Kinofilm „Ihre beste Stunde“: Making of Weltkriegsdrama

Lone Scherfigs „Ihre beste Stunde“ zeigt anhand des „Wunders von Dünkirchen“, wie aus Ereignissen eine Legende und dann Kino wird.

Menschen sitzen nebeneinander

Kino im Kino: Catrin Cole (Gemma Arterton) guckt ihren Film „The Nancy Starling“ Foto: Concorde

Manche Dinge verstehen sich von selbst: „Natürlich können wir Ihnen nicht das Gleiche zahlen wie den Jungs“, sagt ein Staatsbeamter in Lone Scherfigs „Ihre beste Stunde“ zu einer jungen Drehbuchschreiberin. Aber „natürlich“ handelt es sich hier um einen Historienfilm, denn diese Art von selbstverständlicher Ungerechtigkeit gibt es heute ja nicht mehr – und wenn doch, würde man sich wohl keineswegs so freizügig dazu bekennen, oder?

Scherfigs Film spielt im Großbritannien des Jahres 1940, aber in seinen absichtlich in gedeckten Farben gehaltenen Kostümen und Kulissen versteckt sich ein erstaunlich bunter Film, der ganz verschiedene Tonarten und Themen mixt. Weibliche Emanzipation ist davon nur eines.

Gemma Arterton spielt Catrin Cole, eine junge Frau, die im schwer unter den Luftangriffen der Deutschen leidenden London mit dem Texten für Aufklärungsfilme das Geld für sich und ihren düsteren Künstlergatten (Jack Huston) verdient.

Ihre große Chance kommt, als das „Ministerium für Information“ zur Stärkung der Kriegsmoral einen Film über das „Wunder von Dünkirchen“ in Auftrag gibt und man sie engagiert, um den dafür notwendigen „Frauenkram“, von den Beteiligten abfällig „slop“ (Schmalz) genannt, zu schreiben.

„Ihre beste Stunde“. Regie: Lone Scherfig. Mit Gemma Arterton, Sam Claflin u. a. Großbritannien 2016, 118 Min.

„Workplace Comedy“

Immerhin sieht man(n) ein, dass Frauen einen nicht unerheblichen Teil der Zivilbevölkerung bilden, allerdings sieht sich die ansonsten fast ausschließlich männliche Belegschaft der Filmproduktion nicht in der Lage, die Wünsche eines weiblichen Publikums angemessen zu vertreten. Was sie bezeichnenderweise weniger als ihre Unfähigkeit denn als unter ihrer Würde begreift.

In seiner Anfangsphase folgt „Ihre beste Stunde“ dem Genremuster einer „Workplace Comedy“, in der verschiedene Charaktere mit ihren Eigenheiten wieder und wieder aufeinandertreffen. Da gibt es die steifen Herren des Informationsministeriums – angeführt vom stets distinguiert blickenden Richard E. Grant –, die mit immer neuen Anforderungen ankommen: Der Film soll für gute Stimmung sorgen, aber auch den amerikanischen Kriegseintritt befördern.

Es gibt das Schreiberteam um Catrin Cole herum, in dem ihre scharfzüngigen und bald von romantischen Gefühlen in Spannung versetzten Rededuelle mit dem hochnäsigen Kollegen Tom Buckley (Sam Claflin) von einem ewig-skeptischen Sidekick namens Raymon Parfitt (Paul Ritter) untermalt werden.

Und es gibt den alternden Star, der nicht recht einsieht, dass seine Zeit vorbei sein soll, von Bill Nighy mit so herrlich brüchigem Charme gespielt, dass man streckenweise vergisst, dass sowohl Nighy als auch sein Alter Ego im Film mit dem leicht lächerlichen Namen Ambrose Hilliard eigentlich nur Nebendarsteller sind.

Und gerade, wenn man sich fragt, ob Scherfig diesen Stoff nicht besser gleich in Serienform verwandelt hätte, nimmt der Film Fahrt auf und wird doch noch ganz Kino: Geschlechterkomödie und Romanze, Kriegs- und Propagandasatire, in erster Linie aber eine liebevoll-selbstironische Hommage an das kollektive Basteln, das über unzählige Einzeleinfälle und Einzelbeiträge wie durch ein Wunder schließlich einen geschlossenen Film hervorbringt.

Vorspiel für Christopher Nolan

Als zusätzliche Ironie des Deutschlandstarts – der Film feierte seine Premiere letztes Jahr in Toronto – erscheint, dass „Ihre beste Stunde“ davon handelt, wie die historischen Ereignissen rund um die „Operation Dynamo“ in Dünkirchen 1940 für die Leinwand adaptiert werden und mit Christopher Nolans „Dunkirk“ in drei Wochen gewissermaßen das moderne, als großer Blockbuster angelegte Gegenstück dazu herauskommt.

Mit seinem humoristischen Blick darauf, wie aus Ereignissen Legende und dann ein Stück Kino wird, bildet „Ihre beste Stunde“ eine Vorbereitung der ganz eigenen Art auf Nolans angekündigtes „Kriegsabenteuer“.

Beruhend auf einem Roman von Lissa Evans entlarvt Lone Scherfigs Film wie nebenbei nämlich das Drehbuchschreiben als experimentelle Collage der Wirklichkeit. Am Anfang reist Catrin zur Recherche an die englische Südküste.

Eine Zeitung hatte auf die „Heldentat“ zweier Schwestern, Lily und Rose, hingewiesen, die – wie es damals unzählige private Boote in England taten – mit dem Boot ihres Vaters losgeschippert waren, um den Soldaten auf der anderen Seite des Kanals aus der Bredouille zu helfen.

Was zunächst wie eine Steilvorlage für einen die Kriegsmoral stärkenden Propagandafilm klang, entpuppt sich bei Catrins Nachfragen fast als untauglich. Die Schwestern selbst stellen sich als schüchtern und provinziell heraus, das Boot haben sie ihrem betrunkenen Vater heimlich entwendet – und bis Dünkirchen sind sie damit gar nicht erst gekommen.

Aber Catrins Schreibertalent wird sich bald darin zeigen, dass sie das unstimmige große Ganze in den Hintergrund drängen kann und sich stattdessen von den Details inspirieren lässt: vom Versagen des Motors und der Rettung eines Hundes, vom trunkenen Vater und von einem jungen Mann, der Rose einen Kuss stahl.

Wie sehr die Wirklichkeit von der fürs Drehbuch benötigten Fassung abweicht, hängt Catrin denn auch nicht an die große Glocke. Die leicht abgeänderten Details wie der gerettete Hund, der Kuss und der Trinkervater, aus dem ein trinkender Onkel (weniger störend für das traditionelle Familienbild!) wird, bilden bald das auf Zetteln notierte Skelett der Drehbucherzählung. Der Plot ist sowieso nur das, womit das Dazwischen gefüllt wird.

Durchaus satirisch hebt Scherfig darauf ab, wie ideologisch flexibel und konformistisch das Filmemachen auch sein kann, zumal in Kriegszeiten. Die immer neuen Ansprüche des Informationsministeriums werden von den „Kreativen“ zwar meist feindselig aufgenommen, aber dann doch mit professioneller Verve umgesetzt.

Etwa als plötzlich ein amerikanischer Soldat (verkörpert von Jake Lacy) mitspielen soll: Wie kann man dessen Anwesenheit in Dünkirchen im Mai 1940 einigermaßen sinnvoll begründen? Von der sonnig-blonden Gestalt des Laienschauspielers, der die Rolle übernimmt, sind alle begeistert – bis zum Dreh seiner ersten Szene, bei dem sich so plötzlich wie urkomisch zeigt, warum es so etwas wie einen „Screentest“ gibt.

Als Running Gag funktioniert auch die ständige Umbewertung der Rolle des trinkenden Onkels: zuerst als „comic relief“ geplant, gelingt es Nighys alterndem Star durch unablässiges Betreiben hinter den Kulissen den Part Zug um Zug zu vergrößern – bis er schließlich mit eigenem Monolog einen waschechten Heldentod sterben darf. Und dann ist da noch der Plotpoint mit dem versagenden Motor – bald das einzige Detail aus Lilys und Roses Ursprungsgeschichte, das noch stimmt.

In den immer neu sich anpassenden Varianten ist es abwechselnd mal der fiktiv gerettete englische Soldat Johnny, dann der ebenso fiktive Amerikaner oder der kaum mehr trinkende Onkel, der in die kalten Fluten steigt, um den Propeller frei zu bekommen. Catrin aber kämpft darum, wenigstens dieses Detail an ihre inzwischen fast zur Untätigkeit verdammten weiblichen Ursprungsheldinnen zurückzugeben: Könnte nicht mal Lily den Propeller reparieren?

Lakonie und Spitzzüngigkeit

So sehr das Drehbuchschreiben auf diese Weise durch die Mangel gedreht und eben nicht als hohe Kunst, sondern als gekonntes Flickwerk enttarnt wird, so vollendet geschliffen kommt gleichzeitig das Drehbuch zu „Ihre beste Stunde“ daher.

Zwar passiert ihm etwas Ähnliches wie dem Film-im-Film-Szenario – in der Fülle der starken Nebenfiguren gerät ihm seine zentrale Heldin mehr und mehr aus dem Blick. Aber die Lakonie und Spitzzüngigkeit der Sprache und das Spielerische der Handlung wiegen die dröge Ausstattung und allzu melodramatischen Kurven des Schlusses um Längen wieder auf.

Den Hollywood-Selbstbespiegelungswerken der vergangenen Jahre wie „The Artist“, ­„Birdman“ und „La La Land“ hat „Ihre beste Stunde“ in jedem Fall eines voraus: den Sinn fürs ­Kollektiv.

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