Ärztliche Versorgung in Niedersachsen: 100 Kilometer für eine Abtreibung

Laut Gesundheitsministerium wollen in Niedersachsen nur drei Kliniken keine Abtreibungen durchführen. Das stimmt nicht.

Wirft seine Schatten auf Niedersachsens Kliniken: der Vatikan Foto: Pacific Press/dpa

BREMEN taz | Niedersachsens Gesundheitsministerium weiß nach eigenen Angaben nur von einer Klinik, in der im Bundesland nicht abgetrieben werden kann. Das geht aus einer Antwort von Gesundheitsministerin Cornelia Rundt (SPD) auf eine Anfrage der FDP im Landtag hervor.

Der Anlass: In Niedersachsen hatten kurz hintereinander zwei Kliniken – in Dannenberg und im Landkreis Schaumburg – für Schlagzeilen in überregionalen Medien gesorgt, weil sie Frauen Abtreibungen verweigerten. In beiden Fällen wurde diese Entscheidung rückgängig gemacht. Aber wie sieht es sonst in Niedersachsen aus? Das wollte die FDP von der Gesundheitsministerin wissen. Deren Antwort: Bekannt sei ihr nur noch eine Klinik, die keine Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Die in Rotenburg an der Wümme, die ebenfalls vom evangelikalen Agaplesion-Konzern betrieben wird.

Diese Aussage verblüfft, weil allgemein bekannt sein sollte, dass Kliniken in katholischer Trägerschaft generell keine Abbrüche nach der Beratungsregelung bis zwölf Wochen nach der Empfängnis an. Nach der katholischen Lehre gelten Schwangerschaftsabbrüche als „schwere Sünde“.

22 katholische Kliniken mit Gynäkologie-Abteilungen gibt es in Niedersachsen nach Auskunft des katholischen Krankenhausverbands Deutschlands. Noch mehr hat nur Nordrhein-Westfalen. Deshalb können Frauen in Niedersachsen gleich in mehreren Landkreisen nicht in die Klinik zum Schwangerschaftsabbruch.

In Paragraf 218 StGB heißt es: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Bis heute ist eine Abtreibung daher in Deutschland eine Straftat, falls keine der in Paragraf 218a festgeschriebenen Ausnahmen greift.

Nicht rechtswidrig ist ein Schwangerschaftsabbruch unter anderem dann, wenn Frauen innerhalb von zwölf Wochen abtreiben, aber nur, wenn sie sich mindestens drei Tage zuvor haben beraten lassen.

Der umstrittene Kompromiss wurde 1995 verabschiedet.

Zwar finden, wie die Gesundheitsministerin in ihrer Antwort auf die FDP schreibt, die meisten dieser Eingriffe bei niedergelassenen GynäkologInnen und in Tageskliniken statt. Im Jahr 2016 ist der Anteil von ambulanten Abbrüchen in Kliniken sogar noch einmal gesunken, auf 28,2 Prozent.

Doch es gibt nach Recherchen der taz in Niedersachsen fünf Landkreise, in denen auch niedergelassene FrauenärztInnen Abtreibungen entweder gar nicht oder nur in Ausnahmefällen und nur für eigene Patientinnen anbieten. Dies sind das Emsland, die Grafschaft Bentheim sowie die Landkreise Cloppenburg, Vechta und Diepholz.

Ungewollt Schwangere, die in diesen Regionen wohnen, müssen zum Teil über 100 Kilometer fahren, um die Schwangerschaft abbrechen zu können.

Für viele Frauen, die in Niedersachsen weite Strecken für einen Schwangerschaftsabbruch fahren müssen, stellt das ein finanzielles Problem dar: Frauen mit geringem Einkommen werden nur die Kosten für den Abbruch erstattet, nicht aber die für Hin- und Rückreise. Zudem verlangen Kliniken und ÄrztInnen, dass die Patientinnen wie nach jeder ambulanten Operation in Vollnarkose in Begleitung nach Hause fahren.

Das bedeutet, dass die Frauen den Eingriff nicht heimlich vornehmen lassen können, sondern sich jemand anvertrauen müssen, der oder die sie begleitet. „Viele sind verzweifelt, wenn ihnen das klar wird“, sagt Anne Coßmann-Wübbel, eine Sozial­arbeiterin, die im emsländischen Lingen Frauen die für einen Abbruch benötigte Beratungsbescheinigung ausstellt.

Die Alternative wäre ein Abbruch mit örtlicher Betäubung oder ein medikamentöser – aber beides wird in Niedersachsen in vielen Regionen nicht angeboten. Frauen aus dem Nordwesten müssen nach Bremen fahren, in die Tagesklinik von Pro Familia. Die Hälfte der Frauen, die dort eine Schwangerschaft abbrechen, kommen aus Niedersachsen.

Für Niedersachsens Gesundheitsministerin Cornelia Rundt gibt es dennoch keine erkennbaren Versorgungslücken, wie sie in der Antwort auf die FDP-Anfrage schreibt. Das hatte sie zuvor auch der taz gesagt. „Bisher hatte und hat auch weiterhin jede Frau in Niedersachsen die Möglichkeit, ‚wohnortnah‘ eine Klinik oder Praxis für einen Abbruch zu erreichen“, teilte ihre Sprecherin in einer Mail mit.

Die Frage, wie weit die Wege maximal sein sollten, beantwortete sie mit dem Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993. Darin steht, es könne „der Schwangeren eine Hilfe in der Not sein, wenn sie für einen ersten Arztbesuch die An- und Rückreise – auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln – an einem Tag bewältigen kann“. Verpflichtet sind die Länder zu nichts. Im Schwangerschaftskonfliktgesetz heißt es lediglich: „Die Länder stellen ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicher.“

Immerhin will sich Rundt laut ihrer Sprecherin dafür einsetzen, dass die bestehenden Angebote erhalten bleiben, vor allem dann, wenn kommunale Kliniken an konfessionelle Träger verkauft oder mit ihnen fusioniert werden wie im Landkreis Schaumburg. Sie werde „darauf hinwirken, dass der Verantwortung zur Vorhaltung eines entsprechenden Angebotes in diesem Bereich weiterhin Sorge getragen wird“. Sie hat allerdings nur die Möglichkeit, damit zu drohen, Investitionszuschüsse nicht zu gewähren.

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