Live-Dolmetscher bei „Anne Will“: Herzrasen, Körperhaar, Syntax!

Den türkischen Sportminister übersetzen und zugleich das Vertrauen des Publikums gewinnen? Gedanken aus der Dolmetscherkabine.

Szene aus der Talkshow "Anne Will": Peter Altmaier, Anne Will und Akif Kılıç sitzen in der Sesselrunde

Kein beneidenswerter Job: Live-Dolmetscher zum Thema deutsch-türkische Beziehungen Foto: dpa

BERLIN taz | Eigentlich war es nicht mein erstes Mal. Einmal im Berliner Abgeordnetenhaus gab es jemanden, der mir bei der Verdolmetschung eines türkischen Gastes regelmäßig Synonyme zurief, die er an meiner statt benutzt hätte.

Der Auftritt des Sportministers Akif Kılıç bei Anne Will war insofern für mich nur eine weitere Krise, die sich gut in dem CV macht. 24 Stunden Herzrasen, blisterweise B 12 und die halbe Stunde Ruhe vor der Sendung, über die es hieß, der Minister wünsche zwar keine Verdolmetschung ins Türkische, da er selbst als Dolmetscher Erdoğans tätig sei, werde aber im Programm aus protokollarischen Gründen Türkisch sprechen. Der Inhalt der Sendung wurde weidlich besprochen. Anne Will stellt ihren türkischen Gast vor.

Und es muss vorab gesagt werden, dass sie während der Probe den herausfordernden Namen makellos ausgesprochen hat. Später in der Sendung werden wir hören, wie sie den Versuchen Altmaiers, einen Herrn Giusélle oder Jützel ins Gespräch zu bringen, ihr felsenfestes Yücel entgegenhält. Bei der Vorstellung des türkischen Gastes aber muss sie kurz kämpfen, und so vorbildlich der Murmelvokal gelingt, es wird ein Herr Kıl daraus.

Kılıç heißt Schwert. Kıl heißt eher so Körperhaar. Und kıl adam ist ein unangenehmer Typ. Ich wünsche mir eine Talkshow, in der Derrida und Spivak über die Bedeutung dieser hintüber gefallenen Silbe diskutieren. Ich würde sie sogar verdolmetschen. Jetzt aber bin ich live, der rote Knopf leuchtet.

Kontrolle ist gut. Besser: atmen

Floskeln. Man beginnt mit Selbstverständlichkeiten. Schafft Common Ground. Deutsch-türkische Beziehungen. Eine versöhnliche, sanfte Stimme? Zu nah am Mikro. Mindestens mein erster Halbsatz klingt arg nach Schlafzimmer. Etwas weiter weg? Die Tonregie dreht auf, da hört man auch die Pressatmung. Das Fernsehpublikum hat Anspruch auf eine Stimme, die ihr Vertrauen erweckt in diesen Zeiten. Vertrauen ist gut. Besser: Kontrolle.

Minister Kılıç denkt ebenso. Nach jedem Satzbaustein macht er eine Kunstpause und horcht dem Verdolmetschten nach. Nickt sanft ab, was ich gesagt habe, damit alle, die im Regierungsstab und an den Fernsehbildschirmen mithören, quasi simultan, gestisch, rückverdolmetscht bekommen, dass alles stimmt und die Öffentlich-Rechtlichen niemanden genommen haben, der das Gesagte verzerrt.

Einmal korrigiert er mich im laufenden Satz. Fügt ein Adjektiv ein. Kontrolle ist sehr gut. Besser: atmen.

„Er horcht dem Verdolmetschten nach und nickt ab, dass alles stimmt. Dass die Öffentlich-Rechtlichen niemanden genommen haben, der ihn verzerrt“

Wer zweisprachig ist, weiß, dass das so nicht funktionieren kann. Die (rechtsläufige) Syntax des Deutschen und die (linksläufige) Syntax des Türkischen sind so grundverschieden, dass Sie erstens für einen geraden deutschen Satz zu Beginn die Informationen brauchen, die Sie im Türkischen gegen Ende bekommen, und die ersten fünf bis zehn türkischen Satzbausteine im Kopf irgendwo ablegen müssen, um sie dann gegen Ende des deutschen Satzes geschickt irgendwo einzubauen.

Zweitens brauchen Sie einen ganzen Satz, um die einzelnen Morpheme überhaupt richtig deuten zu können. Ganz zu schweigen vom Kontext. Wenn jetzt aber Ihr Gast in einer Livesendung sagt: „Kontinuierlich. In Türkei. In Deutschland. Schauen Sie. Gerade gesagt. Mehr als 3 Millionen türkeistämmige Menschen. In Deutschland. Und in Deutschland. Gegen die Türkei. Kontinuierlich. Geschrieben. Kontinuierlich. Gelesen.“

Wenn das geschieht, und ich weiß, dass ich hier die Rhetorik einer Kafka-Erzählung bemühe, dann mag sich das für ein türkischsprachiges Publikum zu einem intelligiblen Aussagesatz zusammenfügen, sobald er vollendet ist. Je länger aber die Kunstpausen zwischen den Punkten werden, umso steter wächst die Gefahr, dass der Satz in der Verdolmetschung abstürzt wie ein Erasmusstudent nach drei Tagen Berghain.

„Wo aber Gefahr ist, wächst / das Rettende auch“, textete Hölderlin. Das stimmt vielleicht nicht fürs Berghain, aber in der Live-Situation wirken die ausgeschütteten Botenstoffe so knallig, dass die Zeit sich dehnt und die Syntax sich fügt.

Mit viel Verbiegen, was ja auch dem Thema sehr angemessen war.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.