Feminismus nach 1968: Dann eben ohne Schwänze

Warum sich die autonome Frauenbewegung von der Studentenbewegung abspaltete. Und was wir daraus lernen können.

Eine große Penisfigur aus Stein in einem Garten

Um Zeitungen zu machen, braucht man ihn nicht, als Deko ist er ok: der Penis Foto: dpa

Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) war ein Männerhaufen. Alle möglichen Formen von Hierarchie wurden in Frage gestellt, nur für die Hierarchie der Geschlechter waren die Herren überraschend blind.

Im September 1968 gibt Helke Sander auf der Delegiertenkonferenz des SDS bekannt, dass die Frauen sich auf eine „Politisierung des Privaten“ konzentrieren wollen. Wer den ganzen Tag ein Kind auf dem Arm trägt, könne schwer die Faust zur Revolution erheben.

Sander erklärt Erziehungsfragen zu Hauptfragen und schließt mit: „Genossen, wenn ihr zu dieser Diskussion, die inhaltlich geführt werden muß, nicht bereit seid, dann müssen wir allerdings feststellen, dass der SDS nichts weiter ist als ein aufgeblasener konterrevolutionärer Hefeteig.“ Dieser Zwischenruf droht zu verhallen, weshalb Sigrid Rüger Tomaten auf die Bühne regnen lässt, es folgen Ärgernis und Spott.

Diverse Schwänze über einer nackte Frau

Für die politisierten Frauen ist kein Platz im SDS, der Frankfurter Weiberrat wird gegründet. Zwei Monate später, auf der Delegiertenkonferenz in Hannover, geht schließlich eines der berühmtesten frühen Schriftstücke der neuen Frauenbewegung um: Diverse Schwänze prangen als Trophäen über einer nackten Frau mit Axt, Namen von Delegierten unterhalb des Bildes laden zur Einordnung dieser ein.

Benno Ohnesorg liegt blutend auf dem Boden, Friederike Hausmann beugt sich über ihn

2. Juni 1967: Ein Schuss tötet den Demonstranten Benno Ohnesorg. Dieses Datum markiert den Beginn einer bis heute geführten Debatte über Gegenöffentlichkeit, über die Medien, über Wahrheit und Lüge, oder, wie man heute formulieren würde, über Fake News und alternative Fakten, über Verschwörungstheorien, bürgerliche Zeitungen und alternative (auch rechte) Blätter, über die „Wahrheit“ und die Deutungshoheit gesellschaftlicher Entwicklungen. Nachdenken über 50 Jahre Gegenöffentlichkeit: taz.gegen den stromDie Sonderausgabe taz.gegen den strom – jetzt im taz Shop und auf www.taz.de/gegenoeffentlichkeit

Ein anderes Flugblatt ruft: „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!“

Die Emanzipationsbestrebungen der Frauen wurden im Männerbündnis SDS kleingeredet. Christian Semler, später langjähriger Redakteur der taz, tat diese gar als „kleinbürgerlichen feministischen Aktionswahn“ ab und als „endlose Selbstbespiegelung von kleinbürgerlichen Frauen“. Für die Frauen ist kein Platz, also schaffen sie sich ihre eigenen Räume. Sie gründen Weiberräte, Frauenzentren und publizieren auch eigenständig. Die Frauen führen nun ihre eigene Bewegung an, setzen eigene Themen.

In den klassischen Medien galten den Männern als Frauenthemen vor allem Stricken, Kochen und Windelwechseln. Die politisierten Frauen von damals beschäftigten sich aber mit lesbischer Liebe, sexualisierter Gewalt oder Schwangerschaftsabbrüchen. 1971 wiederholte Alice Schwarzer die Aktion „Wir haben abgetrieben!“ aus Frankreich in Deutschland und schuf so mit dem Stern-­Cover die erste große mediale Aufmerksamkeit für dieses Thema. Die Regel war das nicht. Wo also über diese Themen schreiben?

Neue Blätter, neue Maßstäbe

In den Siebzigern beginnt die neuere Geschichte feministischer Medien. 1971 mit zwei US-amerikanischen Zines (It ain’t me babe und Off our backs), 1972 dann mit der Schweizer Hexenpresse, der ersten feministischen Publikation im deutschsprachigen Raum, und schließlich mit der Gründung des Ms. Magazine in den USA. Gloria Steinem setzte mit der Gründung des Blattes neue Maßstäbe: Auflage und Anspruch waren hoch und alles lag in den Händen von Frauen.

Ms. Magazine wurde zum Referenzpunkt der feministischen Bewegung in den USA – und Vorbild für deutschsprachige feministische Zeitschriften wie Courage (1976) und EMMA (1977). Bis heute orientieren sich auch jüngere Publikationen wie das Missy Magazine an Ms. Magazine.

Noch immer werden Medien in Deutschland in der Mehrheit von Männern gemacht, tauchen Frauen seltener in der Berichterstattung auf als Männer

Und auch heute werden immer noch feministische Zeitschriften gegründet. Die steigenden Abozahlen etwa des Missy Magazine sprechen auch dafür, dass es diese Form von Gegenöffentlichkeit noch immer braucht. Bestimmte Themen finden noch immer selten Eingang in die klassischen Medien.

Noch immer werden Medien in Deutschland in der Mehrheit von Männern gemacht, tauchen Frauen seltener in der Berichterstattung auf als Männer – auch in der taz, und wird Alltagsseximus erst dann zum Thema, wenn hunderte Frauen ihre Erlebnisse im Netz aufschreiben und ihre Stimmen nicht mehr ignoriert werden können.

Frauenfrage als Nebenwiderspruch

Mit der Abspaltung von der Studentenbewegung haben sich die Frauen ihre eigene, sehr erfolgreiche, Nische geschaffen – mit eigenen Sitzkreisen, Frauenzentren, eigenen Medien. Es ist aber noch immer eine Nische.

Von dieser aus haben sie die Gesellschaft verändert. Feministische Gruppen und Medien sorgen für ein Grundbrummen, das immer häufiger auch im großen Schallraum der klassischen Medien gehört wird.

Aber könnten wir nicht schon weiter sein, wäre die Frauenfrage 1968 nicht sofort als Nebenwiderspruch abgetan worden? Und klingen die Worte der SDS-Delegierten von damals in Bezug auf die Frauen nicht sehr ähnlich zu denen, mit denen heute queerfeministische Anliegen oder Forderungen von Personen of Colour abgetan werden? Heute lachen wir über die zukunftsblinden Macho-Sprüche von damals. Morgen lachen andere.

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