An einem Abend in Berlin wurde ein Film über den Krieg in Syrien gezeigt. Ich konnte aber nicht richtig hinschauen
: Das Publikum verzehrt mein Herz

Foto: privat

Hier und dort Kefah Ali Deeb

Der Prozess des Schreibens ist im Allgemeinen eine schwierige und mühsame Angelegenheit. Nicht selten weigern sich die Gedanken, sich zu fügen, und lassen sich nicht formulieren. Über aktuelle Anlässe fühle ich mich nicht in der Lage zu schreiben. Kläglich scheitere ich allein bei dem Versuch, ein paar Notizen darüber zu Papier zu bringen. Die Sprache wird wie ein vom Licht getragener Schmetterling, der selbst aber nicht in der Lage ist, etwas zu tragen.

An einem Abend in Berlin zeigte eine soziokulturelle Einrichtung einen Film über den Krieg in Syrien. Ich konnte aber nicht richtig hinschauen. Denn ich fühlte mich, als zeigte man auf der großen Leinwand vor großem Publikum meinen nackten Körper. Aber nicht nur das. Ich hatte das Gefühl, dass der Film meine inneren Organe und meine Knochen offenlegte und alles Intime in mir bloßstellte. Es tat weh und ich fühlte Kälte durch meinen Körper strömen.

In dem Film rannten einige Menschen herum, um Körperfetzen von Kriegsopfern einzusammeln, als hofften sie, die Opfer könnten dadurch wieder leben und sprechen. Andere Menschen schrien sich vor Angst und Verzweiflung die Kehle wund. Ich schrie auf, während das Publikum versteinert und ratlos der Stille zuschaute. Im Saal herrschte angespanntes Schweigen. Die Luft zum Atmen wurde schwer. Wir sind alle vorsichtig und feige zugleich. An uns zogen Bilder voller Blut vorbei.

Bereits nach wenigen Minuten stand ich niedergeschlagen und matt auf und verließ auf Zehenspitzen den Saal. Ich konnte nicht weiter mit ansehen, wie meine Finger und Gelenke einzeln gebrochen und meine Augen ausgestochen werden. Ich konnte nicht mit anschauen, wie mein Körper in aller Stille auf der Leinwand und außerhalb der Leinwand vergewaltigt wurde. Mir fehlte die Kraft, immer wieder meinen eigenen Tod zu erleben.

Ich verließ also den Saal, die Filmvorführung, die Kälte und das Töten, ohne bemerkt zu werden. Das Publikum war damit beschäftigt, die Fetzen meines Herzens auf der Leinwand zu verzehren.

Die Vorführung meiner Nacktheit trug dazu bei, dass der Film einige Preise gewann. Das führte dazu, dass der Film häufiger gezeigt wurde und viele Filme dieser Art gedreht wurden. Die Säle wurden voller und das Interesse an meinem nackten Körper wuchs weiter. Nach jeder Vorstellung wurde das Schweigen schwerer und der Applaus lauter. Jede Vorstellung sei ein Erfolg gewesen, hieß es in den Kommentaren, und die Filme wurden häufiger preisgekrönt.

Wie soll ich als vor Krieg, Kerker und Tod geflüchtete Syrerin meinen eigenen gepeinigten Körper, die Nacktheit meines Landes, meine eigene Nacktheit, den Tod in meinem Land, meinen Tod auf dieser Welt zusammen mit anderen und mit eigenen Augen bewusst anschauen?

Wie soll das Schreiben unter diesen Umständen noch möglich sein, und warum soll sich die Sprache in dieser verrückten, menschenunwürdigen Welt noch fügen?

Aus dem Arabischen

von Mustafa Al-Slaiman

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