Hass im Internet: Wir müssen Liebe organisieren

Der Hass im Netz hat System, meint unsere Autorin. Deshalb müsse auch Liebe im Internet organisiert werden. Eine Gemeinschaftsaufgabe.

Eine junge Frau mit Sonnenbrille hält ein Stück Stoff mit einem darauf gemalten Herz neben ihr Gesicht

Ein Plädoyer für mehr Liebe Foto: dpa

Das letzte Jahr war ein merkwürdiges Jahr. Ein Jahr, in dem viele meiner Generation zum ersten Mal etwas fühlten, was wir schon immer wussten: dass wir in einer historischen Ausnahmesituation leben. Noch nie gab es so lange relativen Frieden in Westeuropa. Und nichts ga­rantiert, dass die Zukunft besser wird als die Vergangenheit. Dies zu fühlen ist etwas fundamental anderes, als dies zu wissen.

Nächste Woche treffen sich Tausende Menschen auf der re:publica, Europas größter Netzkonferenz. Menschen, die sich um die Zukunft sorgen und an Lösungen arbeiten wollen. Ihr Motto ist in diesem Jahr „Love Out Loud.“ Ein Aufruf für mehr Liebe, der im Jahr davor auf der re:publica seinen Anfang nahm. Damals stand ich dort auf der Bühne und sprach darüber, dass der Hass im Netz organisiert ist. Wenn wir uns nicht organisieren, verlieren wir. Angesichts des Hasses ist Schweigen Zustimmung. „Organisierte Liebe“ nannte ich den Vortrag.

Nicht weil ich mir eine rosarote Welt wünsche, sondern weil ich hoffe, dass wir genauso angetrieben werden von Zustimmung wie durch Kritik. Dass wir konstruktive Diskussionen führen können – ja, streiten, einander kritisieren, aber nicht mit der Absicht, zu zerstören, sondern aufzubauen.

Im Mai letzten Jahres waren Trump, Brexit, der Putschversuch in der Türkei und die darauf folgende massenhafte Inhaftierung von Journalist_innen und Beamt_innen noch nicht geschehen. Noch war es für viele einfach, Hasstiraden im Internet, das Aufstreben von rechtspopulistischen Gruppen zu ignorieren – weil sie nicht betroffen waren. Weil sie nicht zu einer marginalisierten Gruppe gehörten; weil sie den Luxus hatten, dass ihre Existenz nicht infrage gestellt wurde. Muslim_innen, Schwarze, sexuelle und ethnische Minderheiten hatten diesen Luxus nicht. In mir brodelte Frust über die Ignoranz derer, die sich Ignoranz leisten konnten.

Viele der betroffenen Menschen resignierten. Sie fragten sich, was ihr Platz in einer Gesellschaft ist, in der eine aufstrebende Partei ihr gesamtes Programm auf die Diskriminierung einer religiösen Minderheit aufbaut. Andere Betroffene machten tapfer weiter, versuchten, Besonnenheit einzubringen, griffen nach Zahlen, Statistiken, erklärten und erklärten. Doch dabei legitimierten sie, legitimierten wir, die Betroffenen, durch unser Engagement ebendiese Diskussionen. Wir haben mitgeholfen, die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, zu einer legitimen Frage zu machen, wohl wissend, dass die Antwort auch irgendwann lauten kann: Nein, der Islam gehört nicht zu Deutschland. Zu Muslimen, die nicht zu Deutschland gehören, ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.

Auf der Bühne Rotz und Wasser geheult

Wir antworten auf die absurdesten Fragen, die schlimmsten Unterstellungen. „Nimm das nicht persönlich.“ – „Seid nicht so emotional“, sagte man zu uns. So schalteten wir unsere Emotionen aus. So schaltete ich meine Emotionen aus.

Ich hatte genug davon, so zu tun, als könne ich mich mit Leichtigkeit an Diskussionen beteiligen, in denen die Grundlagen der eigenen Existenz infrage gestellt werden. So zu tun, als hätte ich kein Problem damit, mit Rassisten auf einer Bühne zu debattieren, ob Muslime genetisch dümmer seien als andere. Ich hatte es satt.

Statt der Gesellschaft wie eine intellektuelle Putzfrau hinterherzuräumen, Dinge geradezurücken, Schadensbegrenzung zu betreiben und immer auf Abruf bereit zu sein für den nächsten Hirnriss, den man uns als intellektuelle Debatte oder „legitime Islamkritik“ verkauft.

Am Morgen meines Vortrags schrieb ich mein ganzes Manuskript im Hotelzimmer um. Ich las ihn mir immer wieder vor in der Hoffnung, die Wahrheit zu sprechen würde weniger wehtun und ich könnte auf der Bühne stehen, ohne Emotionen zu zeigen. Sachlich bleiben. Neutral.

Und so stand ich auf der Bühne und heulte Rotz und Wasser.

Man hat mich seitdem oft gefragt, wie Liebe zu organisieren sei. Ich möchte diese Frage nicht allein beantworten. Sondern aufwecken, Menschen dazu anzuregen, Verantwortung zu übernehmen. Im letzten Jahr fürchtete ich, man würde den Ruf nach mehr Liebe pathetisch, naiv finden. Ich bin dankbar, das dem nicht so ist. Und ich bin hoffnungsvoll, dass wir neue Lösungen, neue Antworten finden werden. Gemeinsam.

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