Kolumne Knapp überm Boulevard: Die Tabus überwinden

Kann Religion so verändert werden, dass sie die Liberalisierungen der Moderne sogar befördert? Oder sind Religionen gar nicht reformierbar?

Eine Frau legt ihren Gebetsteppich aus

In der liberalen Moschee in Berlin Foto: dpa

Erst die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee und dann noch ein Text von Hülya Gürler über progressiven Islam in der taz. Endlich, denkt man. Das ist es, was es braucht. Ein innerislamisches reformatorisches Projekt. Eine innerislamische Auseinandersetzung mit Tabus.

Und während man voller Besorgnis auf die Anfeindungen, Morddrohungen bis hin zur Fatwa schaut. Und während man voller Sympathie dem Projekt Erfolg wünscht und den engagierten Text liest – während und trotz all dieser Regungen merkt man aber dennoch, wie Zweifel in einem aufkommen. Diese zu artikulieren, soll nicht als Kritik an dem Unternehmen missverstanden werden, sondern vielmehr als noch ein Diskussionsbeitrag, der das Geschehen „von außen“ – also von außerhalb der muslimischen Community – beobachtet. Kurzum: Ich bin keine Muslima. Ich finde das alles toll. Aber ich habe Zweifel.

Denn es drängt sich eine Frage auf: Kann die Religion aus einer Speerspitze gegen die Moderne zu einem Vehikel der Moderne werden? Anders gesagt: Kann Religion, kann eine monotheistische Religion so verändert werden, dass sie sich nicht nur den Liberalisierungen der Moderne nicht mehr verwehrt – sondern diese vielmehr befördert? Ausgerechnet die Religion?

Gürler scheint diese Frage eindeutig zu beantworten. Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee hat nicht nur eine weibliche Vorbeterin, sie will auch, wie Gürler schreibt, offen sein für alle: „Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender, Sunniten, Schiiten, Aleviten, Sufis und Nichtmuslime“ – alle sollen willkommen sein. Alle sollen zusammen beten. Wie heikel das ist, wie sehr hier ein wunder Punkt getroffen wird, zeigt sich nicht zuletzt an der Vehemenz der Ablehnung. Aber dennoch muss man fragen: Kann Religion das? Kann Religion offen sein für alle? Tolerant? Kann Toleranz zum Kriterium der Religion werden? (Eine Frage, die sich nicht nur in Bezug auf den Islam stellt.) Können kritische Auseinandersetzungen integriert werden in das religiöse System? Abweichungen, Zweifel? Kann das, was gegen die bisherige Praxis der Religion gerichtet war, von ebendieser transportiert und befördert werden?

Religion ist kein Vehikel der Moderne

Gürler möchte all dies „öffentlich und ohne Scham“ ansprechen. Sie möchte „den öffentlichen Raum nicht den Salafisten oder anderen Fundamentalisten“ überlassen. Man muss nur sehen, dass das zwei verschiedene Arten sind, mit diesem öffentlichen Raum umzugehen. Salafisten oder Fundamentalisten nutzen diesen öffentlichen Raum instrumentell. Sie wollen Menschen ansprechen, mobilisieren, erziehen, um sie zum Gegenteil von öffentlichen, autonomen Subjekten zu machen. Sie wollen also den öffentlichen Raum durch ihre Nutzung unterlaufen.

Für Gürler hingegen ist die Öffentlichkeit nicht nur ein Medium, dessen sie sich bedient, sondern auch ein Inhalt: Die öffentliche Debatte soll dazu beitragen, Diversität zuzulassen. Hier sollen Tabus angesprochen, also überwunden werden – Tabus wie die Stellung der Frau. Aber die diskursive Öffentlichkeit ist etwas anderes als Religion. Sie braucht, sie erzeugt einen anderen Subjekt-Typus.

Im besten Fall kann Aufklärung der Religion Grenzen setzen

Es kann liberale und konservativere Gemeinden geben, offenere oder geschlossenere Communities. Und das macht einen großen Unterschied. Aber eine in ihrem Inneren aufgeklärte, vernünftige, tolerante Religion? In ihren Praktiken ebenso wie in ihren Glaubensinhalten? Es steht zu befürchten, dass der Glutkern aller drei großen monotheistischen Religionen weder Vernunft noch Toleranz ist. Es steht zu befürchten, dass jede Religion in ihrem Innersten nur bedingt reformierbar ist. Religion ist kein Vehikel der Moderne, der Toleranz, der Liberalität. Das heißt nicht, dass Reformen und Aufklärung sinnlos wären. Es heißt nur, dass deren Effekte andere sind.

Im besten Fall kann Aufklärung der Religion Grenzen setzen. Sie kann deren Macht beschneiden, sodass diese nicht mehr für alle Bereiche des menschlichen Lebens zuständig ist. Das aber ist keine Liberalisierung der Religion – es ist vielmehr deren Einhegung. Es ist deren partielle Säkularisierung.

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