Netzpolitik.org-Chef über NSA-Ausschuss: „Angela Merkel hat gelogen“

Die Konsequenz des NSA-Skandals sei, dass die illegalen Praktiken der Geheimdienste nachträglich legalisiert wurden, sagt Markus Beckedahl von Netzpolitik.org.

Angela Merkel sitzt in einem Raum

„War nicht in der Lage, ihren Laden zu kontrollieren“: Angela Merkel als Zeugin im NSA-Ausschuss Foto: dpa

taz: Herr Beckedahl, welche Konsequenzen hat die Bundesregierung drei Jahre nach dem Start des Untersuchungsausschusses in punkto Datenschutz gezogen?

Markus Beckedahl: Die wichtigste Konsequenz ist, dass alle illegalen Praktiken des BND, die durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses ans Licht gekommen sind, im Nachhinein legalisiert wurden. Der BND hat massiv mehr Möglichkeiten und Geld bekommen, um seine Massenüberwachung auszubauen. Mit anderen Worten: Die Enthüllungen Edward Snowdens wurden als Machbarkeitsstudie für den deutschen Markt gesehen, nicht als Warnung.

Was darf der BND, was er vorher nicht durfte?

Er speichert Daten sechs Monate auf Vorrat und teilt diese mit der NSA. Er darf alle Leitungen in Deutschland überwachen und rastern. Und der BND, das haben wir bei netzpolitik.org diese Woche aufgedeckt, baut die Satellitenüberwachung massiv aus und spioniert dabei auch Unternehmen in Partnerländern wie zum Beispiel Großbritannien aus.

Angela Merkel hatte anfangs gesagt: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“ Da sollte man doch eigentlich erwarten, dass nicht die Ausweitung, sondern die Einhegung der Geheimdienstbefugnisse ansteht.

Angela Merkel hat gelogen. Ihr BND spionierte zu diesem Zeitpunkt bereits Freunde und Partner aus, was dann eben noch verstärkt wurde. Merkel war nicht in der Lage, ihren Laden zu kontrollieren. Dafür müsste sie eigentlich politische Verantwortung übernehmen.

Das heißt, zurücktreten?

Ich würde mir erstmal wünschen, dass sie anerkennen würde, für das Kanzleramt verantwortlich zu sein. Dort hat der Untersuchungsausschuss massive Fehler bei der Kontrolle und Dienstaufsicht festgestellt, der BND hat mehrfach gegen die Verfassung verstoßen, aber niemand will dafür verantwortlich sein. Das ist ein politischer Skandal.

ist Internetaktivist, Gründer und Autor des Blogs netzpolitik.org.

Haben die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses also zu gar nichts geführt?

Man muss erstmal sagen, dass die Opposition eine phänomenale Arbeit abgeliefert hat. Sie saß mit nur zwei Personen, zwei Stellvertretern und je einem Referenten im Ausschuss – vor einer Phalanx aus Mitgliedern der Großen Koalition, die die ganze Zeit versuchten, zu blockieren und die Aufklärungsarbeit zu behindern. Insofern ist es erstaunlich, was innerhalb der drei Jahre alles ans Licht kam.

Was genau war das?

Die Ausgangsbasis war ja, dass die Bundesregierung zu suggerieren versuchte, man habe mit dem NSA-Skandal überhaupt nichts zu tun. Der Untersuchungsausschuss sollte eigentlich die NSA-Überwachung in Deutschland aufklären. Durch ihn kam dann jedoch raus, wie tief unser eigener Geheimdienst in dieses System verstrickt ist. Die Aufgabe der Bundesregierung wäre, unsere Grundrechte zu schützen. Stattdessen wurden diese im sogenannten „Kampf gegen den Terror“ in den Mülleimer getreten.

Gibt es in Deutschland seit den Snowden-Enthüllungen ein gewachsenes Bewusstsein für Datenschutz?

Ja. Die große Debatte um Risiken der Massenüberwachung hat dazu geführt, dass datenschutzfreundliche Emailprovider wie etwa Posteo viel Zuwachs bekommen haben und das Bewusstsein für Verschlüsselungstechnologien zugenommen hat. Das betrifft zwar noch nicht die gesellschaftlichen Mehrheiten, die wir uns wünschen. Aber in dieser Hinsicht ist Deutschland im internationalen Vergleich ein Spitzenreiter.

Was muss man für die Zukunft erwarten, was die Arbeit des BND und die Kooperation von BND und NSA angeht?

Das läuft alles weiter wie bisher, nur auf Steroiden.

Was passiert also, wenn der Untersuchungsausschuss im Juni beendet ist – aus den Augen, aus dem Sinn?

Es ist traurig, dass die Geheimdienste und das System der Massenüberwachung aus diesem Skandal erstmal gestärkt herausgehen. Aber natürlich gibt es viele Möglichkeiten, was jeder einzelne tun kann. Jeder kann sich fragen, ob es nicht besser ist, Kommunikationsmöglichkeiten zu nutzen, die den Datenschutz von vornherein eingebaut haben. Jeder kann sich immer wieder an die Politik wenden und klar machen, dass wir nicht akzeptieren, dass unser gesamtes Leben komplett überwacht und gerastert wird. Das, was da gespeichert wird, könnte irgendwann gegen uns verwendet werden. Das ist nicht die Freiheit im Internet, die wir uns vorgestellt haben.

Gibt es noch Hoffnung, dass auch auf juristischer Ebene etwas passiert?

Es wird eine Verfassungsbeschwerde gegen das Reformgesetz des BND geben. Die Vorbereitungen dazu laufen, aber mehr kann ich dazu an dieser Stelle nicht sagen. Wir hoffen jedenfalls, dass diese zu grundsätzlichen Entscheidungen aus Karlsruhe führen wird, die der Praxis der Massenüberwachung ein Ende bereiten wird.

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