Plädoyer einer in Mogadischu Befreiten: Ich brauche kein Landshut-Denkmal

Gabriel und „Bild“-Zeitung holen das original entführte Flugzeug von 1977 nach Deutschland. Für unsere Autorin unnötig – sie war damals Passagierin.

Die Original-„Landshut“ steht auf dem Flughafen von Fortaleza in Brasilien

Parkplatz in Brasilien: Seit 2008 verrottet die Original-„Landshut“ auf dem Flughafen von Fortaleza in Brasilien Foto: dpa

BERLIN taz | „Deutschland holt die Landshut nach Hause“, titelte am Donnerstag die Bild-Zeitung. Aha. Die „Landshut“ ist die Boeing 737, die nach fünftägiger Entführung im Oktober 1977 in Mogadischu von der GSG 9 befreit wurde. Mit 90 Menschen an Bord. Einer davon war ich, damals acht Jahre alt.

Der Mainzer Zeithistoriker Martin Rupps, der in „Die Überlebenden von Mogadischu“ beschreibt, wie wenig sich die Bundesregierung um die teils schwer traumatisierten Geiseln kümmerte, hat sich seit Jahren um die Rückführung bemüht. Seine Idee: die „Landshut“ soll ein Museum werden, mit Originaldokumenten und Zeitzeugeninterviews. In einem Artikel im Freitag schrieb er: „Ein Erinnerungsort Landshut wäre ein großer Schritt. (…) Opfer brauchen für ihre Trauerarbeit Orte.“

Seit ich von diesen Plänen weiß, versuche ich herauszufinden, ob auch ich solch einen Ort brauche. Denn ich bin ja eines dieser Opfer, von denen hier die Rede ist. In den vergangenen vierzig Jahre gab es natürlich immer wieder Situationen, in denen ich an die Tage in der „Landshut“ gedacht habe: als wir mit der Klasse – auf meine Anregung hin – den Film „Stammheim“ im Kino schauten. Oder als mich Heinrich Breloer für seine TV-Dokumentation „Todesspiel“ 1997 interviewt hat. Und natürlich auch bei diversen Urlaubsflügen, wenn eine unübersichtliche Situation, laute Passagiere oder bestimmte Gerüche mich plötzlich in Panik versetzt haben.

Manchmal hätte ich gerne mit jemandem darüber gesprochen. Oder mich über eine Nachfrage gefreut. Aber nie, wirklich nie, habe ich einen Ort vermisst, an dem ich hätte „erinnern“ oder „trauern“ können.

Ich wünsche mir: Kommunikation

Dabei bezweifle ich überhaupt nicht, dass es Menschen gibt, denen ein solcher Ort wichtig wäre. Einige der ehemaligen Geiseln haben Bücher geschrieben, andere in Interviews von Angstzuständen berichtet. Mein Leben verlief im Vergleich dazu relativ ruhig.

„Am 13. Oktober lege ich immer eine kleine Gedenkminute ein“

Ich frage bei meinem Vater nach. Er ist gerade 86 geworden und auf meine telefonische Mitteilung von der „Landshut“-Rückkehr reagiert er leicht genervt: „Ach weißt du, das interessiert mich nicht, das ist doch nur ein Flugzeug, sonst nichts.“ Um mir dann begeistert vom Viermaster „Peking“ zu erzählen, der nach vierzig Jahren in New York nun nach Hamburg zurückkehrt. Als ehemaliger Seemann findet er solche Schiffsgeschichten immer noch spannend. Einen Erinnerungsort für Mogadischu brauche auch er nicht, versichert er mir.

Seit ich in Rupps’ Buch gelesen habe, dass die ehemaligen Geiseln weder psychologische Unterstützung noch finanzielle Entschädigung erhalten haben, denke ich aber häufiger darüber nach, was man als Entführungsopfer überhaupt fordern darf. Oder sollte.

Ich habe in meinem Leben bislang vergleichsweise wenig über die „Landshut“ gesprochen und erst seit der Lektüre Rupps weiß ich, dass ich mit meinen diffusen Panikattacken nicht alleine bin. Das war beruhigend, seither sind diese Ängste seltener.

Ich würde mir zum 40. Jahrestag der „Landshut“-Befreiung etwas anderes wünschen als ein Museum in einem alten Flugzeug: Kommunikation. Heute gäbe es vermutlich nach einem solchen Ereignis eine Mogadischu-WhatsApp-Gruppe, ein Internetforum oder Vergleichbares.

In einer alten Boeing treffen

Aber ich weiß bis heute nicht einmal, wer die 90 Menschen eigentlich waren, mit denen ich in der „Landshut“ zusammengepfercht war. Ein Freizeithistoriker hat mich vor ein paar Jahren um Mithilfe bei der Rekonstruktion einer Passagierliste gebeten. Die offizielle Liste ist nicht öffentlich. Erst auf dieser Passagierliste mit Namen und Porträtfotos sehe ich alle anderen 90 Geiseln erstmals zusammen. Und ich frage mich, wie sie ihr Leben weitergelebt haben. Ob „Mogadischu“ für sie heute ein abgeschlossenes Kapitel ist wie für meinen Vater. Oder ob sie, wie ich, am 13. Oktober immer eine kleine Gedenkminute einlegen.

Das einzige offizielle Treffen der „Mogadischu-Geiseln“, bei dem ich jemals war, fand 1978 in Bonn statt. Aber als Neunjährige habe ich mit den anderen Kindern dort nicht über Mogadischu gesprochen, sondern Pacman auf dem Hotelcomputer gespielt und die Süßigkeiten vom Buffet gegrast.

Vierzig Jahre sind vergangen seit dem „Deutschen Herbst“. Von den 91 Landshut-Geiseln lebt heute vielleicht noch die Hälfte. Der Jahrestag wäre ein guter Zeitpunkt für ein erneutes Treffen. Ohne Pressevertreter, ohne Berichterstattung. Aber vielleicht mit jemandem, der ein bisschen nachfragt.

Das wäre mein persönlicher – sehr unfertiger – Wunsch. Alle anderen können sich gerne in einer alten Boeing in Friedrichshafen erinnern.

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