Lenin und die Schweiz: Die große Revolution

Die Oktoberrevolution stand in mehrfacher Verbindung mit der Schweiz. Für viele Russen war sie ein Sehnsuchtsland. Eine Ausstellung in Zürich.

Eine Menschenmenge auf einem Gemälde von Serow

Wladimir Iljitsch Lenin (Mitte) wird während der Oktoberrevolution 1917 von Revolutionären umringt Foto: dpa

Die Kuratoren der Ausstellung „1917 Revolution. Russland und die Schweiz“ im Landesmuseum in Zürich lösen die knifflige Frage, wie man eine Revolution ausstellt, sehr elegant. Sie machen nicht den aussichtslosen Versuch, den komplexen Verlauf der Oktoberrevolution gleichsam nachzustellen, sondern deuten die Revolution kulturgeschichtlich und rücken das Geschehen in einen breit gefassten kulturellen Kontext. Sie dokumentieren die in Kunst, Musik, Ballett und Film herrschende Aufbruchstimmung, die schließlich in die „gewaltigste Revolutionsbewegung der modernen Geschichte“ (Eric Hobsbawm) mündete.

Mit der Schweiz stand die Oktoberrevolution in mehrfacher Verbindung. Für viele wohlhabende Russen war die Schweiz ein Sehnsuchtsland. Im Luftkurort Davos war der Andrang russischer Patienten so groß, dass man dort ein Konsulat einrichtete. Umgekehrt emigrierten seit dem 18. Jahrhundert Schweizer Hauslehrer, Söldner, Wissenschaftler, französischsprachige Gouvernanten, Käser und Zuckerbäcker nach Russland.

Im späten 19. Jahrhundert wurde die Schweiz zum ­Asylland für russische Revolutionäre von den Anarchisten Bakunin und Kropotkin bis zu den Sozialdemokraten und Sozialisten Plechanow und Uljanow, der sich Lenin nannte. Die Ausstellung dokumentiert den Beginn der Revolution mit Bildern von der Verabschiedung Lenins am 9. April 1917 in einem plombierten Personenzug aus Zürich. Der deutsche Generalstab hatte die Idee, das im Krieg militärisch geschwächte Zarenreich durch den Import der im Exil lebenden Revolutionäre auch politisch zu destabilisieren.

Vor dem Ersten Weltkrieg ging von Russland ein kultureller Aufbruch aus – in der Musik mit Komponisten wie Skrjabin und Strawinsky, im Ballett mit Djagilew und Nischinski, vor allem aber in der Malerei. Die Ausstellung zeigt selten zu sehende Werke der russischen Malerinnen, die noch vor dem Weltkrieg den Futurismus und Kubismus entdeckten.

Bilder wie die „Kubistische Stadtlandschaft“ von Ljubow Popowa (1889–1914), Alexandra Exters (1882–1949) „Farbdynamik“ oder Natalia Gontscharowas „Fabriken“ (1881–1962) prägten die Entwicklung der modernen Kunst zur Abstraktion auch im Westen. Kasimir Malewitsch (1878–1935) ist mit einer Skizze zum Bühnenbild für die futuristische Oper „Sieg über die Sonne“ von 1913 vertreten. Hier taucht zum ersten Mal das berühmte „Schwarze Quadrat“ als Kontrapunkt zur roten Sonne auf.

Schwache Modernisierung

Im Kontrast zu Zeugnissen der kulturellen Blüte stehen Fotos der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Zarenreichs. Die Modernisierung des Landes gelang nur punktuell. Im überwiegend ländlichen Russland dominierten Elend und Armut.

"1917 Revolution. Russland und die Schweiz", bis 25. Juni, Landesmuseum Zürich, Katalog, 25 CHF.

Den komplexen Verlauf des revolutionären Prozesses vom 24. und 25. Oktober 1917, als sich politischer Putsch, Soldatenrebellion, Bauernaufstand, proletarischer Streik und nationale Befreiungsbewegungen zur großen Revolution vermengten, illustriert die Ausstellung mit der Gegenüberstellung von Fotos von Massendemonstrationen mit Bildern der machtlosen Kerenski-Regierung auf der einen und der riesigen Versammlung des Petersburger Sowjets auf der anderen Seite. Der Sowjet verabschiedete am 26. Oktober 1917 das Dekret über „Frieden, Land, Brot und Arbeiterkontrolle“. Der Entwurf des Dekrets in Lenins Handschrift aus dem St. Petersburger Archiv ist in der Ausstellung zu sehen.

Der populäre Maler Isaak Brodski (1883–1939) malte 1925 ein Lenin-Porträt und ein Jahr später eines von Stalin. Die beiden erstmals im westlichen Ausland ausgestellten Bilder deuten auf die Abkehr der künstlerischen Entwicklung hin – vom revolutionären Aufbruch der Moderne zum später „sozialistischer Realismus“ genannten Stil. Kunst wurde zu politischer Propaganda abgewertet. Keine opulente, aber eine instruktive Ausstellung.

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