Café zu vergessen.“

Wie bitte?

Richtig gehört: Ich verknöpfe mich extra. Und weil Angela beim Aussteigen mit dem Regenschirm gegen den Wind kämpfte, ist es keinem aus dem Pressekorps aufgefallen, so dass ich mit falsch geknöpftem Smoking vor den Kameras auftauchen konnte. Das hat Spaß gemacht, beim nächsten Mal vergesse ich, meinen Hosenlatz zu schließen.

Die Geschichte stimmt nicht, oder?

Doch! Oder eher: nein. Vielleicht ein bisschen! Aber wer weiß das schon genau? Auf der subatomaren Ebene, tief im Reich meiner Quantenchemie, regiert eben die Ungewissheit. Das sagt Ihnen doch hoffentlich was: das Atommodell von Niels Bohr, die Heisenberg’sche Unschärferelation, Schrödingers Katze …?

Warum halten Sie Ihr Privatleben so dermaßen bedeckt?

Ich komme aus einer anderen Zeit. Als es noch, wie der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer schrieb, die Taten von Männern waren, die Geschichte machen, und nicht ihre Gefühle. Aus der Genderforschung haben wir inzwischen gelernt, dass dies wohl ebenfalls für Frauen oder jedenfalls für meine Frau gilt. Dennoch beschreibt es recht gut meine Gefühle, über die ich, wie jetzt oft genug gesagt, nicht reden möchte!

Schon gut. Kein Grund, sauer zu werden.

Den Witz habe ich überhört. Wissen Sie, was mich stört? Sie kennen Angela Merkel überhaupt nicht. Sie kennen nur eine Medienfigur. Die Person dahinter hat die Öffentlichkeit mit ausgewählten Informationen gefüttert, die sich bei Ihnen zu bestimmten Klischees von „Merkel“ verdichten: Hat einen trockenen Humor. Kocht gern, aber leider nicht gut. Betreibt hinter einem Deckmantel aus Langeweile und Zuverlässigkeit eine knochenhart neoliberale Politik zugunsten der Besserverdienenden. Aber nichts davon trifft den Menschen, meine Gattin, so ganz.

Was sehen Sie in ihr, was andere nicht sehen?

Für mich bleibt sie immer die entzückende, mädchenhafte Doktorandin, die ich 1984 am Zentralinstitut der Akademie der Wissenschaften der DDR kennenlernen und erst 14 Jahre später heiraten dufte. Ein sprödes Ding, gewiss, aber mit einem Verständnis für physikalische Chemie, das mich vor ihr in die Knie gehen ließ.

Wie dürfen wir uns Ihr beider Kennenlernen vorstellen?

Gar nicht. Sie wollen jetzt was hören über chemische Reaktionen, molekulare Anziehungskräfte und heftige Verpuffungen. Über Molekül-Ärmchen, die sich nicht mehr loslassen, über Näherungsverfahren, Reaktionsfähigkeiten und Explosionen, die das Labor zerstören! Den Gefallen tu ich Ihnen nicht.

Stichwort „Musik“?

Höre ich gerne. Deshalb ja Bayreuth, Wagner und so. Aber auch Salzburg, ist mir eigentlich Wurst. Hauptsache, es lenkt nicht zu sehr von den chemischen Formeln in meinem Kopf ab.

Manchmal auch Zeitgenössisches?

Selbstverständlich. Ich liebe Acts wie die Chemical ­Brothers, Advanced Chemistry oder Chem Özdemir. Ich hasse es nur, wenn in den Texten fragwürdige Genderzuschreibungen zementiert werden. Wenn zum Beispiel Frauen als Bitches bezeichnet werden. Nicht mit mir!

Beschäftigen Sie sich viel mit dem Thema?

Gender – eine hochspannende Materie! Ich war ganz aus dem Häuschen, als ich von dem Unterschied zwischen Sex und Gender hörte, also zwischen biologischem und sozialem Geschlecht. Bis dahin hatte ich immer nur Sex im Kopf. Ab da auch Gender!

Glauben Sie als erfahrene Lehrkraft, Sie können dieses Wissen verbreiten helfen?

Muss ich gar nicht. Denken Sie doch allein an die Symbolik, wenn ich Angela hin und wieder bei großen Staatsbesuchen begleite: ich beim Damenprogramm, als Mann unter lauter Frauen, und sie allein unter Männern. Damit stellen wir aber hallo seit Langem die Geschlechterstereotype der patriarchalen Macht auf den Kopf.

Und was soll das bewirken?

Nach Loki, Hannelore und Doris nun schon so viele Jahre ein Joachim – mein Vorbild ermutigt junge Männer womöglich, sich eine potenzielle Kanzlerin als Frau zu suchen.

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