Medikamentenvergabe im Pflegeheim: Sediert und ruhiggestellt

Ein Drittel der HeimbewohnerInnen erhält dauerhaft Antidepressiva. Das verstößt laut der AOK gegen medizinische Leitlinien.

Demenzkranke Frau im Pflegeheim vor ihr steht ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee

Lieber ein Stück Kuchen statt immer nur Beruhigungsmittel Foto: Ann-Christine Jansson

BERLIN taz | Viele PflegeheimbewohnerInnen in Deutschland erhalten zu viele Psychopharmaka. „Besonders betroffen sind Demenzkranke“, teilte die klinische Pharmakologin Petra Thürmann von der Universität Witten-Herdecke am Mittwoch mit. Gemeinsam mit der AOK stellte sie den staatlich geförderten Pflege-Report 2017 vor.

Das Ergebnis: Ein Drittel der 800.000 HeimbewohnerInnen erhält dauerhaft Antidepressiva. Von den Demenzkranken bekommen 43 Prozent dauerhaft Beruhigungsmittel, Neuroleptika genannt.

„Der breite und dauerhafte Einsatz verstößt gegen medizinische Leitlinien“, sagt Thürmann. In Deutschland gebe es nur zwei Neuroleptika, die für Demenzkranke zugelassen seien, und das auch nur für eine kurze Therapiedauer von sechs Wochen.

Vergleicht man die Zahlen in Europa, fällt auf: Außer in Spanien und Estland werden Neuroleptika bei Demenzkranken in anderen Ländern viel seltener eingesetzt. „Der Nutzen ist gering und wir kaufen viele Risiken ein“, resümiert Thürmann.

Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender der AOK, sieht die Verantwortung bei den Ärzten. „Es liegt bei ihnen, sich abzusprechen“, sagt er. Unnötige Medikation entstehe, wenn viele Ärzte einen Patienten behandeln, den sie selten sehen. „60 Prozent der Pflegebedürftigen erhalten mindestens fünf Medikamente gleichzeitig. Das wird natürlich unübersichtlich.“

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