Zwei Monate danach: Hat der Anschlag Berlin verändert?

Die Berliner hätten sehr gelassen auf den Terror reagiert, hieß es nach dem 19.12. öfters. Das klingt zwar gut, ist aber nicht die ganze Wahrheit.

Bisher einzig sichtbare Veränderung im Stadtbild: Kerzen und Blumen vor der Gedächtniskirche Foto: dpa

Es gibt viele Menschen in Berlin, die sagen, der Anschlag am Breitscheidplatz sei ihnen, obwohl nur ein paar Kilometer entfernt, auch nicht näher gerückt als der von Brüssel oder Paris. Für die allermeisten hat sich in ihrer Lebenswirklichkeit tatsächlich kaum etwas geändert am 19. Dezember. Man geht weiter zur Arbeit oder auch nicht, fährt Bus und Bahn. Die Leute besuchen Konzerte, Kneipen, Partys, Kinos, Fußballspiele. Weitgehend angstfrei, wie es scheint. „Maximal unbeeindruckt“, überschrieb Spiegel online kurz nach dem Anschlag einen Text über die Berliner.

Die Zeile liest sich gut und ist auch beruhigend, legt sie doch nahe, dass ein einzelner islamistischer Attentäter mit einem Lastwagen die Stimmung in einer freien, offenen Stadt nicht so einfach drehen kann.

Doch die Einschätzung stimmt nur zum Teil. Maximal unbeeindruckt können nur die sein, die nicht vor Ort waren an jenem Abend, die sich auch sonst eher selten dort aufhalten. Die Angehörigen der Opfer, die HelferInnen und AnwohnerInnen, Leute, die am Ku’damm einkaufen gehen, sie fühlten sich durchaus gemeint.

Man mag einwenden, das sei nur eine Minderheit, alle anderen blieben cool. Aber auch das ist so nicht richtig.

Denn die politische Debatte hat sich ja doch verschoben. An der Diskussion über Videoüberwachung in Berlin ließ sich das ganz gut beobachten: Die SPD-Fraktion hatte noch im vergangenen Sommer eine von der CDU geforderte Ausweitung der Videoüberwachung blockiert. Nach dem Anschlag forderte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sehr bald mehr Kameras. Linke und Grüne, inzwischen mit im Senat, lehnten das ab, man einigte sich auf einen Kompromiss – den SPD-Fraktionschef Raed Saleh, der die Sache noch im Sommer verhindert hatte, öffentlich als zu lasch kritisierte.

Oder die bundesweite Diskussion über Abschiebungen: Selbst Abschiebungsgegner wagten nach dem Anschlag der Forderung nicht zu widersprechen, dass Gefährder ganz schnell ausgewiesen gehörten – selbst wenn sie noch gar nichts verbrochen haben. Auch beim Maßnahmenkatalog des Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU) zur Terrorabwehr lenkte die SPD ungewohnt schnell ein.

Wer auf der Straße mit Berlinern jenseits des linksliberalen Milieus über den Anschlag spricht, hört immer wieder Sätze wie diese: Man hätte nicht so viele Flüchtlinge unregistriert ins Land lassen dürfen. Man würde ihnen ja gerne helfen, aber wenn sie den Terror nach Deutschland brächten, dann wolle man sie hier nicht haben. Es ist diese Tonart, die in den Appellen nach mehr Videoüberwachung oder für mehr Abschiebungen nachklingt.

„Maximal unbeeindruckt“ seien die Berliner. Alle cool geblieben? Aber die politische Debatte hat sich ja doch verschoben

Diese Verschiebung in der Debatte mag sich auf die Lebenswelt der einzelnen Stadtbewohner zunächst nicht weiter auswirken. Sie betrifft die Verfasstheit der Gesellschaft als Ganzes – und geht so doch wieder alle an. So sehr man sich über den nach wie vor entspannten Berliner Alltag freuen kann: Doch, der Anschlag hat schon etwas verändert.

Was bleibt von dem Anschlag vor Ort? Wie geht es den Betroffenen? Und wie will man der Opfer langfristig gedenken? Das lesen Sie in der taz.am wochenende.

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