Repressionen in Russland: Keine Zeugen mehr

Russland hat die Zeugen Jehovas als „extremistische Organisation“ eingestuft. Absurd, denn die Sekte lehnt den Wehrdienst konsequent ab.

Eine Bombe auf Rädern vor dem Kreml

Russland rüstet gerade massiv auf – hält aber die pazifistischen Zeugen Jehovas für eine exremistische Organisation Foto: dpa

MOSKAU taz | Seit mehr als einem Jahrhundert wirbt die Sekte der Zeugen Jehovas in Russland um neue Glaubensbrüder. Russland war schon immer ein besonders fruchtbares Feld für Sekten und Häretiker. Selbst der verordnete Atheismus des kommunistischen Sowjetreiches konnte dies nicht gänzlich unterbinden. So tauchten auch die Zeugen Jehovas während der Sowjetunion in den Untergrund ab. Nach dem Ende des Kommunismus wurde die Glaubensgemeinschaft Anfang der 1990er Jahre rehabilitiert. Wie andere Gruppen und Ethnien auch, die Opfer stalinistischer Repression geworden waren.

Ein Vierteljahrhundert ist seither vergangen, nun drohen der Sekte erneut Diskriminierung und Kriminalisierung. Russlands Oberstes Gericht stufte die Religionsgemeinschaft am Donnerstag als „extremistische Organisation“ ein.

Die 395 Religionsverbände landesweit müssen aufgelöst werden, während das gesamte Eigentum der Gemeinschaft an den russischen Staat fällt. Sollte die Entscheidung in Kraft treten, müssten aktive Anhänger der Sekte mit Strafverfolgung und Haftstrafen rechnen. Noch hofft die Organisation, vor dem Europäischen Gerichtshof ein anderes Urteil erwirken zu können.

175 000 Mitglieder gehören der Sekte nach eigenen Angaben in Russland an. Den Verbotsantrag hatte das russische Justizministerium gestellt, das seit längerer Zeit versucht, die missionarische Tätigkeit der Sekte zu unterbinden. Die Zeugen vermuten dahinter „politische Repressionen“ und reichten eine Gegenklage ein, die vom Richter jedoch zurückgewiesen wurde. „Das wahre Ziel sind politische Repressionen gegenüber religiösen Organisationen“, sagte ein Anwalt der Glaubensgemeinschaft.

Herausforderung für das Putinsche Herrschaftsmodell

Das Justizministerium hält die Zeugen für extremistisch, da sie für „Ordnung“ und „öffentliche Sicherheit“ sowie „Rechte der Bürger eine Gefahr“ darstellten, hieß es in einer Stellungnahme des Ministeriums. Auch dass die Sekte Bluttransfusionen ablehnt, wertete die Behörde als einen Verstoß gegen Menschenrechte. Ebenfalls gefährlich sei die Zeitschrift der „Wachturm“, die trotz Verbots weiter verteilt werde. Unter extremistische Literatur fiel auch die Broschüre „Wir lernen in der Schule des theokratischen Dienens“. Offensichtlich gewahrte das Ministerium darin eine Herausforderung für das Putinsche Herrschaftsmodell, das neben dem Präsidenten niemanden duldet.

In der patriotischen Hypnose dürfte auch die konsequente Ablehnung des Wehrdienstes durch die Sekte unangenehm aufgefallen sein. Denn der Staat treibt mit allen Mitteln die Militarisierung Russlands voran. Friedfertigkeit im Namen des Glaubens haftet demnach etwas Verstörendes an.

Der Orthodoxen Kirche geht es weniger um Extremismus und Wahrung der Menschenrechte, sondern um die Absicherung des konfessionellen Monopols und den Schulterschluss mit dem Kreml. Die Zeugen hatten unterdessen beklagt, dass ihnen „extremistische“ Literatur untergeschoben worden sei, die überdies noch Vermerke des ursprünglichen Besitzers enthielt – der Russisch Orthodoxen Kirche.

„Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass im modernen Russland, das die freie Religionsausübung garantiert, dergleichen noch möglich ist“, sagte ein Vertreter der Zeugen nach dem Urteil.

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