Virtual-Reality-TV: Komplett neue Art der Fiktion

Bisher bedient Virtual Reality vor allem die Bereiche Porno, Sport und Naturdokus. Eine erzählerische Anwendung erfordert komplett neue Formate.

Ein Mann mit Virtual-Reality-Brille

Die Wirkung aufs Gehirn, das VR-Reize als real erfasst, ist noch nicht genug erforscht Foto: dpa

Vielleicht war für manch einen Weihnachten doch nicht so kuschelig. Oder vielleicht lagen diesmal besonders viele neue Virtual-Reality(VR)-Brillen unterm Baum: Die großen Pornoportale jedenfalls vermelden unisono einen extremen Anstieg der Nutzung von VR-Inhalten auf ihren Seiten über die Festtage.

Das Webangebot „VRPorn“ zum Beispiel berichtet von einem Zuwachs von 300 Prozent. Aber nicht nur hier, sondern vor allem bei den klassischen Fernsehanbietern und Medienkonzernen weltweit laufen die Vorbereitungen, um bei dieser neuen Art der Mediennutzung direkt vorne mit dabei zu sein.

RTL etwa möchte sein Publikum aktuell im Rahmen eines Games mit der Technologie in den Dschungel beamen. Dafür haben die Kölner eine App entwickelt, die die Zuschauer auf ihr Smartphone laden können. Jeder Smartphone-Nutzer kann mithilfe von VR-Brille oder eines „Cardboard“ (Sehvorrichtung, in die das Handy eingefügt wird) in den virtuellen Dschungel eintauchen.

Der Geschäftsführer von ZDF Enterprises, Alexander Coridaß, ist ebenfalls begeistert von den Möglichkeiten: „360-Grad-Inhalte sind eine eigene Mediengattung und haben eine übergreifende Funktion, angefangen im Bereich Wissenschaft über Tourismus oder Gaming bis hin zur Erweiterung herkömmlicher audiovisueller Inhalte.“

Mittlerweile haben die Mainzer einige Zusatzangebote aufgesetzt, etwa für einige Terra-X-Formate. Damit erhält das Publikum beispielsweise die Möglichkeit, im alten Rom herumzuspazieren. „Die Grenzen verschwimmen, der Nutzer wird zum Akteur“, stellt der ZDF-Manager fest.

Historische Orte zum Leben erwecken

Zurzeit werden beim öffentlich-rechtlichen Sender Räume mit Lasertechnik vermessen. Aus diesem Material wird anschließend ein Foto zusammengesetzt. Das ist die Grundlage für fotorealistische virtuelle Umgebungen, in denen sich der Nutzer mit einer VR-Brille frei bewegen kann. Historische Orte können so zum Leben erweckt werden.

Spannend ist VR vor allem für den Sportbereich. „Wir können über 100.000 Downloads unserer Sky-VR-App verzeichnen“, freut sich der Kreativdirektor der SKY VR Studios Richard Nockles. Die App gibt es erst seit letztem Oktober.

Alexander Coridaß, ZDF

„Die Grenzen ­verschwimmen, der Nutzer wird zum Akteur“

„Es ist unglaublich, welche Momente mit VR hautnah eingefangen werden können“, sagt Nockles, „unsere Nutzer waren praktisch nur zwei Meter entfernt, als der Boxer Anthony Josua seinen Schlag landete, der ihn zum Weltmeister machte.“

Eine Test-Live-Übertragung des DFB-Pokals 2016 gönnte der englische Medienkonzern Sky seinen Nutzern in Deutschland. Mit drei Kameras versetzte der Sender die Fußballfans mitten ins Geschehen. Per Kopfbewegung wechselten die Zuschauer zwischen den einzelnen Perspektiven am Tor oder im Publikum und riefen zusätzlich Team-Informationen und Statistiken ab.

Wirkung auf das Gehirn noch nicht erforscht

Was über das bloße Berichten hinaus gehende Erzählformen angeht, beginnt die Medienbranche aber praktisch bei null. „Man muss diese neuen Möglichkeiten verstehen, ein entsprechendes Konzept erarbeiten, um dann etwas zu entwickeln, was zuvor noch nie existierte“, sagt Marc Dorcel, quasi die französische Version von Beate Uhse.

Er startete vor einem Jahr ein VR-Angebot und verfügt inzwischen über 20.000 zahlende Kunden. 135.000 Euro investierte er für eine 30-minütige Erotikproduktion, die acht Kameras benötigte. Das sei drei bis fünfmal so teuer wie eine herkömmliche Produktion.

Auch die Wirkung auf das Gehirn, das die virtuelle Umgebung als real erfasst, ist noch nicht erforscht. Verwirrung kommt zum Beispiel auf, wenn die virtuelle Bilderwelt nicht mit dem aktuellen Standort des Körpers übereinstimmt. Beispielsweise wenn der Körper sich nach rechts bewegt, dem Gehirn aber in der künstlichen Bilderwelt suggeriert wird, er bewege sich nach links: Manchen Nutzern wird da übel.

„Pornografie allein schafft das nicht“

Der weitverbreiteten Annahme, Erotikinhalte seien Treiber technischer Innnovationen, widerspricht Dorcel übrigens: „Unsere Branche ist zwar schon so etwas wie ein technologischer Leader. Aber um einen funktionierenden Markt aufzubauen, müssen zunächst die großen Produzenten genügend attraktive Inhalte liefern. Pornografie allein schafft das nicht.“

Sender und Medienkonzerne experimentieren jetzt intensiv, wie Formate, die eine Handlung wiedergeben, aussehen könnten. Es wäre etwas ganz anderes als „fernsehen“ im herkömmlichen Sinne: Es würde eine komplett neue Art von Fiktion erfordern, die den Betrachter zum Teil der Geschichte macht.

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