Inklusion am Frühstückstisch: Alle unter einem Dach

Inklusion hört nicht nach der Schule auf. Das zeigt ein neues Modellprojekt des Bremer Martinsclubs: In Schwachhausen gibt es jetzt eine inklusive WG

Tafel mit Aufgaben und Zeitplan

Organisation ist alles: Küche der inklusiven WG. Foto: Karolina Meyer-Schilf

BREMEN taz | Es sieht ein bisschen aus wie Inklusion de Luxe: In Schwachhausen hat der Bildungs- und Beschäftigungsträger Martinshof die erste inklusive WG Bremens gegründet. Vier StudentInnen und vier Menschen mit Beeinträchtigung leben jetzt gemeinsam unter einem Dach.

Der Martinsclub hat dafür ein Altbremer Haus in der Delbrückstraße gekauft und aufwändig saniert. Die Ausstattung und Möblierung übernahm größtenteils eine Innenarchitektin. Die insgesamt dafür nötigen 1,8 Millionen Euro wurden von der „Aktion Mensch“ und aus einem Rücklagenfonds des Martinsclubs finanziert, mit dem innovative Wohnmodelle umgesetzt werden sollen.

Die WG lebt jetzt auf zwei Etagen mit insgesamt 260 Quadratmetern, zwei weitere Wohnungen in den oberen Etagen werden regulär vermietet und dienen so der Querfinanzierung – denn die StudentInnen zahlen weniger als die ortsübliche Schwachhauser Miete. Neben der Wohnküche und dem großzügigen Wohnzimmer hat die Wohnung mehrere barrierefreie Bäder und einen Aufzug. Die acht BewohnerInnen haben jeweils ihr eigenes Zimmer.

Erster Auszug ist schwer

„Die Idee für diese WG hatte ich vor drei Jahren“, sagt Nico Oppel, der beim Martinsclub für die Projektleitung zuständig ist. „Ich habe ähnliche Projekte in Süddeutschland gesehen und dachte: Hey, Bremen braucht auch eine inklusive WG!“ Wie immer bei der Inklusion sollen beide Seiten profitieren: „Der erste Auszug von zu Hause ist immer ’was Besonderes, egal, ob es sich um Studis, Auszubildende oder eben Menschen mit Beeinträchtigung handelt“, sagt Oppel. „Und wir haben uns gedacht: Bringen wir sie doch einfach zusammen.“

Die Inklusion solle eben gerade nicht nach der Schule aufhören, die WG vielmehr ein „Baustein für eine inklusive Gesellschaft“ sein, so der Projektleiter. Die vier StudentInnen sollen dabei ausdrücklich keine pflegerischen oder pä­dagogischen Aufgaben übernehmen – das wird von einem Pflegedienst und der pädagogischen Betreuerin Anne Skwara-Harms übernommen.

Angestellt im Martinsclub sind sie dennoch: „Damit können sie sich ein Taschengeld dazu verdienen.“ Dafür begleiten sie ihre MitbewohnerInnen im Alltag, gehen gemeinsam einkaufen oder helfen mal beim Wäschewaschen. In der Küche ist ein großer Wochenplan befestigt, in den sich die StudentInnen eintragen. „Morgens ist immer einer da“, sagt Fred, der inklusive Pädagogik studiert. „Aber wir haben schon gemerkt: Wecken braucht man keinen, das klappt alles bestens. Aber es ist ja auch einfach nett, morgens zusammen einen Kaffee zu trinken.“

Auch nachmittags sei immer einer von den StudentInnen da, „damit niemand in eine leere Wohnung kommen muss“. Denn die vier MitbewohnerInnen mit Beeinträchtigung sind alle berufstätig und tagsüber außer Haus: Sven ist Koch in einem Kindergarten in Hastedt, Janina macht eine Ausbildung zur Landschaftsgärtnerin im Martinshof, Nils arbeitet dort in der Tischlerei und Enrico reinigt Polizeiwagen.

Richtig rein ins Quartier

Alle haben gemeinsam, dass die WG ihre erste eigene Wohnung außerhalb des Elternhauses ist. „Das war am Anfang schwierig“, sagt Sven, aber jetzt gefalle es ihm richtig gut. Auch der Landesbehindertenbeauftragte Joachim Steinbrück sagt zur Eröffnung, er sei anfangs schon skeptisch gewesen. Er kennt das Modell aus München und beschreibt es so: Ein etwas älterer Mann mit Beeinträchtigung lebte mit Studierenden zusammen und musste ständig Wechsel erleben, wenn Studierende wieder auszogen.

„Alle anderen kommen und gehen, nur er selbst blieb immer da.“ Die inklusive WG des Martinsclubs sei jetzt ein wichtiger Schritt, um wirklich „in die Quartiere reinzugehen und nicht ghettoähnlichen Wohnraum“ auf der grünen Wiese zu schaffen.

„Es ist für alle auch ein mutiger Schritt“, sagt Projektleiter Oppelt – sowohl für die Beeinträchtigten als auch für die Studierenden. „Wie das jetzt hier alles wird, weiß ich auch nicht“, aber dafür sei die WG ja auch ein Modellprojekt: Um zu sehen, wie alternative Wohnprojekte am besten laufen.

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