Robert Habeck über die Grünen: „Nicht immer gegen was. Für!“

Umfragetief? Rechte Gegner? Seine Partei müsse sich wieder Idealismus trauen. Aber nicht abstrakt, sondern konkret, „so, dass man es versteht“.

Robert Habeck läuft durchs Wattenmeer und telefoniert

Im Wattenmeer ist man von stinkenden Schulklos weit entfernt Foto: dpa

taz: Herr Habeck, zurzeit ist viel von den Abgehängten die Rede. Das Etikett passt im Moment auch sehr gut zu den Grünen …

Robert Habeck: Politischen und sozialen Druck parallel zu setzen, finde ich nicht angemessen. Aber vom gerade frisch eingetretenen Basismitglied bis zur Katrin Göring-Eckhardt und Cem Özdemir würden alle sagen: Im Moment werden wir deutlich unter Wert gehandelt.

Nach dem Mauerfall haben die Grünen den historischen Umbruch falsch eingeschätzt und brachen ein. Meinen Sie, das passiert Ihnen gerade wieder?

Nein. Die Grünen haben den Augenblick sehr wohl erkannt. Jeder spürt ja bis in die Haarspitzen hinein, dass wir in wirklich existenziellen politischen Zeiten leben und wir um die liberale Demokratie kämpfen müssen. Und das tun wir ja auch.

Zuletzt hat die Partei sehr auf Schwarz-Grün geschielt, statt sich als stärkste Kraft gegen den Rechtspopulismus zu positionieren. Liegt da die Schwäche?

Ihre Frage suggeriert, dass Schwarz-Grün eine Tendenz zum Rechtspopulismus habe. Das ist ja Blödsinn. Wir sind das klare Gegengewicht zum Rechtspopulismus. Ich kenne niemanden, der daran zweifelt. Und die Rechtspopulisten haben uns als grün-versifftes Feindbild Nummer eins. Aber die wahre Herausforderung ist nicht das Dagegensein, sondern für unsere Werte – Freiheit, Solidarität, Europa, Rechtstaatlichkeit – Begeisterung auszulösen.

Schwarz-Grün hat sicher an­dere Schattenseiten als rechtspopulistisch abzubiegen. Keine Frage. Aber wie erklären Sie sich, warum die Grünen plötzlich in den Umfragen so abgesackt sind?

„Aus ein paar kleinen Dämlichkeiten ist der Eindruck entstanden, die Grünen redeten nur zu sich selbst“

Klar, wir haben Fehler gemacht, und das passiert. Aber wir sind von dem Phänomen eingeholt worden, dass kleine Fehler unter der neuen kommunikativen Gewalt riesengroß werden können. Aus vier, fünf kleinen Dämlichkeiten heraus ist so der Eindruck entstanden, die Grünen redeten nur zu sich selbst. Entsprechend ist es aber auch möglich, das zu drehen. Wir müssen Momente schaffen, um wieder eine mitreißende Partei zu werden. Und wir dürfen uns nicht aus Erschrecken vor dem Schulz-Effekt klein machen.

Welche Dämlichkeiten?

Ich habe keine Lust, die jetzt ausführlich zu wiederholen. Aber es ist der Eindruck entstanden, als kümmerten wir uns um lauter Nischenthemen, die zwar alle richtig sind, aber dann doch eben nicht über den gesellschaftlichen Zusammenhalt entscheiden. 


Gibt es zwischen den Rechtspopulisten und dem Linkspopulisten Martin Schulz überhaupt noch einen Platz für eine „mitreißende“ grüne Partei?

Martin Schulz ist kein Linkspopulist.

Bitte?

Er ist ein Politiker, der die Spielregeln, die ich versucht habe, mit dürren Worten zu beschreiben, exzellent beherrscht. Es hat doch keinen Sinn, kulturpessimistisch die digitale Welt zu beklagen. Die Zeit, in der die Leute ihre Handys abschaffen, wird zumindest absehbar nicht kommen. Wir müssen analysieren, warum Martin Schulz so erfolgreich ist.

48, grüner Minister für Energie, Landwirtschaft und Umwelt in Schleswig-Holstein, war früher Schriftsteller. Habeck verlor im Januar bei der grünen Urwahl der Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl äußerst knapp gegen Cem Özdemir.

Was bedeutet das für die Grünen?

Dass wir uns wieder Idealismus trauen. Jeder von uns ist tief in sich Idealist, hat ein Verlangen nach Beteiligung und Bürgersein. Aus diesem Antrieb sind viele bereit, Dinge zu tun, die über Bequemlichkeit und sogar eigene Interessen weit hinausgehen. Und dieser schlummernde Idealismus ist in dieser mäandernden Zeit der Merkel’schen Alternativlosigkeit lange nicht abgerufen worden. Aber irgendwo muss diese Energie hin. Dafür müssen wir ein Angebot machen – hier lohnt es sich, eure Kraft reinzustecken.

Sie bleiben sehr allgemein. Die Herausforderung ist doch die, dass sich immer mehr Menschen von der repräsentativen Demokratie abwenden. Denen kommen Sie nicht mit Bürgersinn. Wo wollen Sie ansetzen?

Ein Teil der Menschen ist in unserer Gesellschaft tatsächlich abgehängt, ein noch größerer Teil fühlt sich verunsichert und in dieser Verunsicherung nicht wahrgenommen. Viele Leute sehen, dass sie unverschuldet Opfer von etwas werden können, das wie eine anonyme Macht daherkommt. All die Bilder von Banken, die über Nacht gerettet wurden – mit Milliardenbeträgen, die später über Steuern und über Niedrigzinsen sozialisiert werden und die Renten vernichten. Aber das dämliche Schulklo ist seit zehn Jahren nicht renoviert und stinkt …

… und deshalb entfernen sich die Menschen vom demokratischen Grundkonsens?

Natürlich denkt keiner, wenn er den Ammoniakgeruch in der Dusche riecht, darüber nach und sagt: „Oh, das ist die ungerechte Globalisierung.“ Aber dass da irgendetwas nicht richtig ist, das ist ein Grund, warum die Gesellschaft so auseinandergeht. Wir brauchen eine andere Politik, damit die Leute, die das immer stärker fühlen, sich nicht von der Politik verabschieden.

Wo ist der grüne Impuls gegen die alternativlose Bankenrettung?

Wir müssen zurück zu einer sozialen Marktwirtschaft statt asozialer Machtwirtschaft. Wir müssen mehr investieren, Banken regulieren, die Teilhabe an öffentlichen Institutionen sichern. Und ins Konkrete, Greifbare übersetzt heißt das: In Schleswig-Holstein hat Monika Heinold, unsere Spitzenkandidatin und Finanzministerin, gerade ein Programm vorgestellt, um die Schulklos zu sanieren. In den nächsten vier Jahren soll es keine stinkenden Schulklos mehr in Schleswig-Holstein geben. Da geht es um Lebenswirklichkeit. Und deswegen hat auch der Vorschlag von Martin Schulz funktioniert, die Menschen nicht so einfach in Hartz IV stürzen zu lassen. Obwohl man gerade einen Job hat, kann es morgen ganz anders kommen. Firmen werden von Hedgefonds aufgekauft, Roboter machen die Arbeit, der Weg in die unverschuldete Arbeitslosigkeit ist kurz. Da anzusetzen, ist richtig.

Wie kommt man von Schultoi­letten und ALG 1 zum neuen Modell der gerechteren Verteilung des Wohlstands?

Dass die Diskussion über das Arbeitslosengeld, die Sozialdiskussion eine viel kompliziertere ist, dass man eigentlich den alleinerziehenden Müttern, den Jugendlichen, die keine Ausbildungsperspektive haben, den Migranten helfen muss, dass man eigentlich eine viel gerechtere Vermögensverteilung braucht; alles richtig. Aber das allein reicht nicht, um die Menschen wieder in die Gesellschaft einzubeziehen. Wir müssen eine Sprache finden, die Nähe und Zugehörigkeit erlaubt: Nicht zu verkopft, keine abstrakten Rechenmodelle, Millionen und Milliarden sind so weit weg vom Alltag. Nicht: „Die Energiewende muss in die ökologische Transformation überführt werden.“ Ja, das muss sie. Aber das ist so abstrakt, dass die Leute sagen: „Viel Spaß, macht das mal.“

Welche konkreten politischen Vorschläge machen Sie?

Ich kann das an unserem Wahlkampf in Schleswig-Holstein festmachen: Wir schieben deinen Nachbarn nicht in den Krieg nach Afghanistan ab. Deine Kinder können früher und länger in der Kita bleiben, haben es dort gut, und das macht dich nicht arm. Wir erlauben keine neue Ölbohrungen im Wattenmeer. Du kannst mit einem Jahres-Ticket in ganz Schleswig-Holstein günstig Bus und Bahn benutzen. Der Maisanbau wird weniger, mehr Kühe gehen wieder auf die Weide …

Dem linksliberalen Milieu – die taz zählt auch dazu – wird derzeit oft Schuld an der sozialen Verschiebung und damit der Demokratiemüdigkeit zugeschrieben. Welche Verantwortung tragen die Grünen?

Die Grünen sind aus einem zutiefst demokratischen Antrieb gegründet worden – das Land besser zu machen. Wir haben die demokratische Kultur in Deutschland bereichert. Die Menschen haben durch uns Alternativen bekommen, durch uns werden sie stärker einbezogen. Was ich sehe, ist, dass Positionen des linksliberalen Spek­trums manchmal abgehoben ankommen. Hier müssen wir ran. Wenn wir für eine Einwanderungsgesellschaft werben, müssen wir das bei den Menschen tun, die dies erst mal prinzipiell nicht richtig finden. Und zwar so, dass man es versteht.

Setzen Sie das selbst um?

Das ist der Kern unserer Politik in Schleswig-Holstein. Von Fischern will ich, dass sie weniger fangen, was kurzfristig ihr Einkommen beschneidet, von Bauern, dass sie weniger Tiere und dafür besser halten, was ein intensives Wirtschaften verhindert. Den Jägern nehme ich die bleihaltige Munition weg, und andere bekommen Windräder und Stromleitungen vor die Tür. Da kann ich mit denen Küstennebel trinken, wie ich will, erst mal bin ich der Typ, der eben mal ihr Leben verändern will. Aber die Art, wie wir miteinander ringen und argumentieren, schafft gesellschaftlich akzeptierte Lösungen.

Ist das Ihre Strategie gegen den Rechtspopulismus?

Vielleicht mal weg von diesem immer „gegen was“. Es geht um das Für. Für eine faire und freie Gesellschaft. Dafür müssen wir die Menschen gewinnen. Und da brauchen wir etwas Grundlegendes: Respekt. Respekt vor dem, was die Menschen umtreibt. Die Suche nach Sicherheit und Halt, die müssen wir ernst nehmen. Das heißt nicht, sich den Ängsten zu beugen und sie zu verstärken, sondern im Gegenteil: Es heißt Antworten zu finden, die helfen. Dafür müssen wir auf grünen Versammlungen nicht über uns nachdenken und debattieren, sondern über alle Menschen außerhalb von Parteitagshallen.

Ist dieses Politikverständnis bei den Grünen mehrheitsfähig?

Ich kann so etwas jetzt natürlich leicht sagen, ich bin auf keiner Kandidatenliste, weder im Bund noch im Land. In Schleswig-Holstein auf jeden Fall ist das mehrheitsfähig und bereits unsere Politik. Und während der Urwahlphase in der Bundespartei habe ich genau mit dieser Ansage auch in den Kreisverbänden überall viel Zustimmung erhalten. Auf Parteitagen – grünen und anderen – ist es viel schwieriger. In der Regel sucht man sich die Mehrheiten mit dem, was die Mehrheit erwartbar richtig findet. Differenzierter zu argumentieren ist immer Arbeit gegen die politische Erwartung. Aber es ist möglicherweise erfolgreich. Es gibt an der Basis genauso so einen Geist, so ein Brennen, das uns nach vorne trägt und nach vorne tragen muss. Wenn wir nicht bei sieben Prozent verrecken wollen, dann liegt genau da eine Chance, solche Momente zu schaffen, wie wir sie beredet haben, als wir über Martin Schulz gesprochen haben.

Das Schulz-Momentum hat das politische Klima in Deutschland positiv verändert. In Frankreich scheint mit Emmanuel Macron eine ähnliche Entwicklung zu laufen. Kann es ein länderübergreifendes Momentum geben?

Das ist ja im Entstehen. Es gehen ja inzwischen unter dem Ruf „Pulse of Europe“ Leute auf die Straße. Ich wünsche mir so eine Art linken europäischen Patriotismus. Das wird aber nicht am Reißbrett geplant, sondern indem Menschen sich engagieren. Wie die Pussy-Hats-Demo gegen Trump. Plötzlich springt das über, und unser Aufbegehren findet eine starke Form, die einem die Tränen in die Augen treibt und man sagt: Ja, endlich, da will ich dabei sein.

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