TV-Zeitungen im digitalen Zeitalter: Das Internet zum Ausdrucken

In Deutschland ist der Markt trotz des Überangebots für Verleger noch immer sehr lukrativ. Funktioniert das auch noch in Zeiten von „Netflix ’n’ Chill“?

Eine alte Hörzu-Doppelseite in schwarz-weiß aus den 60ern

Eine „Hörzu“ aus den 60ern. Die Programmzeitschrift feierte 2016 ihr 70. Jubiläum Foto: imago/Waldmüller

Es läuft gut für das deutsche Fernsehen. Die durchschnittliche Sehdauer der Zuschauer, die jährlich von der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) ermittelt wird, bleibt seit Jahren konstant hoch. Im Vergleich zu 1997 starrten die Menschen 2016 täglich 40 Minuten länger auf den Bildschirm, nämlich 223 Minuten. Auf eine Krise des Mediums scheint also nichts hinzudeuten. Folgerichtig, dass auch das Angebot von Fernsehzeitungen für die Verlage weiterhin ein enorm wirtschaftliches ist. Trotz des schrumpfenden Printmarkts wird hier nämlich noch richtig gut verkauft. So kommen alle vier Millionenseller des deutschen Zeitschriften- und Magazinangebotes aus dieser Sparte.

Der Markt bleibt für Printverlage lukrativ, obwohl über dreißig verschiedene Titel in den Zeitschriftenregalen um die Aufmerksamkeit der Käufer buhlen und sich mit Niedrigpreisen gegenseitig unterbieten. „Es ist ein Low-Interest-Produkt wie Zahnpasta. Man kauft es wöchentlich, denkt aber nicht viel darüber nach. Das ist mit ein Grund für die Stabilität von Programmzeitschriften“, so Jochen Beckmann, Verlagsgeschäftsführer Zeitschriften bei Funke-Medien.

Er ist auch für die Traditionsmarke schlechthin im Verlagsangebot zuständig – die Hörzu feierte im vergangenen Dezember als „Deutschlands erstes TV-Magazin“ ihr 70-jähriges Jubiläum – und steht mit knapp einer Million verkaufter Hefte im Ranking auf Platz vier.

Schaut man sich die Aufschlüsselung der Fernsehstatistiken jedoch genauer an, wird deutlich, dass es vor allem der gestiegene Konsum der über-50-Jährigen ist, der die Zahl hochhält. Bei den jüngeren Zuschauern, besonders bei der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen, ist durchaus ein Rückgang festzustellen, der auf Konkurrenzangebote wie YouTube oder Strea­mingportale wie Netflix oder Amazon Prime Video zurückgeführt werden kann. Bei den TV-Magazinen am Kiosk wird diese Entwicklung kaum berücksichtigt, Streaming-Angebote spielen – wenn überhaupt – nur eine marginale Rolle.

Jochen Beckmann, Funke-Medien

TV-Magazine sind Low-Interest-Produkte wie Zahnpasta. Man kauft es zwar wöchentlich, denkt aber nicht wirklich darüber nach.

Für die Hörzu, mit einem Leserstamm jenseits der 50, sei das sowieso so gut wie kein Thema, meint Beckmann, ist sich aber sicher: „Das ist der Markt der Zukunft, und der wird sich in den nächsten Jahren massiv verändern. Dem Rechnung zu tragen können die klassischen Programmzeitschriften nicht leisten, weil es an der bestehenden Leserschaft zu sehr vorbeigeht. Das wird irgendwann die Aufgabe einer neuen Programmzeitschrift sein müssen.“

Ankündiger von gestern

Mit einer 14-tägigen Erscheinungsweise, einem Schwerpunkt auf großen Spielfilmproduktionen und der jüngeren Ansprache ihrer eher männlichen Zielgruppe hat die seit 2005 bei Burda erscheinende TV Spielfilm in den 90er Jahren den Markt der Fernsehzeitschriften revolutioniert, auf dem Höhepunkt betrug die Auflage 2,6 Millionen Exemplare. „TV Spielfilm war mit der Etablierung des Privatfernsehens und der deutlich zunehmenden fiktionalen Inhalte das Produkt eines sich dramatisch verändernden TV-Marktes in Deutschland“, bestätigt An­dreas Mauch, Managing Director Screens BurdaNews.

Diese Zeiten sind vorbei, die Konkurrenz hat sich längst angepasst, und statt Spielfilme sind Serien das fiktionale Format der Stunde. Mit rund 800.000 Heften ist man aktuell nicht in den Top 5 der Printmagazine vertreten, dafür will man online mit der App TV Spielfilm Live das Programm direkt zu den Usern bringen, die damit die Möglichkeit haben, das laufende TV-Angebot überall zu streamen. Mauch: „Von Anfang an haben wir TV Spielfilm konsequent weiterentwickelt. Dabei standen unsere Konsumenten im Mittelpunkt aller Maßnahmen. Sie sind es mittlerweile gewohnt, Inhalte jederzeit und überall abrufen zu können. Ihrem Nutzungsverhalten folgen wir mit unserem Streaming-Dienst.“

Wer jedoch wissen will, welches Programm im schnell wachsenden Markt der populären Video-on-Demand- und Streaming-Portale im Netz angeboten wird, sucht zum Beispiel bei werstreamt.es, einer Suchmaschine für Filme und Serien im Netz, die Gründer Johannes Hammersen seit 2013 bereitstellt. „Wir sehen uns als eine Art Fernsehzeitung fürs Internet. Für die, die wie wir kein lineares TV mehr sehen, sind wir der Ersatz“, so Hammersen. Mehr als eine halbe Million Nutzer verwenden, seinen Angaben zufolge, jeden Monat die Website und App, um das legale Web-Angebot nach Filmen und Serien zu durchforsten.

Doch auch Hammersen sieht Entwicklungsbedarf: „Was im Streaming fehlt, sind die Entscheidungshilfe und die Orientierung. Der User hat Zugriff auf Tausende Filme und Serien, aber keine Ahnung, was er sich anschauen soll. Da können wir von den klassischen Zeitschriften noch lernen, wie man den Nutzern bei der Entscheidung hilft.“

Service von morgen

Genau diese Lücke soll nun geschlossen werden. Seit einer guten Woche testet der Spiegel-Verlag in Hessen ein neues Print-Projekt namens Spiegel Fernsehen. Warum man sich in Hamburg diesem, so überfüllten Marktsegment annehmen will, erklärt Spiegel-Redakteur Markus Brauck, der zusammen mit dem Spiegel-Online-Kollegen Christian Buß die TV-Zeitschrift konzipiert hat: „Noch vor ein paar Jahren war das Fernsehen das ‚Nebenbei-Medium‘ und fiel hauptsächlich durch Trashformate auf. Durch das Streaming und andere neue Angebote der Sender hat sich das gewandelt. Es ist zum neuen Leitmedium geworden, über das man redet und mit dem man seine Abende gerne verbringen will. Es ist als Kunstform anerkannt. Das gilt für Fernseh- und Streamingserien mittlerweile stärker als für das Kino.“

Das Konzept von Spiegel Fernsehen ist den neuen Sehgewohnheiten angepasst. Im 80-seitigen Mantelteil werden die Produktionen der Streaming-Dienst-Anbieter gleichberechtigt neben denen der klassischen Fernsehsender vorgestellt. Als weiterer Service bietet man Informationen über die Verfügbarkeit in den Online-Mediatheken.

Mit einem Preis von 2,60 Euro ist das zweiwöchentlich erscheinende Heft allerdings teurer als die Konkurrenz. „Qualität ist unsere einzige Chance“, so Brauck. „In den Markt zu gehen und zu sagen, wir machen es noch einmal billiger, wäre Quatsch. Wir sehen eine Lücke, weil da journalistisch noch Luft nach oben ist. Da wollen wir rein.“

Doch interessiert sich die Web- und Streaming-affine Zielgruppe überhaupt noch für ein traditionelles Printmedium? Nach vielen Gesprächen mit der Klientel gibt sich Brauck zuversichtlich, Print werde auch dort als adäquates Medium angesehen, gebe Überblick und schaffe Ruhe als Gegenpol zum ständigen Blick aufs Smartphone.

Skepsis scheint trotzdem angebracht. Es ist die gleiche Klientel, die als ultimative Ächtung eines Anachronismus mit dem Spruch urteilt, jemand wolle das Internet ausdrucken.

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