Die Wahrheit: Bis zum Wasser im Hals

Was so alles baden geht: Immer neue Protestformen werden entwickelt. Inzwischen dominiert die Kunst moderne Demonstrationen.

Dass Angela Merkel baden geht, sähe mancher Demonstrant gern Foto: Reuters

Die Landwirtschaft geht baden! Hunderte Bauern sprangen letzten Freitag, nur mit ihren Stiefeln bekleidet, im Berliner Spreebogen in das nasse Element und machten deutlich, dass ihnen durch die sinkenden Erlöse für Milchprodukte das Wasser abgegraben wird. „Mit dieser gelungenen Protestaktion“, so Bauernsprecher Ulkar von Strunzendorff, „unterstreichen wir unsere Kritik an den zu niedrigen Abnahmepreisen der Molkereien, in deren Konsequenz wir unsere Kosten nicht mehr decken können.“

Der Einzelhandel säuft ab! Tausende Ladenbesitzer warfen sich kurz danach, bloß mit ihren Registrierkassen angezogen, ebenfalls im Berliner Spreebogen in die Fluten und bewiesen anschaulich, dass ihre Geschäfte den Bach runtergehen. „Mit dieser originellen Protestaktion“, so Einzelhandelspräsidentin Wiga Kötzle, „bekräftigen wir unsere Forderung nach niedrigen Einkaufspreisen, um die Molkereiprodukte für uns bezahlbar zu halten!“

Das Wasser steht dem Wasser bis zum Hals! Millionen Liter nacktes Wasser wurden nur wenig später gleichfalls im Berliner Spreebogen in den Fluss gekippt, um auf pfiffige Weise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Verwässerung der Umweltauflagen durch die Industrie zu lenken. „Mit dieser geistreichen Protestaktion“, so Umweltaktivist Okus Blöker, „führen wir vor Augen, dass die Wirtschaftslobbyisten buchstäblich mit allen Wassern gewaschen sind!“

Politik und Kunst verschmelzen

Drei aufsehenerregende Aktionen, die für eine moderne Protestkultur stehen: Politik und Kunst verschmelzen auf fantasievolle Weise, heben die Demokultur auf ein kreatives Level und rütteln die Gesellschaft nachhaltig wach. „Protest als eine neue, zeitnahe Kunstform“ – so beschreibt Ulkar von Strunzendorff das Phänomen, der während seines Studiums der Agrarwissenschaft im Nebenfach Ästhetik und Kommunikation gehört hat.

Demonstrationen, ­Parolen, Sprechchöre sind ultimativ out. Selbst das Demonstrationsmöbel „Sarg“, mit dem von der Rentenreform bis zu Studiengebühren jahrzehntelang allerlei beerdigt wurde, gilt als „echt abgenudelt und krass ungeil“ und verschwindet aus den Protestaufzügen.

„Das ist old school, einfach voll ekelhaft. Wir sind doch keine Proleten!“, muss sich Wiga Kötzle, die aus einer Lehrerfamilie kommt, echt übergeben. „Unser Protest muss Niveau haben, genau wie wir. Ein bisschen unkonventionell, ein wenig Party. Hauptsache, nicht laaangweilig. Unterhaltung, Spaß, Fun – das ist definitiv unser gebrandeter Markenkern!“

Protest muss ein cooler Event sein, um von den Menschen konsumiert werden zu können

Für Binzi Bürzel, Dozent für Politisches Design an der Hochschule Bielefeld, steht fest, dass Protest ein cooler Event sein muss, um von den Menschen konsumiert werden zu können. Wer protestiert, muss sich deshalb permanent neu erfinden und sich am Markt optimal positionieren, um mit seiner Performance gut aufgestellt zu sein. Den Vorwurf, über den super Formen wären die tollen Inhalte am Ende des Tages schnell vergessen, widerlegt Bürzel total: „Sie haben recht. Aber der Inhalt geht viral!“

Protest auf professioneller Basis

Der von ihm designte Kongress „Protest und Politics“ ist Treffpunkt und Meetingpoint der Organisationen, die hinter den Aktionen stehen und die gesellschaftlichen Gruppen bei der Suche nach dem korrekten künstlerischen Ausdruck für ihren politischen Protest auf professioneller Basis beraten. Epo Wichsler, der sympathische Geschäftsführer von Schöner Rebellieren, benennt das Prinzip: „Nicht sinnlos, sondern sinnlich erfahrbar, so muss Protest!“ „Für Medien und Menschen sexy aufbereitete Kritik, that’s it!“, drängt Aule Pocken nach vorn, die angenehme Leiterin von Kritisch & Kreativ. „Das ist ein absolutes Must. Wir …“ – „… wir“, schubst Igi T. Oschlarch, der menschlich ansprechende Chef von Protest Progressiv sie zur Seite, „sind der Marktführer!“

Er zeigt auf sein Smartphone: Zu sehen sind Fotos nackter Männer, deren Hodensack am Pflaster einer Fußgängerzone festgenagelt ist. „Mit dieser einfallsreichen Aktion“, erläutert Oschlarch, „machte die Pilotengewerkschaft im Lohnkampf klar, dass Nägel mit Köpfen gemacht werden müssen. Sonst bleiben die Flieger am Boden!“

„Plagiat!“, kämpft sich wieder Aule Pocken nach vorn und zückt ihr iPhone: Zu sehen ist eine Pressekonferenz des Luftfahrtunternehmens, dessen Verhandlungsführer mit am Hodensack festgenageltem Portemonnaie beweist, dass ihm die Gehaltsforderungen der Piloten einfach auf den Sack gehen.

Ob der Zusammenhang zwischen Form und Inhalt nicht megawillkürlich sei? Die Frage wischen unisono alle drei Protestexperten vom Tisch: „Hey, in unserer globalisierten, total vernetzten Welt hängt alles mit allem irgendwie zusammen! Got it?!“

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kari

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