AfD stellt Bundestagskandidaten auf: Die sind die Köpfe

Stramme Rechte, ein Unionist, ein Putin-Freund und ein Mann, der „thymotische Spannung“ verspricht. Die AfD tritt zur Bundestagswahl an.

Martin Renner fährt eine Rolltreppe hoch

Gegen „Schuldkult“: Martin Renner steht auf Platz eins der NRW-Landesliste für den Bundestag Foto: dpa

ESSEN taz | Martin Renner ist ein kleiner Mann, das weiße Haar trägt er nach hinten gekämmt, dazu eine Hornbrille und ein hoch geschlossenes weißes Stehkragenhemd. Die Themen von Björn Höckes umstrittener Dresdner Rede, bei der dieser eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert hatte, seien richtig, sagt Renner jetzt. „Schuldkult“ und „Political Correctness“ müssten gestoppt werden. Er selbst würde diese Themen seit Jahren benennen, aber eben in anderer Form. Höcke habe sie im Ton einer „Ufa-Wochenschau“ vorgetragen. Allein darin sieht Renner den Fehler.

Es ist Samstagmittag, der Ko-Landeschef steht am Mikrofon auf der Bühne im „Saal Europa“ in der Essener Messe, die nordrhein-westfälische AfD hat zum Landesparteitag geladen. Die Delegierten werden an diesem Wochenende ihre Kandidaten für den Bundestag aufstellen.

Renner bezeichnet Einwanderung als „humanistisch kaschierte Selbstzerstörung unserer Kultur“, den Islam als „Unterwerfungsideologie“, der Kanzlerin unterstellt er Nähe zu dem Slogan „Deutschland verrecke“. Er wird mit knapper Mehrheit auf Listenplatz eins gewählt.

Renner wird also mit großer Wahrscheinlichkeit nach der Wahl im September dem Deutschen Bundestag angehören. Viele der AfD-Landesverbände haben bereits ihre KandidatInnen – viele Männer, wenig Frauen – aufgestellt. Langsam kann man sich also ein Bild davon machen, wie die künftige AfD-Fraktion im Berliner Reichstag aussehen könnte.

Ein höchst heterogenes Spitzenteam

Parteichefin Frauke Petry, die die sächsische Landesliste anführt, wird dazugehören, ebenso wie Vizechef Alexander Gauland, der auf Platz eins der Brandenburger Landesliste steht und sich gern als Höckes Freund bezeichnet. Die beiden, die sich im Bundesvorstand erbittert bekämpfen, scheinen trotz aller parteiinternen Querelen für das Spitzenteam gesetzt zu sein, das die AfD in den Bundestagswahlkampf führen soll.

In der Partei wird dafür zudem Alice Weidel aus Baden-Württemberg gehandelt, die die dortige Liste anführt, als neoliberal gilt und in einer lesbischen Beziehung lebt. Sie könnte im Wahlkampf ein Gegengewicht zu Gauland bilden. Auch der ehemalige ARD-Korrespondent Armin Hampel aus Niedersachsen bringt sich in Stellung. Hampel ist in seinem Landesverband wegen einer schlechten Bilanz und seines Führungsstils hoch umstritten, hat es aber trotzdem auf den ersten Platz der Landesliste geschafft. Die AfD wird auf einem Bundesparteitag Ende April in Köln entscheiden, wer alles zu diesem Spitzenteam gehören soll. Zuvor sollen die Mitglieder in einer Online-Befragung Empfehlungen abgeben.

Die Höcke-Rede und der Streit um einen möglichen Parteiausschluss, parteiinterne Machtkämpfe und schließlich der Erfolg von SPD-Kandidat Martin Schulz, mit dem es plötzlich eine Alternative zur Kanzlerin zu geben scheint –, das alles lässt die Umfragewerte der AfD derzeit sinken. Zuletzt lag die rechtspopulistische Partei zwischen acht und elf Prozent der Stimmen. Das ist zwar deutlich weniger als noch vor wenigen Monaten, aber dennoch würde die AfD damit drittstärkste Kraft vor Grünen, Linken und FDP werden, sollte Letztere den Sprung in den Bundestag wieder schaffen.

Ein Assistent von Peter Sloterdijk

Geht der Sinkflug nicht weiter, könnte die AfD mit rund 60 Abgeordneten in den Bundestag einziehen, nach der Berechnung von Überhang- und Ausgleichsmandaten wahrscheinlich sogar mit mehr. Als bevölkerungsreichstes Bundesland wird die AfD aus NRW die meisten Abgeordneten nach Berlin schicken, nach den aktuellen Umfragen wären es etwa zwölf. Es folgen Bayern, wo die Landesliste noch nicht aufgestellt ist, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Höcke-Fans wie der Nordrhein-Westfale Renner und Parteivizechef Gauland, Stephan Brandner aus Thüringen und Jens Maier, Richter am Dresdener Landgericht und Listenplatz zwei der sächsischen AfD, dürften das eine Ende der künftigen Bundestagsfraktion der AfD markieren. Am anderen Ende wird wahrscheinlich Alice Weidel stehen.

Dazwischen könnten sich zahlreiche illustre Gestalten tummeln. Marc Jongen zum Beispiel (Listenplatz 3 Baden-Württemberg), der als Parteiphilosoph gilt und Assistent von Peter Sloterdijk an der Karlsruher Hochschule war. Jongen spricht gern über „Thymos“, was aus dem Altgriechischen stammt und etwas zwischen Mut, Zorn und Empörung bedeutet. Jongen will die „thymotische Spannung“ in Deutschland erhöhen, jüngst sprach er bei der Winterakademie in der neurechten Denkfabrik in Schnellroda, dem Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek.

Ebenfalls aus Baden-Württemberg kommt Markus Frohn­maier, ein Russlandversteher, der immer wieder nach Moskau, auf die Krim oder auch nach Serbien reist und dort ein Netzwerk knüpft. Frohnmaier ist Chef der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative, er galt als Höcke-Fan, diente sich dann aber dessen Widersacherin Petry als Pressesprecher an.

Der neue Alterspräsident?

Aus Hessen könnte Martin Hohmann in den Bundestag einziehen, der früher für die CDU im Bundestag saß und dann wegen antisemitischer Äußerungen ausgeschlossen wurde. Hohmann sei damals „beträchtliches Unrecht angetan“ worden, heißt es in der AfD. Auf Platz zwei der hessischen Landesliste vor Hohmann steht Landeschef Peter Münch, der zwischenzeitlich den Landesvorsitz abgeben musste, weil bekannt wurde, dass er Ende der 1980er Jahre Mitglied der Republikaner war.

Der langjährige Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen, Wilhelm von Gottberg, steht auf Platz vier der niedersächsischen Landesliste. Der 76-Jährige hat gute Chancen, Alterspräsident des Bundestags zu werden. Dann darf er das neu gewählte Parlament mit einer Rede eröffnen. In seiner Bewerbungsrede in Hannover hatte Gottberg sich dafür stark gemacht, den „Kult mit der Schuld zu beenden“.

Aus Berlin wollen die beiden Landeschefs in den Bundestag ziehen, die eine – Bundesvize, Lebensschützerin und Genderhasserin Beatrix von Storch – sitzt bereits im Europaparlament, ihr Ko-Chef Georg Pazderski ist Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus.

Am Sonntag hat die AfD in Mecklenburg-Vorpommern ihre Landesliste aufgestellt. An erster Stelle steht Leif-Erik Holm, der derzeit noch Fraktionschef im Landtag ist. Holm ist auch Direktkandidat im Wahlkreis 15, der Vorpommern und Rügen umfasst. Bei der Landtagswahl konnte die AfD hier – in anders zugeschnittenen Wahlkreisen – Erfolge verbuchen. Das Pikante daran: Für die CDU tritt im selben Wahlkreis Bundeskanzlerin Angela Merkel an. Seit 1990 hat sie das Direktmandat stets geholt.

Niederlage für Frauke Petry

Holm ist einer von vielen Landesspitzen, die es in den Bundestag zieht. Einige aber haben sich anders entschieden: Jörg Meuthen, Petrys Ko-Vorsitzender aus Baden-Württemberg, wird nicht für den Bundestag kandidieren, André Poggenburg will in Sachsen-Anhalt, Höcke in Thüringen bleiben. Jeder von ihnen dürfte andere Gründe haben, insgesamt aber hat die AfD erkannt: Wenn alle Spitzenpolitiker nach Berlin gehen, sieht es in den Ländern düster aus.

In NRW bleibt Renners Ko-Vorsitzender Markus Pretzell. Der Mann von Parteichefin Petry ist Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Mai. Das Verhältnis der beiden Landesvorsitzenden gilt als zerrüttet, seit Langem kämpfen sie in einem tief gespalteten Landesverband erbittert um die Macht. Am Samstag nun wählten die Delegierten Renner auf Platz eins der nordrhein-westfälischen Landesliste für die Bundestagswahl. Seine Wahl ist für das Pretzell/Petry-Lager eine herbe Niederlage.

So gespalten wie die Partei derzeit ist, so gespalten dürfte auch die Bundestagsfraktion werden. Auf den Kampf um den Fraktionsvorsitz darf man jetzt schon gespannt sein.

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