Kommentar Diskriminierung: Dieser Abgrund namens Familie

Es hat sich was verändert bei der Akzeptanz homosexueller Lebensweisen, vor allem politisch. Ein drängendes Problem aber bleibt.

zwei Frauen umarmen sich, erkennbar sind sie vor dem Gegenlicht aber nur in Umrissen

Theoretisch hat kaum noch wer ein Problem mit Homosexualität – solange es nicht die eigene Tochter betrifft Foto: dpa

Die Donnerstag veröffentliche Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zur Akzeptanz homosexueller Lebensweisen hat genau die Aufmerksamkeit erzielt, die sie verdient. Selbst den Tagesthemen der ARD war sie einen Aufmacher wert, einen Bericht an allererster Stelle – Trump, Putin und Fragen des Islamismus zum Trotz. Denn die Expertise, zusammengetragen von Beate Küpper, Professorin für Soziale Arbeit an der Hochschule Niederrhein, berichtet von einem gigantischen Mentalitätswandel innerhalb der bundesdeutschen Bevölkerung lesbischen und schwulen Lebensweisen, vor allem Paaren und Familien, gegenüber.

82,6 Prozent der Befragten stimmen einer „Ehe für alle“ (also auch für homosexuelle Paare) zu, dem Adoptionsrecht für lesbische oder schwule Paare immerhin 75,8 Prozent. Kurz gesagt: eine überwältigende Mehrheit fände es angemessen, homosexuellen Paaren die gleichen Rechte zu geben, wie sie heterosexuelle immer schon haben. Für einen Politiker wie den CDU-Mann Jens Spahn ist es insofern kein Risiko, wenn er Carmen Miosga in den Tagesthemen mitteilt, er gehe davon aus, dass die „Ehe für alle“ kommen werde.

Das, was noch in dieser Legislaturperiode womöglich zum Gesetz gemacht wird – fraktionsübergreifend, wie aus Abgeordnetenkreisen zu hören ist -, wäre die Rechtsangleichung an das zivilisatorische Niveau Irlands, Skandinaviens, der Niederlande, Spaniens, Kanadas und der USA. Und zugleich die letzte, wenn man so will, gesetzlich begründete Aufhebung von Moral, die zwischen Hetero- und Homosexualität ein hierarchisches Verhältnis gesetzt sehen will: Homos müssen dann gesetzesgestützt das Gefühl haben, in puncto Anerkennung weniger geschätzt zu werden als jene, die heterosexuell orientiert verheiratet sind.

Die von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes veröffentlichten Zahlen belegen, wie sehr in der Bundesrepublik ein moralischer Wandel stattgefunden hat. Dieser wird auch angezeigt mit anderen Befunden: 27,5 Prozent der Befragten gaben zu Protokoll, dass zwei sich in der Öffentlichkeit küssende Frauen ihnen unangenehme Gefühle beschere, 38,4 Prozent haben diese Gefühle, wenn sie zwei sich küssende Männer sehen. Das sind keine schöne Zahlen – sie bedeuten andererseits aber auch, dass immerhin 72,5 Prozent beziehungsweise 61,6 Prozent diesen Aussagen nicht zustimmen.

Familie ist kein geschützter Raum

Bedeutsamer ist aber eine Ziffer, in der es um Familiäres geht: Als unangenehm empfinden 40,8 Prozent der Befragten die Vorstellung, der eigene Sohn könnte schwul sein beziehungsweise 39,8 Prozent, wenn die Tochter lesbisch ist. Das ist für sehr viele Menschen eine schlimmere Vorstellung als die, dass die eigenen Kinder in einer Kita von homosexuellen Erzieher*innen betreut werden. Mit anderen Worten: In einem allgemeinen Sinn haben sich die Einstellungen Lesben und Schwulen gegenüber erheblich verbessert. Viele Diskriminierungen, auch davon berichtet die Studie, bleiben oder halten sich hartnäckig – aber die grundsätzliche Ablehnung ist weitgehend verschwunden.

Bis auf den Bereich der Familie. Für Kinder, die mit der Pubertät merken, dass sie das gleiche Geschlecht begehren, ist die eigene Familie eine Art ungeschützter, nicht diskriminierungsfreier Raum, in dem sie abgelehnt werden.

Dieses Ergebnis der Studie deckt sich mit tausendfachen Erzählungen aus den vergangenen Jahrzehnten. Dass nämlich Hässlichkeiten kleinerer oder größerer Art (fiese, niederträchtige Sprüche, Schläge bis hin zu folterartigen Aggressionen) ausgehalten werden können – umso eher dann, wenn das familiäre Umfeld hinter den schwulen und lesbischen Angehörigen steht.

Wenn das nicht der Fall ist, wirkt sich allgemeine Schwulenfeindlichkeit umso bedrohlicher und lebensentwertender aus. Die Studie verweist in diesem Sinne nicht allein auf Gesetze, die verbessert gehören. Sondern auf den Abgrund, der für viele Homosexuelle der schlimmste ist: der, der sich wie Familie buchstabiert. Solange Eltern ihre Kinder großziehen mit dem Wunsch, dass sie nur als heterosexuelle wirklich geliebt werden, bleibt Homophobie ein mächtiges Thema.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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