Gregor Gysi zur LL-Demo am Sonntag: „Das gibt moralische Rechtfertigung“

Am Sonntag wird Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts gedacht, die Oktoberrevolution wird 100: Gregor Gysi über den Wert des Erinnerns.

Gregor Gysi bei der Rosa-Luxemburg-Demo 2011. Foto: DPA

taz: Herr Gysi, am Sonntag findet das traditionelle Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auf dem Friedhof der Sozialisten statt. Sind Sie dabei?

Gregor Gysi: In diesem Jahr halte ich in Leipzig eine Rede zum Reformationsjahr, im Gottesdienst, und der ist ja nun mal am Sonntagmorgen. Aber auch wenn ich dieses Mal nicht dabei bin, ist das ein wichtiger Termin für mich.

Was verbinden Sie damit?

Es gab zwei Menschen, die für ihre Überzeugungen wirklich gekämpft und gestritten haben, sich auch in ihren eigenen Reihen mit vielen angelegt haben. Und die dann hinterrücks ermordet wurden, weil sie Auffassungen vertraten, die der herrschenden Schicht überhaupt nicht gefielen. Ich finde es eine sehr wichtige Symbolik, daran zu erinnern, dass man einerseits zu seiner Meinung stehen muss. Und dass wir andererseits viel mehr Toleranz benötigen. Auch heute noch.

Warum ist dieses Gedenken für die Linke so wichtig?

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sind Menschen gewesen, die sich wirklich für die Unterdrückten eingesetzt haben, die soziale Gerechtigkeit anstrebten, im Fall Luxemburg auch die Gleichstellung der Geschlechter – und das aus ihrer vollsten Überzeugung. Menschen, die dafür ihr Leben gelassen haben. Ich ziehe aus diesem Gedenken Kraft: Dass solche Leute an der Seite der Linken standen, gibt einem auch eine moralische Rechtfertigung für das, was man tut. Das darf man nicht unterschätzen.

68, war bis 2015 Fraktions­vorsitzender der Linken im Bundestag – und 2002 auch mal fünf Monate Wirtschaftssenator in Berlin.

In diesem Jahr steht auch das 100. Jubiläum der Oktober­revolution in Russland an, ebenfalls ein wichtiger Gedenktermin für Linke. Welchen Wert hat es heute für linke Politik, sich mit dieser Revolution zu beschäftigen?

Mit der Oktoberrevolution ist es schwieriger als mit Luxemburg und Liebknecht. Die Entscheidung Lenins, Sozialismus im allerschwächsten kapitalistischen Land zu machen – obwohl Karl Marx ja geschrieben hat, dass es nur im allerstärksten geht –, ist ja letztendlich beachtlich schief gegangen. Aber was auch dieser Termin zeigt: Wenn sich eine Situation sehr zuspitzt, dann fängt die Bevölkerung an, sich zu wehren. Daran erinnert dieses historische Ereignis: Weil die Herrschenden in Russland die Armut eben viel zu lange hingenommen haben, entstand eine sehr mächtige Bewegung dagegen. Dass das letztlich so schief gegangen ist, ist wiederum etwas, worüber wir Linken nachdenken müssen. Aber wir müssen auch darüber nachdenken, was in so einer zugespitzten Situation entstehen kann.

Die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland scheint gerade allerdings weit von einer revolutionären Zuspitzung entfernt zu sein.

Natürlich ist die Situation nicht so wie 1917. Aber zugespitzt ist sie, weil der Abstand zwischen den Abgehängten und den anderen immer größer wird. Und die Abgehängten sind zum Teil so verzweifelt, dass sie den Ausweg rechts suchen – den ich natürlich für völlig falsch halte. Aber es wird höchste Zeit, dass man sich auch mal überparteilich trifft und darüber nachdenkt, wie man diese Entwicklung stoppen kann. Und zwar, indem man die Interessen der Leute stärker berücksichtigt und ihnen damit die Grundlage nimmt, die AfD und andere Parteien dieser Art zu wählen.

Um die AfD zu bekämpfen, wird immer wieder gefordert, die Linke brauche mehr herausragende Persönlichkeiten – auch in der Gegenwart statt nur in der Vergangenheit. Und dafür müsse sie lernen, populistischer aufzutreten. Sehen Sie das auch so?

Nee, also da muss ich sagen – gut, sagen wir, das ist eine Frage der Definition: Ich versuche auch, populär zu sein. Ich versuche einfach und überzeugend zu sprechen. Aber für mich beginnt Populismus dort, wo ich einfache Antworten gebe, von denen ich weiß, dass sie falsch sind. Also indem ich den Leuten sage: „Ich baue eine Mauer auf, und in dem Moment sind alle eure Probleme gelöst.“ Das ist natürlich völliger Blödsinn. Und das dürfen wir als Linke nie, nie tun. Übersetzen müssen wir, einfach sprechen müssen wir – aber nie falsche Antworten ­geben in der Hoffnung, es fällt keinem auf und wir gewinnen damit Leute.

Die Demonstration zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die 1919 in Berlin ermordet wurden, beginnt wie jedes Jahr um 10 Uhr am S-Bahnhof Frankfurter Allee und führt von dort zum Friedhof der Sozialisten am S-Bahnhof Friedrichsfelde, wo sich die Grabstätten der beiden befinden. Ein Pflichttermin für alle, die linke Splittergruppen einmal im Jahr vereint sehen wollen – oder die wenigstens für einen Moment auf der Frankfurter Allee das Gefühl haben wollen, Berlin sei fest in der Hand von Menschen mit roten Fahnen und Nelken. Am Ende gibt es auch Bratwurst. Achtung: Die Demonstration beginnt pünktlich! (mgu)

Die Argumentationsmuster der Rechten zu bedienen ist also die völlig falsche Strategie?

Ich sage immer, wir müssen klar sagen, dass die Fluchtursachen das Problem sind, aber eben nicht die Flüchtlinge; dass wir die Fluchtursachen bekämpfen müssen. Und wir dürfen uns da nicht so in die Nähe einer anderen Argumentation treiben lassen. Das bringt auch gar nichts. Im Gegenteil: Mit genau dieser klaren Linie hatte die Linkspartei bei der Berlin-Wahl am 18. September Erfolg. Wir haben unsere Stimmen in Westberlin verdoppelt, eben weil wir da überhaupt nicht eierig aufgetreten sind.

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